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Erhöhtes Schlaganfallrisiko durch orale Kontrazeptiva mit höherem Östrogengehalt

Wie früher berichtet (AMB 1996, 30, 1; s.a. Tab. 1), erhöht die aktuelle Einnahme östrogenhaltiger oraler Kontrazeptiva (OK) das venöse Thromboembolie-Risiko, aber auch das Risiko, einen Myokardinfarkt zu erleiden. Die Autoren der „WHO Collaborative Study of Cardiovascular Disease and Steroid Hormone Contraception“ berichten jetzt über epidemiologische Befunde zum Zusammenhang zwischen der Einnahme OK und der lnzidenz von Schlaganfällen. Nach N.R. Poulter et al. (Lancet 1996, 348, 498) ist das Risiko 20- bis 44jähriger Frauen, einen ischämischen Schlaganfall zu erleiden (durch CT, MRT oder Hirnangiographie gesichert) bei aktueller Einnahme von OK gegenüber Frauen, die keine OK benutzen, in Europa um den Faktor 2,99, in den untersuchten nichteuropäischen Ländern um den Faktor 2,93 erhöht (beides signifikant). In Europa war das Hirninfarktrisiko bei Einnahme niedrig dosierter OK (weniger als 50 µg Ethinylöstradiol/d) mit 1,53 (Vertrauensgrenzen 0,7 bis 3,3) nicht signifikant erhöht, während es bei höherdosierten OK bei 5,3 lag (s. AMB 1997, 31, 12). Dieser Dosisunterschied wurde in nichteuropäischen Ländern nicht festgestellt, vermutlich wegen andersartiger Risikoprofile. Insgesamt war das Hirninfarktrisiko bei aktiver Einnahme von OK besonders hoch bei Frauen mit Bluthochdruck, bei Alter über 35 Jahre und bei Raucherinnen. Im gleichen Heft des Lancet (WHO Collaborative Study of Cardiovascular Disease and Steroid Hormone Contraception 1996, 348, 505) wird auch über das Risiko, einen hämorrhagischen Insult in Abhängigkeit von der OK-Einnahme berichtet. Untersucht wurde die gleiche Patientenpopulation wie in der Studie über ischämischen Hirninfarkt. In Europa war das Risiko, eine Hirnblutung zu erleiden, bei aktueller Einnahme von OK nicht signifikant erhöht (1,38; Vertrauens-grenzen 0,84 bis 2,25), während es in nichteuropäischen Ländern gerade eben signifikant auf 1,76 (Vertrauensgrenzen 1,34 bis 2,3) erhöht war.

Faßt man die Ergebnisse beider Studien zusammen, so ergibt sich, daß bei aktueller Einnahme von OK mit niedriger Östrogen-Dosis das Schlaganfallrisiko junger Frauen in Europa 1,41, außerhalb Europas 1,86 ist, während es bei höherdosierten OK in Europa 2,71 und außerhalb Europas 1,92 ist. Hieraus wurde berechnet, daß in Europa bzw. den untersuchten, nichteuropäischen Ländern etwa 13% bzw. 8% aller Schlaganfälle bei Frauen in der Altersgruppe von 20 bis 44 Jahren ursächlich der aktuellen Einnahme von OK zugeschrieben werden muß. Frühere Einnahmen von OK war in keiner der beiden Studien mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko assoziiert.

Fazit: Aktuelle Einnahme von östrogenhaltigen OK ist nicht nur mit einem erhöhten venösen Thromboembolie- und Myokardinfarktrisiko, sondern auch mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko, überwiegend durch ischämische Infarkte, assoziiert. Bei Frauen unter 35 Jahren, die normotensiv sind und nicht rauchen, sind Exzess-Risiko und absolutes Risiko sehr gering. Bei älteren Frauen im reproduktionsfähigen Alter, bei Bluthochdruck und bei Zigarettenkonsum steigt das Schlaganfallrisiko deutlich an. Diese Merkmale sowie venöse Thrombosen und Lungenembolien in der Eigen- bzw. Familienanamnese müssen vor jeder Entscheidung über die Verordnung eines OK berücksichtigt werden.

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