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Body-Mass-lndex und Letalität in einer prospektiven Kohorten-Studie

Die massive Adipositas nimmt in Nordamerika, aber auch in Europa epidemischen Charakter an. Es ist bekannt, daß starkes Übergewicht mit erhöhter Morbidität und Letalität assoziiert ist. Das Ausmaß dieser Beziehung und die Frage, ob Übergewicht per se ein unabhängiger Risikofaktor ist, war bisher nicht ausreichend klar. Eine umfangreiche, von E.E. Calle et al. im N. Engl. J. Med. (1) publizierte prospektive Studie über die Abhängigkeit der 14-Jahres-Mortalität vom Ausgangsgewicht ist deshalb von großem Interesse. Basis dieser Studie war die Befragung von etwa 1,8 Mio. amerikanischen Staatsbürgern im Rahmen eines Krebs-Präventionsprogramms im Jahre 1982. Die befragten Personen waren 30 Jahre alt oder älter, im Mittel 57 Jahre. Aus der selbst angegebenen Körpergröße und dem selbst angegebenen Körpergewicht wurde der Body-Mass-lndex (BMI; Körpergewicht:Körpergröße2 [kg/m2]) errechnet. Die von 1982 bis 1996 eingetretenen Todesfälle konnten in 98,6% durch Überprüfung der Sterbeurkunden dokumentiert werden. Todesfälle und Todesursachen wurden dann zum Ausgangsgewicht der Probanden im Jahre 1982 in Beziehung gesetzt. Die Personen wurden nach dem Raucherstatus und nach dem Vorliegen oder Nicht-Vorliegen von Erkrankungen in 4 Gruppen eingeteilt. Raucher (,,Jemals-Raucher“) wurden von ”Niemals-Rauchern“ unterschieden und Personen, die keine Erkrankungen hatten, von solchen, die in der Krankengeschichte oder aktuell folgende Krankheiten angegeben hatten: Krebs, Herzerkrankungen, Schlaganfall, chronische Lungenerkrankungen, akute Erkrankungen zur Zeit der Befragung und Gewichtsverlust im letzten Jahr von mehr als 4,5 kg. Die Gruppen sind der Abb. 1 zu entnehmen. Unabhängig vom Gewicht war die 14-Jahres-Mortalität in diesen 4 Gruppen sehr unterschiedlich. Am niedrigsten war sie bei den Nichtrauchern ohne Erkrankungen (13% bei Männern, 10,5% bei Frauen), am höchsten bei Rauchern mit angegebenen Krankheiten (39% bei Männern, 23% bei Frauen). Die Letalität war in den einzelnen Gruppen bei einem BMI zwischen 23,5 und 24,9 bei Männern und zwischen 22,0 und 23,4 bei Frauen am niedrigsten. Definiert man die Letalität – getrennt nach Gruppen – in diesen beiden Gewichtsklassen als 1,0, dann kann man die Änderung des Risikos zu sterben (Relatives Sterberisiko = RR) in Abhängigkeit vom Gewicht darstellen. Den stärksten relativen Einfluß auf die Letatät hatte starkes Übergewicht (z.B. BMI > 35 bei nichtrauchenden Männern ohne Erkrankungen: RR = 2,0). Bei einem BMI > 40 stieg das RR auf etwa 2,6. Untergewicht (z.B. BMI von ca. 18) führte zu einer Zunahme des RR auf etwa 1,3. Ähnliche, aber weniger deutliche Ergebnisse fanden sich bei den nichtrauchenden Frauen ohne Erkrankungen. Bei allen anderen Gruppen war das RR eines starken Übergewichts weniger ausgeprägt, vermutlich, weil andere Risikofaktoren (Rauchen, andere Krankheiten) als Todesursache überwogen. Deutliches Untergewicht (BMI ca. 18,5) war bei rauchenden Frauen mit oder ohne Erkrankungen ein deutlicher Risikofaktor.

Während in allen Gruppen das Risiko, an Krebs zu sterben, linear mit dem BMI korrelierte, war das Risiko, an kardiovaskulären Erkrankungen zu sterben, graphisch dargestellt, eine U- oder J-förmige Kurve, d.h., das Risiko nahm besonders bei starkem Übergewicht, aber auch bei starkem Untergewicht zu. Interessanterweise erwies es sich, daß starkes Übergewicht bei schwarzen Frauen die Letalität deutlich weniger beeinflußte als bei weißen Frauen und Männern, und dies, obwohl die Adipositas bei schwarzen Frauen besonders häufig vom zentralen, abdominalen Typ ist; offenbar ist diese Fettverteilung bei schwarzen Frauen kein gravierender unabhängiger Risikofaktor.

In den USA haben zur Zeit etwa 33% der Erwachsenen einen BMI zwischen 25 und 30, während bei etwa 22% der BMI > 30 ist. Nur 7% haben einen BMI < 20. Aus diesen Zahlen ist zu ermessen, welchen Einfluß das Übergewicht auf Morbidität und Letalität hat. Die Ergebnisse dieser zusammen mit einer anderen großen Erhebung (2) über die Abhängigkeit der Letalität vom Körpergewicht werden in einem begleitenden Editorial von D.F. Williamson aus Atlanta, USA, kommentiert (3). Ärzte und Patienten werden aufgerufen, nach Überschreiten einer Gewichtszunahme von 4 bis 5 kg in den übergewichtigen Bereich Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Gewichtszunahme durch Ernährungsumstellung und vermehrte körperliche Aktivität zu ergreifen. Medizinische Gesellschaften und Vertreter des Gesundheitssystems werden aufgefordert, im Interesse einer Prävention des Übergewichts den Dialog mit bisher wenig angesprochenen Partnern zu beginnen: Nahrungsmittelproduzenten, Supermarktketten, Versicherungsorganisationen, Unternehmen, die viele Arbeitnehmer beschäftigen, Städte- und Landschaftsplaner und andere, die Struktur des öffentlichen Lebens beeinflussende Personen. Offenbar wächst die Erkenntnis, daß starke Adipositas nicht in erster Linie ein privates Problem der Betroffenen, sondern ein allgemein gesellschaftliches Problem von gravierendem Ausmaß ist.

Fazit: Oberhalb eines Body-Mass-lndex von 25 nimmt das Relative Sterberisiko allmählich zu. Ab einem Body-Mass-Index von etwa 32 ist der Risikoanstieg sehr steil, besonders bei Männern, die keine weiteren Risikofaktoren haben (z.B. Rauchen, andere Krankheiten).

Literatur

  1. Calle, E.E., et al.: N. Eng. J. Med. 1999, 341, 1097.
  2. Stevens, J., et al.: N. Engl. J. Med. 1998, 338, 1.
  3. Williamson, D.F: N. Engl. J. Med. 1999, 341, 1140.

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