Artikel herunterladen

Neuere Fluorchinolone

Zusammenfassung: Das Wirkungsspektrum der neueren Fluorchinolone (z.B. Moxifloxacin, Gatifloxacin) umfaßt jetzt auch die grampositiven und atypischen Bakterien und damit die häufigsten Erreger von Atemwegsinfektionen. Die neueren Fluorchinolone kommen daher grundsätzlich für die initiale Therapie bei dieser Indikation in Frage. Sie sind auch beliebt, weil sie nur einmal am Tag eingenommen werden müssen. Die Preise sind vergleichsweise hoch und das Spektrum der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) unübersichtlich. Zwei Chinolone (Trovafloxacin, Grepafloxacin) sind im vergangenen Jahr wegen UAW vom Markt genommen worden. Daher ist bei dieser Stoffgruppe in den ersten Jahren nach der Zulassung ganz besondere Vorsicht geboten.

Anfang 1999 waren in Deutschland elf Chinolone zugelassen. Im weiteren Verlauf des Jahres wurden zwei Substanzen wegen lebensbedrohlicher UAW vom Markt genommen: Trovafloxacin (Trovan) wegen bedrohlicher Leberfunktionsstörungen und Grepafloxacin (Vaxar) wegen Herzrhythmusstörungen. Nun ist eine Substanz hinzugekommen: Moxifloxacin (Avalox). Eine weitere ist bisher nur in den USA erhältlich: Gatifloxacin (Tequin). In Europa steht die Zulassung kurz bevor. Andere werden folgen.

Moxifloxacin und Gatifloxacin sind sehr ähnlich in ihrer Wirksamkeit (1-5). Charakteristisch ist ihre im Vergleich zu Levofloxacin (Tavanic) etwas höhere Aktivität gegen Pneumokokken, auch gegen penicillin- und chinolonresistente. In Deutschland spielt die Penicillinresistenz der Pneumokokken (noch) keine Rolle; anders ist dies in anderen europäischen Ländern, speziell in Frankreich und in Spanien. Die älteren Chinolone (z.B. Ciprofloxacin = Ciprobay) sind bei uns zur Behandlung von Pneumokokkenerkrankungen wegen mangelnder Wirksamkeit nie empfohlen worden; die neueren Fluorchinolone können bei dieser Indikation eingesetzt werden (6). Sie sind auch wirksam gegen Legionellen, Chlamydien und Mykoplasmen; dagegen sind methicillinresistente Staphylokokken und vancomycinresistente Enterokokken in der Regel auch resistent gegen die neueren Chinolone. Gegen gramnegative Bakterien, auch Pseudomonas aeruginosa, sind sie ähnlich wirksam wie Levofloxacin aber weniger wirksam als Ciprofloxacin. Moxifloxacin kann nur oral, Gatifloxacin oral und intravenös angewandt werden.

Die neueren Fluorchinolone haben wegen ihrer Wirksamkeit im grampositiven und gramnegativen Bereich bereits ihren Platz in der Palette von Antibiotika gefunden, die zur initalen Therapie von Atemwegsinfektionen angewandt werden können. Eine Expertengruppe der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und die Atemwegsliga empfehlen die neueren Chinolone als Alternative zu den seit langem bekannten und bewährten Substanzen für die Initialtherapie sowohl bei allen Schweregraden der akuten Exazerbation der chronischen Bronchitis sowie bei ambulant erworbener und nosokomialer Pneumonie als auch bei pleuralen und HNO-Infektionen (7).

Die Therapieempfehlungen gründen sich einerseits auf epidemiologische Untersuchungen des Erregerspektrums der Infektionen, andererseits auf die bekannten In-vitro-Empfindlichkeiten und Resistenzen der Erreger. Je größer die Gefährdung des Patienten, desto wirksamer soll die Antibiotikatherapie sein. Gegebenenfalls werden Kombinationsbehandlungen gewählt. Klinische Studien, welche die Überlegenheit eines speziellen Antibiotikaregimes über ein anderes statistisch überzeugend belegen, gibt es nicht (8-10). Die Wirksamkeit aller indikationsgerecht eingesetzten Antibiotika ist etwa 90%, auch wenn nach In-vitro-Testungen der in Frage kommenden Erreger eine höhere Erfolgsrate erwartet werden könnte. Die klinische und mikrobiologische Beobachtung antiinfektiv behandelter Patienten ist also unumgänglich, denn bei mindestens 10% muß die antiinfektive Therapie wegen Wirkungslosigkeit des Antibiotikums der 1. Wahl geändert werden. Die neueren Fluorchinolone sind klinisch den älteren nicht sicher überlegen, auch wenn die Werbung von Bayer Vital dies suggerieren will: „Avalox, das Atemwegsantibiotikum; aus langsam wird schnell; die Broncho-Schnellkur von Bayer.“

Bei etwa gleicher Wirksamkeit spielen für die Auswahl des Antibiotikums Preis, Nebenwirkungen und gegebenenfalls Interaktionen mit anderen Medikamenten eine um so größere Rolle. Die Tab. 1 zeigt die Preise von empfohlenen Tagesdosierungen nach der Roten Liste 2000 bzw. der IfAp-Liste.

UAW und Interaktionen: Wir haben vor Jahren den UAW der Antibiotikatherapie eine ausführliche Übersicht gewidmet (11). Seither hat die Bedeutung der Fluorchinolone für die antiinfektive Therapie in der Praxis zugenommen. Daher müssen auch ihre Nebenwirkungen besonders ins Bewußtsein gerückt werden. Insgesamt sind die Fluorchinolone – wie andere Antibiotika auch – gut verträglich. Bei nur etwa 5% der Behandelten kommen UAW vor (12). Die häufigsten sind Schwindel, Durchfall und Hauterscheinungen. Die Fluorchinolone haben aber auch einige gruppenspezifische und z.T. gefährliche UAW. Hierzu zählen: phototoxische Reaktionen an der Haut, Senkung der zerebralen Krampfschwelle, Kopfschmerzen, Unruhe, Benommenheit, Verwirrtheit, Lebertoxizität, Verlängerung der QT-Zeit und Tendovaginitis bis hin zur Achillessehnenruptur (16). Zudem gibt es eine Reihe von bedeutsamen Interaktionen zwischen Fluorchinolonen und anderen Arzneimitteln (13). Ihre Absorption wird durch Substanzen, die zweiwertige Kationen enthalten, erheblich eingeschränkt, so daß die Wirksamkeit nicht mehr gesichert ist: Antazida enthalten oft Aluminium, Kalzium oder Magnesium, Multivitamin-Präparate nicht selten Zink und Eisen. Daher muß der zeitliche Abstand zwischen der Einnahme von Antazida und Fluorchinolonen mindestens zwei bis vier Stunden sein. Bei gleichzeitiger Gabe von Digoxin steigt dessen maximale Plasmakonzentration an, bei gleichzeitiger Gabe von Glibenclamid nimmt dessen Konzentration ab. Einige Fluorchinolone (Ciprofloxacin, Grepafloxacin) werden wie Theophyllin über das Zytochrom P450 1A2 abgebaut. Bei gleichzeitiger Gabe steigt daher die Theophyllin-Konzentration an. Das Zytochrom P450 3A4, das in den Stoffwechsel vieler Arzneimittel eingeschaltet ist, ist am Abbau der Fluorchinolone nicht beteiligt. An diesem zentralen Punkt des Arzneimittelmetabolismus sind daher keine Interaktionen zu erwarten. Fluorchinolone verlängern, wie andere Arzneimittel auch (Makrolide, Antiarrhythmika, Kalziumantagonisten, Phenothiazine, Ketoconazol), die QT-Zeit. Auch der Synergismus dieser UAW ist eine gefährliche, unerwünschte Arzneimittelinteraktion.

Grepafloxacin (Vaxar) wurde im Oktober 1999 von Glaxo Welcome aus dem Handel genommen, nachdem weltweit etwa drei Millionen Patienten damit behandelt worden waren. Kammertachykardien bei Verlängerung der QT-Zeit und insgesamt sieben Todesfälle, davon fünf in Deutschland, waren der Grund. Eine Verlängerung des QT-Intervalls war bis dahin in sorgfältiger toxikologischer, präklinischer und klinischer Analyse zwar erkannt, aber für nicht bedeutsam gehalten worden – ein schwerwiegender Fehler.

Im Juni 1999 gab es einen Warnhinweis der FDA bezüglich Trovafloxacin. In 14 Fällen war unter der Behandlung ein akutes Leberversagen eingetreten, das mit großer Wahrscheinlichkeit auf Trovafloxacin zurückzuführen war. Sechs der Patienten starben. Bei fünf Patienten mußte eine Lebertransplantation durchgeführt werden. Drei Patienten überlebten ohne eine Lebertransplantation. Seither darf in den USA nur unter strengen Auflagen mit Trovafloxacin behandelt werden und zwar nur, wenn die Therapie für lebensrettend gehalten wird oder mit einiger Wahrscheinlichkeit eine infizierte Extremität durch die Therapie vor der Amputation bewahrt werden kann. In Europa ruht seither die Zulassung von Trovan.

Grepafloxacin und Trovafloxacin wurden zugelassen, obwohl kardiotoxische bzw. hepatotoxische Nebenwirkungen schon vor der Zulassung bekannt waren und ihre Wirksamkeit die der bis dahin zugelassenen Chinolone nicht überzeugend übertraf. Das US-amerikanische Patienteninformationsblatt Worst Pills Best Pills – wie DER ARZNEIMITTELBRIEF Mitglied der International Society of Drug Bulletins – diskutiert, warum immer wieder Medikamente zurückgenommen werden müssen, die eben erst für den breiten Gebrauch zugelassen wurden (14): „… um attraktiv für Investoren zu bleiben, müssen die Gesellschaften steigende Aktienpreise versprechen. Um die Erwartung der Wall Street zu erfüllen, muß die Industrie ihre Pipelines voll haben mit neuen Medikamenten. Weil aber wichtige Fortschritte in der Pharmakotherapie sehr selten sind, bringt die Industrie auch ihre Fehler auf den Markt, z.B. Medikamente, wie sie oben erwähnt wurden. Sie müssen zugelassen und zum Verkauf angeboten werden, um den Investoren ansprechende Indikatoren für gute wirtschaftliche Entwicklung zu liefern. Die Öffentlichkeit muß den Preis zahlen in Form von Arzneimittelnebenwirkungen, die hätten verhindert werden können.“

Nun ist Moxifloxacin neu zugelassen worden. Die Werbung in Deutschland ist zurückhaltend. Eine rasende Schnecke auf den Inseraten und Postern soll wohl signalisieren, daß es mit dem neuen Chinolon rascher gelingt, Infektionen zu beherrschen. Aber auch unter Moxifloxacin sind bei den toxikologischen Untersuchungen im Vorfeld Leberschädigungen und Verlängerungen der QT-Zeit beobachtet worden. In den USA gab es anläßlich der Zulassung Pressematerial der Firma Bayer, das pointierter als in Europa die Vorteile des Moxifloxacin für die antibiotische Therapie herausstellte und UAW verwischte. Sofort gab es eine öffentliche Abmahnung durch die FDA, die im Internet zugänglich ist (15). In dieser Abmahnung wird darauf hingewiesen, daß Verlängerungen der QT-Zeit dringend als UAW erwähnt werden müssen und andere Präparate mit ähnlicher UAW nicht gleichzeitig eingesetzt werden dürfen. Bayer darf auch nicht behaupten, daß Moxifloxacin der Entwicklung von Resistenzen entgegenwirkt. Es sei kein überzeugender Wirksamkeitsnachweis bei Infektionen mit resistenten Bakterien erbracht worden. Überhaupt darf eine Überlegenheit von Moxifloxacin nicht herausgestellt werden.

In Deutschland ist in der Fachinformation auf die Risiken hingewiesen worden, aber nicht präzise genug. Unter Kontraindikationen sind angeführt: angeborene oder dokumentierte erworbene QT-Intervall-Verlängerungen, Störungen des Elektrolythaushalts, klinisch relevante Bradykardien, klinisch relevante Herzinsuffizienz, symptomatische Herzrhythmusstörungen. Ein Warnhinweis betrifft die Patienten mit Verlängerung der QT-Zeit. Bei den Wechselwirkungen aber ist die synergistische Verlängerung der QT-Zeit nicht erwähnt, die erwartet werden muß, wenn anderen Präparate eingenommen werden, die ebenfalls die QT-Zeit verlängern. Vielleicht müßten die in Frage kommenden Präparate (s.o.) in der Fachinformation sogar erwähnt werden.

Es ist eine alte Regel, daß Risiken, die erkannt sind, meist früher oder später auch relevant werden. Vor diesem Hintergrund empfiehlt Worst Pills Best Pills (14) seinen Lesern, nur Medikamente anzuwenden, die schon länger als fünf Jahre auf dem Markt sind. Das gilt besonders für Präparate mit bedenklichem Spektrum an UAW. Moxifloxacin gehört dazu.

Literatur

1. The Medical Letter 2000, 42, 15.
2. Blondeau, J.M.: J. Antimicrob. Chemother. 1999, 43, B1.
3. Balfour, J.A.B., und Lamb, H.M.: Drugs 2000, 59, 115.
4. Rodloff, H.C., et. al.: Chemotherapie Journal 1999, 8, 11.
5. Jones, R.N., et al.: Drugs 1999, 58, 173.
6. Chen, D.K., et al.: N. Engl. J. Med. 1999, 341, 233.
7. Vogel, F., et al.: Chemotherapie Journal 2000, 9, 3.
8. Grosser, U.: Chemotherapie Journal 1999, 8, 2.
9. Fogarty, C., et al.: Infections Med. 1999, 11, 749.
10. Wilson, R., et al.: J. Antimicrob. Chemotherap. 1999, 44, 501.
11. AMB 1996, 30, 21.
12. Lipski, B.A., und Baker, C.A.: Clin. Infect. Disease 1999, 28, 352.
13. Stahlmann, R.: Pneumologie 1999, 53, 521.
14. Worst Pills Best Pills 2000, 6, 9 und 33.
15. www.fda.gov/cder/Warn/dec99/wl121599.pdf
16. Müller-Oerlinghausen, B., Lasek, R., Düppenbecker, H., Munter, K.-H. (Hrsg.): Handbuch der unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Urban & Fischer, München 1999, S. 52 ff.

Abbildung 2000-49-1.gif