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Osteoporotische Frakturen infolge Androgen-Entzugstherapie bei Prostata-Karzinom

Beim lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Prostata-Karzinom (PK) vermindert eine Androgen-Entzugstherapie (AET, d.h. GnRH-Agonisten parenteral oder Orchiektomie) die Morbidität, die Beschwerden durch Metastasen und die Letalität. Beim lokal begrenzten PK mit oder ohne Prostatektomie oder Bestrahlung ist der Nutzen für den Patienten weniger klar. Trotzdem wird die AET auch bei lokal begrenztem PK zunehmend angewandt. Im ersten Jahr nach Beginn der AET nimmt der Mineralsalzgehalt des Knochens schnell ab. Hierdurch wird langfristig das Frakturrisiko erhöht. Hinzu kommen bei vielen Patienten zahlreiche allgemeine Beschwerden wie Depression und Abnahme der Muskelkraft. Die Indikation zur AET sollte also mit Sorgfalt gestellt werden.

V.B. Shahinian et al. aus Galveston, Texas, führten eine umfangreiche Untersuchung über die Inzidenz von Osteoporose und Frakturen bei Patienten mit PK durch, die entweder mit oder ohne AET therapiert wurden (1). Hierfür benutzten sie die Anfang der 90er Jahre eingerichtete SEER-Medicare database (National Cancer Institut’s Surveillance, Epidemiology, and End Results) über neu diagnostizierte Malignome in elf Regionen der USA, die auch Daten über Therapie und Verläufe enthält. Erfasst wurden Patienten über 66 Jahre, bei denen zwischen 1992 und 1997 ein PK diagnostiziert worden war. Ziel war es herauszufinden, ob und in welchem Ausmaß eine AET in den ersten zwölf Monaten nach Diagnose des PK die Inzidenz von Frakturen und von diagnostizierter Osteoporose in den folgenden fünf Jahren beeinflusst. Die Ergebnisse wurden einer multivariaten Analyse unterworfen, da eigentlich nur Patienten mit ähnlichen Stadien und „Gradings” des PK miteinander verglichen werden können. Der Vergleich der beiden Gruppen (mit oder ohne AET) erstreckte sich auch auf die Inzidenz von Frakturen und Osteoporose in den zwölf Monaten vor der Diagnose des PK.

Insgesamt nahm die Anwendung der AET im Beobachtungszeitraum bei allen Stadien der Erkrankung seit dem Jahr 1993 (26,7%) ständig zu (1997: 40%). Je älter die Patienten waren, je höher das „Grading” und das AJCC-Stadium, umso häufiger wurde eine AET durchgeführt. Im Jahr vor Diagnose des PK war Osteoporose in beiden Gruppen annähernd gleich häufig, Frakturen waren aber signifikant häufiger in der Gruppe mit (3,41%) als ohne (2,8%) spätere AET (p = 0,01). Ein bis fünf Jahre nach Beginn der AET stieg die Inzidenz der Frakturen insgesamt auf 19,4% mit AET und auf 12,6% ohne AET an. Ein starkes Argument dafür, dass die AET die Ursache der geschilderten Ergebnisse war, ist die Beobachtung, dass die Frakturrate am höchsten war nach Orchiektomie, während bei den mit GNRH Behandelten die Frakturrate eine Funktion der Häufigkeit der Injektionen in den ersten 12 Monaten war. Die Number Needed to Harm (NNH) war z.B. nach Orchiektomie bei 66-69-Jährigen 15, bei > 80-Jährigen 10. Die NNH nach 5-8 Dosen GNRH in den ersten zwölf Monaten war bei den Jüngeren 42 , bei den Älteren 26. Nach neun oder mehr GNRH-Dosen waren die NNH 18 bzw. 12 in den verschiedenen Altersgruppen.

Die Autoren empfehlen, ihre Ergebnisse in prospektiven Studien zu überprüfen. Sie betonen jedoch die erhebliche durch Frakturen verursachte zusätzliche Morbidität bei PK-Patienten und empfehlen, die Indikation zur AET bei Patienten mit lokal begrenztem PK oder lediglich einem Wiederanstieg des PSA-Werts nach Operation oder Bestrahlung zurückhaltend zu stellen. Weiterhin sollte unter AET die Knochendichte wiederholt gemessen werden, und bei deutlich reduzierter Dichte oder nach einer ersten Fraktur mit Bisphosphonaten behandelt werden. Letztere Empfehlung ist auch heute schon Versorgungs-Standard.

Fazit: Eine Androgen-Entzugstherapie bei Prostata-Karzinom (Orchiektomie oder Injektion von GNRH-Agonisten zur „Down-regulation” der Gonadotropine und des Testosterons) erhöht neben anderen UAW das Osteoporose- und Frakturrisiko erheblich und sollte bei frühen Krankheitsstadien des Karzinoms, in denen der Nutzen dieser Therapie unsicher ist, nicht generell angewandt werden.

Literatur

  1. Shahinian, V.B., et al.: N. Engl. J. Med. 2005, 352, 154.