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Der Tyrosinkinasehemmer Sunitinib verursacht sehr häufig primäre Hypothyreosen

Sunitinib (SUTENT®) wurde im Juli 2006 von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMEA) für die Behandlung von Patienten mit nicht resezierbaren Gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) sowie fortgeschrittenen und/oder metastasierten Nierenzellkarzinomen (RCC) zugelassen. Die Behandlung mit Sunitinib sollte nur erfolgen bei Patienten, bei denen eine vorangegangene zytokinbasierte Therapie mit Interleukin-2 oder Interferon-Alpha (RCC) bzw. Imatinib (GIST) keine Wirkung mehr gezeigt hat bzw. Unverträglichkeiten von den genannten Wirkstoffen aufgetreten sind (1). Sunitinib ist ein oral zu verabreichender Inhibitor verschiedener Rezeptor-Tyrosinkinasen, der ursprünglich zur Hemmung des Vascular Endothelial Growth Factor(VEGF)-Rezeptors-2 entwickelt wurde (2). Als schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), die häufig auftreten können, werden in der Fachinformation unter anderem behandlungsbedingte Tumor-Hämorrhagien (bei GIST), gastrointestinale Perforationen, arterielle Hypertonie, Verringerung der linksventrikulären Ejektionsfraktion und Neutro- bzw. Thrombopenie genannt (1). Außerdem wird unter Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnamen für die Anwendung über Hypothyreosen bzw. TSH-Erhöhungen berichtet, die in klinischen Studien vor der Zulassung bei 4%-7% der mit Sunitinib behandelten Patienten beobachtet worden seien (1).

Im Rahmen einer von Pfizer finanziell unterstützten Phase-I/II-Studie waren bereits 2002 bei zwei Patienten mit fortgeschrittenen, Imatinib-refraktären GIST nach etwa einjähriger Gabe von Sunitinib schwere Hypothyreosen aufgetreten (TSH-Werte maximal 288 U/l bzw. 100 U/l). Bei beiden waren vor Therapie mit Suntinib normale TSH-Werte und zum Zeitpunkt der schweren Hypothyreose mit Müdigkeit, Kälteintoleranz und Obstipation sonographisch kein oder nur noch minimales Schilddrüsengewebe nachweisbar (3). Daraufhin wurden bei allen weiteren Patienten, die im Zeitraum von April 2002 bis Dezember 2004 in dieser Phase-I/II-Studie mit Sunitinib behandelt wurden, im Rahmen einer nicht von Pfizer gesponserten Kohortenstudie prospektiv die Häufigkeit und klinischen Symptome von Hypothyreosen untersucht (3). Die meisten Patienten erhielten sechswöchige Therapiezyklen, die jeweils eine vierwöchige Therapie mit Sunitinib (50 mg) und eine zweiwöchige Therapiepause umfassten. Von insgesamt 79 Patienten konnten 42 ausgewertet werden. Bei den restlichen Patienten waren entweder keine TSH-Werte verfügbar, bereits vor Beginn der Behandlung mit Sunitinib Störungen der Schilddrüsenfunktion nachweisbar oder weniger als drei Behandlungszyklen verabreicht worden. Von den 42 Patienten entwickelten 15 (36%) nach durchschnittlich 50 Wochen eine primäre Hypothyreose. Bei neun dieser Patienten war das TSH auf > 20 mU/l (maximal auf 288 mU/l) und bei sechs Patienten auf 7-20 mU/l erhöht. Insgesamt wurden abnorme TSH-Werte bei 26 von 42 Patienten (62%) festgestellt. Das Risiko der Entwicklung einer primären Hypothyreose stieg mit längerer Einnahme von Sunitinib. So war nach 96 Wochen bei 9 von 10 Patienten ein Anstieg der TSH-Werte nachzuweisen. Auch bei der anschließenden Substitution mit L-Thyroxin blieben die TSH-Werte durchschnittlich 17 Wochen lang erhöht, so dass keine transiente Hypothyreose vorgelegen hatte. Als Hinweis auf eine der Hypothyreose vorausgehende und durch Sunitinib verursachte Thyreoiditis (mit leichter Hyperthyreose) werten die Autoren, dass bei 6 von 15 Patienten vor der Diagnose der primären Hypothyreose ein TSH-Wert von < 0,5 mU/l gemessen worden war.

Weitere Ergebnisse von bisher nur als Abstracts veröffentlichten klinischen Studien bei Patienten mit fortgeschrittenen RCC oder GIST bestätigen die sehr häufig unter Sunitinib auftretenden primären Hypothyreosen (bis zu 57%) oder Störungen der Schilddrüsenfunktion und unterstreichen den kausalen Zusammenhang (4-6).

Bei allen Patienten, die mit Sunitinib behandelt werden, sollten aufgrund der bisher vorliegenden klinischen Befunde initial und unter Therapie die Schilddrüsenhormone und das TSH im Blut gemessen und ggf. L-Thyroxin substituiert werden. Bei der Therapie chronischer Virushepatitiden mit Interferonen, die ebenfalls zur Dysfunktion der Schilddrüse führen können, ist dies bereits Routine.

Die genauen zur Hypothyreose führenden molekularen Mechanismen sind noch unklar. Neben einer durch Sunitinib induzierten Thyreoiditis werden eine Hemmung des auch im normalen Schilddrüsengewebe exprimierten Protoonkogens Ret oder eine Schädigung von Endothelzellen in der Schilddrüse aufgrund der Hemmung des VEGF-Rezeptors-2 als mögliche Ursachen diskutiert (2, 3).

In einem Editorial zu der Kohortenstudie wird zu Recht gefordert, dass die zur Werbung verwendeten Begriffe „magic bullet” bzw. „targeted therapy” aufgegeben werden sollten (2). Die heute zur Behandlung von Tumorerkrankungen eingesetzten Tyrosinkinasehemmer haben nicht eine einzelne Zielstruktur, sondern viele. Dass durch Hemmung dieser nur z.T. bekannten Zielstrukturen auch schwere und unerwartete UAW (z.B. Kardiotoxizität, Hypothyreose, Hypophosphatämie, verringerte Fertilität) resultieren können, ist inzwischen durch klinische Untersuchungen gut belegt (7-10). Die ungenauen Angaben in der Fachinformation von Sunitinib zum Risiko der Hypothyreose verdeutlichen darüber hinaus die Defizite in der Erfassung bzw. Auswertung von UAW im Rahmen klinischer Studien vor der Zulassung von Arzneimitteln (11). Obwohl bereits seit 2002 eindeutige Hinweise auf schwere Hypothyreosen durch längere Gabe von Sunitinib vorlagen, wurden in der Fachinformation nur Ergebnisse von Phase-III-Studien berücksichtigt, in denen Patienten deutlich kürzer mit Sunitinib behandelt und hinsichtlich der Schilddrüsenfunktion nicht regelmäßig untersucht worden waren.

Fazit: Die mehrmonatige Gabe des Tyrosinkinasehemmers Sunitinib führt bei Patienten mit fortgeschrittenen Gastrointestinalen Stromatumoren oder Nierenzellkarzinomen sehr häufig zu einer primären Hypothyreose. Unter Therapie mit Sunitinib muss deshalb die Schilddrüsenfunktion regelmäßig überprüft und gegebenenfalls L-Thyroxin substituiert werden. Die Entscheidung, ob bei Auftreten einer primären Hypothyreose mit klinischen Symptomen die Therapie mit Sunitinib fortgesetzt oder pausiert wird, kann nur individuell von den behandelnden Onkologen anhand des Krankheitsverlaufs bzw. vorhandener Therapiealternativen getroffen werden. Die Warnhinweise zur Hypothyreose unter Sunitinib in der Fachinformation sollten rasch ergänzt und korrigiert werden.

Literatur

  1. Pfizer Pharma GmbH: Fachinformation „SUTENT® 12,5/25/50 mg Hartkapseln”. Stand: Juli 2006.
  2. Maitland, M.L., und Ratain, M.J.: Ann. Intern. Med. 2006, 145, 702. Link zur Quelle
  3. Desai, J., et al.: Ann. Intern. Med. 2006, 145, 660 . Link zur Quelle
  4. Martorella, A.J., et al.: 88th Meeting of the Endocrine Society. Boston, 24.-27. Juni 2006, Abstract Nr. 593.
  5. Schoeffski, P., et al.: J. Clin. Oncol. 2006, 24 (Suppl. 18), 3092.
  6. Shaheen, P.E., et al.: J. Clin. Oncol. 2006, 24 (Suppl. 18), 4605.
  7. AMB 2005, 39, 55. Link zur Quelle
  8. Mann, D.L.: Nat. Med. 2006, 12, 881 . Link zur Quelle
  9. Berman, E., et al.: N. Engl. J. Med. 2006, 354, 2006 . Link zur Quelle
  10. AMB 2006, 40, 41. Link zur Quelle
  11. Ray, W.A., und Stein, C.M.: N. Engl. Med. 2006, 354, 194 . Link zur Quelle