Artikel herunterladen

Ergebnisse eines Projekts norddeutscher Kinderkliniken: Arzneimittelbehandlung ist die häufigste Quelle von Risikosituationen

Zusammenfassung: Risiken im Vorfeld von Schäden durch medizinische Behandlung sind oft die Folge trivialer Fehler. Bei der Arzneitherapie betreffen sie vor allem die Verordnung, Zubereitung und Gabe der Mittel. Ein Risikomanagement kann solche Risiken vermindern. Kliniken sollten diese zukunftsweisende Initiative übernehmen und Arzneimittelkommissionen bzw. Krankenhausapotheken in das Risikomanagement adäquat einbinden.

Risikomanagement versucht, risikoträchtige Situationen vorsorgend zu vermindern. Critical Incident Reporting Systems (CIRS) spielen für das Erkennen von Risikosituationen eine wichtige Rolle. Sie sind eine Voraussetzung für effektives Risikomanagement und erfassen vor allem kritische Ereignisse, unerwünschte Ereignisse, Fehler und Beinahe-Schäden (1, 2). Diese sind sehr viel häufiger als tatsächliche Schäden („Spitze des Eisbergs”). Ihre Analyse und Bewertung eignet sich deshalb besonders, vor Ort geeignete Maßnahmen zur Abwehr von Risiken einzuführen und die Zahl tatsächlicher Schädigungen zu vermindern (3, 4).

Projekt: Die Verbesserung der Patientensicherheit, aber auch der Sicherheitskultur im Krankenhaus, war das Ziel eines Risikomanagement-Projekts, das unter der Leitung des Instituts für Gesundheits- und Medizinrecht (IGMR) der Universität Bremen und unter wesentlicher Mitarbeit des Instituts für Klinische Pharmakologie, Klinikum Bremen-Mitte in den Jahren 2005 bis 2007 durchgeführt wurde. Insgesamt nahmen dreizehn norddeutsche Kinderkliniken an dem Projekt teil, unter ihnen die Kinderkliniken in Bremen, Hamburg, Kiel, Hannover und Berlin (5, 6). Die Kliniken berichteten monatlich mit Hilfe standardisierter Bögen kritische Ereignisse an das IGMR, wo sie von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe analysiert und bewertet wurden. Die Ergebnisse wurden den Kliniken regelmäßig und zeitnah als Einzel- und Gesamtauswertung rückgespiegelt. Aus den Berichten wurde monatlich ein „Fall des Monats” entwickelt und mit medizinischen und juristischen Kommentaren den Beteiligten zur Verfügung gestellt. Die strukturierte Kommunikation zwischen den Kliniken und dem IGMR schloss halbjährliche Treffen aller Beteiligten für einen intensiven Erfahrungsaustausch ein.

Innerhalb von 26 Monaten gingen 1299 Berichte beim IGMR ein. Neben statistischen Auswertungen (Meldeverhalten einzelner Berufsgruppen, zeitliches und örtliches Auftreten, Zuordnung zu einzelnen Bereichen, vermutete Auslöser) wurden die Berichte von der externen Arbeitsgruppe typischen Risiken zugeordnet. Unterschieden wurden insgesamt zehn Risikokonstellationen (s. Tab. 1). Sie konnten pro Bericht maximal zweifach zugeteilt werden, so dass den 1299 Berichten 1829 Risiken gegenüberstanden.

Ergebnisse: Kritische Ereignisse im Zusammenhang mit der Arzneimittelbehandlung standen mit 35% aller Risikokonstellationen im Vordergrund (s. Tab. 1). Es folgten Risiken durch Nichteinhalten von Behandlungsstandards (24%) und Risiken durch Dokumentationsmängel (15%). Kommunikationsprobleme – z.B. innerhalb der Pflegekräfte oder Ärzteschaft, zwischen Ärzteschaft und Pflegekräften, zwischen verschiedenen Disziplinen bzw. beim Schichtwechsel – waren in 12% und Organisationsmängel in 9% Ursache kritischer Ereignisse.

Die ermittelten Risiken im Rahmen der Arzneimitteltherapie traten bei der Verordnung (34%), der Zubereitung (29%) und der Gabe (32%) von Medikamenten auf. Ausgabeprobleme durch die Apotheke (5%) waren dagegen seltener. Verordnungsfehler entstanden in Folge inkorrekter oder inkompletter Anordnungen und durch Mängel bei der Übertragung der Verordnungen von einem Dokumentationsmedium auf ein anderes. Bei der Zubereitung dominierten Risiken durch Verwechslung (Arzneimittel, Dosis, Zeit, Patient) oder durch Rechenfehler. Risiken bei der Gabe entstanden durch fehlerhaftes Bedienen (Perfusoren, Infusionssysteme etc.) oder Verwechseln.

Bewertung: Die kritischen Ereignisse wurden fast immer durch eher „triviale” Fehler ausgelöst, die durch einfache Maßnahmen hätten verhindert werden können. Dies galt auch für die Risiken außerhalb der Arzneimitteltherapie. Schon während des Projekts wurden von allen Kliniken Maßnahmen zur Verhinderung kritischer Ereignisse eingeleitet, die vor allem in einer Verbesserung interner Kommunikationsstrukturen, der Organisation von Behandlungsprozessen und sichererer Dokumentation bestanden. Ein wesentlicher Erfolg des Projekts besteht nach Ansicht der Autoren aber auch darin, dass sich die Sicherheitskultur in den Kliniken gewandelt hat – hin zu einem kommunikativen Umgang mit Risiken, auch zwischen den teilnehmenden Klinken. Verfahren zum Risikomanagement scheinen besonders dann effektiv, wenn sie als Teil des Qualitätsmanagements von Klinikleitungen implementiert werden.

Literatur

  1. Köbberling, J.: Med. Klin. 2005, 100, 143. Link zur Quelle
  2. Schrappe, M.: Med. Klin. 2005, 100, 478. Link zur Quelle
  3. Leape, L.L.: N. Engl. J. Med. 2002, 347, 1633. Link zur Quelle
  4. Vincent, C.: N. Engl. J. Med. 2003, 348, 1051. Link zur Quelle
  5. Hart, D., und Wille, H.: BÄK (Hrsg.) Fortbildungskompendium „Fortschritte und Fortbildung in der Medizin”, Bd. 32 (2008/2009) im Druck.
  6. Hart, D., und Becker-Schwarze, K.: Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2007, 12, 87.

Abbildung 2008-41-1.gif