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Johanniskraut genauso gut wie Standard-Antidepressiva?

In einem kürzlich erschienenen Cochrane-Review wird die Effektivität von Johanniskraut zur Behandlung der Depression untersucht (1). Bereits vorangegangene Reviews zu diesem Thema hatten ein positives Ergebnis für Johanniskraut ergeben, waren aber wegen mangelhafter Qualität der eingeschlossenen Studien und der gemeinsamen Evaluation von Patienten mit nur leichten depressiven Symptomen und Patienten mit Major-Depression kritisiert worden. Wir haben über die Wirkungen und Interaktionen von Johanniskraut mehrmals berichtet (2, 3).

In diesem neuen Review beschränken sich die Autoren im Sinne einer Qualitätsverbesserung auf den Einschluss von Studien an Patienten mit Major-Depression und liefern eine separate Analyse von Studien mit höherer und geringerer Qualität. In einem ersten Schritt wurde die Wirkung von Johanniskraut gegenüber Plazebo untersucht. Insgesamt bestätigte sich der bereits in vorangegangenen Reviews dokumentierte, moderate positive Effekt von Johanniskraut. Der Effekt zeigte sich zwar abhängig von der Studienqualität (größerer Effekt in Studien geringerer Qualität), war aber auch in den qualitativ hochwertigen Studien signifikant größer als unter Plazebo.

Im zweiten Schritt wurden Standard-Antidepressiva mit Johanniskraut verglichen. Weder trizyklische Antidepressiva noch selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) hatten einen Vorteil gegenüber Johanniskraut. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die eingeschlossenen Studien wahrscheinlich als Überlegenheitsstudien geplant waren, und der nicht gelungene Nachweis der Überlegenheit nicht mit gleicher Wirksamkeit von Johanniskraut gleichgesetzt werden kann.

Eine Überlegenheit von Johanniskraut fand sich jedoch bei den unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW). Während bei trizyklischen Antidepressiva etwa 10% und bei SSRI etwa 7% der Patienten die Therapie wegen UAW abbrechen mussten, lag diese Quote in der Metaanalyse sowohl bei Johanniskraut als auch bei Plazebo bei etwa 3%. Der Unterschied gegenüber den Standard-Antidepressiva ist hochsignifikant.

Selbst wenn man einen gewissen „Publication Bias” zugunsten von Johanniskraut unterstellt, stimmt das Ergebnis doch nachdenklich hinsichtlich der Verordnung von Standard-Antidepressiva. Denn auch bei diesen ist ja ein erheblicher Publication Bias anzunehmen, da viele bei der FDA eingereichte Zulassungsstudien, die später ein negatives Ergebnis hatten, nie publiziert wurden und dadurch der Effekt von SSRI in der medizinischen Fachliteratur um bis zu 69% überschätzt wird (4). In ihrer Beurteilung schreiben die Autoren des Cochrane-Reviews, dass die derzeitige Datenlage es rechtfertigt, auch bei Patienten mit Major-Depression – zumindest vor dem Einsatz von Standard-Antidepressiva – einen Therapieversuch mit Johanniskraut zu wagen. Nachteilig sei allerdings, dass die für die Wirkung wahrscheinlich relevanten Inhaltsstoffe bei den verschiedenen Präparaten stark variieren und dass Johanniskraut als CYP3A4-Induktor mit vielen verschiedenen Medikamenten interagiert.

Fazit:Sowohl Johanniskraut als auch Standard-Antidepressiva zeigen in systematischen Reviews nur moderate therapeutische Effekte bei der Major-Depression. Bei beiden wird der Effekt wahrscheinlich durch Publication Bias überschätzt. Das günstigere Nebenwirkungsprofil rechtfertigt einen Therapieversuch mit Johanniskraut vor dem Einsatz von Standard-Antidepressiva, wobei allerdings die häufigen Interaktionen mit anderen Pharmaka beachtet werden müssen (2, 3).

Literatur

  1. Linde, K., et al.: Cochrane Database Syst Rev 2008;(4):CD000448. Link zur Quelle
  2. AMB 2000, 34, 17 Link zur Quelle ; AMB 2000, 34, 22 Link zur Quelle; AMB 2000, 34, 43 Link zur Quelle.
  3. AMB 2005, 39, 45a. Link zur Quelle
  4. Turner, E.H., et al.: N. Engl. J. Med. 2008, 358, 252. Link zur Quelle