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Unerwünschte Ereignisse im Krankenhaus – befrage die Patienten!

Ein wesentliches Element der Qualitätskontrolle im Krankenhaus ist die Erfassung unerwünschter Ereignisse. Leider sind die angewandten Methoden nicht standardisiert. Sie reichen von „stiller Dokumentation” über Spontanmeldesysteme, anonyme Meldesysteme, automatisierte Erfassungen (z.B. mikrobiologischer Befunde) bis hin zu stichprobenartigen systematisierten Reviews der Patientenakten. So ist auch zu erklären, dass es ganz unterschiedliche Zahlen zur Häufigkeit unerwünschter Ereignisse im Krankenhaus gibt. Sie reichen von 2,9% bis zu 16,9%. Eine Gruppe aus Boston hat nun die Patienten als wichtige Quelle für solche Informationen erkannt und einen Vergleich angestellt zwischen den Informationen in der Patientenakte (systematisches Review) und einem standardisierten Interview entlassener Patienten (1).

Insgesamt wurden im Jahr 2003 in 16 ausgewählten Krankenhäusern in Massachusetts 998 Patienten per Zufall für die Studie ausgewählt. Diese wurden ca. 6-12 Monate nach ihrer Entlassung in einem 20-minütigen Interview standardisiert nach unerwünschten Ereignissen während und bis zu zwei Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt befragt. Zugleich fand ein Review ihrer Entlassungsbriefe und Patientenakten durch geschulte Studienschwestern statt. Diese suchten gezielt nach dokumentierten und anhand von Listen mit verdächtigen Befunden nach nicht dokumentierten unerwünschten Ereignissen während und bis zu zwei Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt.

Methodik: Alle von den Patienten berichteten oder von den Studienschwestern entdeckten Ereignisse wurden von zwei geschulten Ärzten unabhängig voneinander validiert und nach Schweregrad und Möglichkeit der Vermeidung beurteilt. Ziel der Studie war es, den Wert der Patienteninterviews im Vergleich mit den Akten zu evaluieren.

Ergebnisse: 229 Patienten (23%) berichteten über mindestens ein unerwünschtes Ereignis, 75 von diesen auch über mehrere (1,3 Ereignisse pro Patient). Demgegenüber wurde im Review der Krankenunterlagen nur bei 105 Patienten (11%) mindestens ein Ereignis dokumentiert, bei 23 davon mehrere (1,2 Ereignisse pro Patient). Insgesamt ergaben die Interviews 207 Ereignisse, die überhaupt nicht dokumentiert waren. Andererseits fanden sich in den Krankenakten 36 Ereignisse, über die in den Interviews nichts berichtet wurde. Nur bei etwa einem Viertel der Patienten stimmten die Angaben des Interviews und die Krankenakten überein. Die häufigsten und nur durch das Interview entdeckten unerwünschten Ereignisse waren unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW; n = 114). Bei dieser Form von Komplikationen fand sich nur bei 21/135 Patienten (15%) eine Übereinstimmung von Patienteninterviews und Krankenakten. Meist handelte es sich bei den in den Krankenakten nicht dokumentierten Ereignissen allerdings um klinisch weniger bedeutsame Ereignisse. Bei den schwerwiegenden Komplikationen lag die Übereinstimmung zwischen den Interviews und den Angaben in den Akten bei über 90%. Allerdings waren doch 21 Ereignisse, die als schwerwiegend klassifiziert wurden, in den Akten nicht dokumentiert (darunter drei UAW). Zwölf dieser Ereignisse traten bereits während des stationären Aufenthalts auf (darunter drei Arzneimittel-bedingte Delire), neun erst nach der Entlassung (sechs Wundinfektionen, eine tiefe Beinvenenthrombose, zwei Wunddehiszenzen).

Fazit: Die zurzeit angewandten Methoden zur Erfassung von Komplikationen im Krankenhaus sind unzureichend (2). Dies betrifft besonders die unerwünschten Arzneimittelwirkungen: nur maximal 15% werden in den Akten dokumentiert. Durch routinemäßiges Befragen der Patienten (z.B. nach ihrer Entlassung anschreiben), verbunden mit einem qualifizierten Review der gemachten Angaben, könnte die Sensitivität der Erfassung von Komplikationen deutlich gesteigert werden. Mit dem Bewusstsein, dass im Krankenhaus weit mehr Komplikationen auftreten als bislang angenommen, steigt auch der Druck, sie besser zu erfassen und wirksame Gegenmaßnahmen zu etablieren. Die Arzneimittel- und Hygienekommissionen im Krankenhaus können dabei helfen.

Literatur

  1. Weissman, J.S., et al.: Ann. Intern. Med. 2008, 149, 100. Link zur Quelle
  2. AMB 2008, 42, 41. Link zur Quelle