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Weltgrößter Pharmakonzern stellt Arzneimittelforschung im kardiovaskulären Bereich ein: der Anfang vom Ende der „Blockbuster-Drugs”?

Wie jüngst das US-amerikanische Forbes Magazin unter Berufung auf eine interne Mitteilung von Pfizer Global Research and Development (PGRD) vom 25.9.2008 berichtete (1), plant das größte Pharmaunternehmen der Welt eine strategische Neuausrichtung im Bereich Forschung und Entwicklung, für den Pfizer im Jahr 2007 immerhin 8,1 Mrd. US$ aufgewendet hat (2). Der Konzern sieht sich aus ökonomischen Gründen gezwungen, seine Forschungsaktivitäten auf Bereiche zu fokussieren, in denen „die Patientenbedürfnisse noch nicht durch existierende Therapien abgedeckt sind, ein gewinnversprechender kommerzieller Markt vorhanden ist und Pfizer bereits ausreichend Expertise mitbringt, um wissenschaftlich erfolgreich zu sein”, wie eine Sprecherin mitteilte (3).

Der Konzern will sich aus folgenden so genannten Disease Areas (DA) zurückziehen: Hyperlipidämie, Adipositas, Atherosklerose, pAVK, Herzinsuffizienz, Muskel- und Knochenerkrankungen, gastrointestinale Erkrankungen, Leberzirrhose und Anämie. Folgende DA werden dagegen firmenintern als „große Märkte mit rasch fortschreitender Forschung” angesehen: Onkologie, Diabetes, Inflammation/Immunologie, Schmerzerkrankungen, Psychosen (Schizophrenie) und Alzheimer-Erkrankung. Mit „geringerer Priorität” soll die Arzneimittelentwicklung in den DA Gerinnungshemmung und Transplantation weitergeführt werden. Die geplante Umorientierung betrifft ausschließlich den Bereich Forschung und Entwicklung, nicht das Portfolio bereits auf dem Markt befindlicher Arzneimittel und auch nicht Arzneimittel, die sich bereits in Phase-III-Studien befinden oder innerhalb der nächsten drei Jahre auf den Markt kommen sollen.

Die Entscheidung steht offensichtlich im Zusammenhang mit dem Flop des Lipidsenkers und erhofften Pfizer-Flaggschiffs Torcetrapib. Bei dieser Substanz handelt sich um einen Cholesteryl-Ester-Transfer-Protein-Inhibitor, welcher durch Sequestrierung des Cholesterins eine HDL-Steigerung bewirkt, die durch Kombination mit Atorvastatin noch intensiviert wird. In Interimsanalysen einer ursprünglich bis 2009 angelegten Phase-III-Studie mit 15 000 Patienten zeigten sich eine signifikant höhere Letalität unter Torcetrapib und Atorvastatin im Vergleich zu Atorvastatin alleine (93 vs. 59; p = 0,006) sowie hochsignifikant mehr schwere kardiovaskuläre Komplikationen und koronare Revaskularisationen (738 vs. 589; p < 0,001; 4), weshalb die Studie selbst sowie alle weiteren Studien und Vermarktungsmaßnahmen bereits 2007 eingestellt wurden. Die Angelegenheit bedeutete für Pfizer eine wirtschaftliche Katastrophe und hatte einen dramatischen Kursverlust sowie den Abbau zehntausender Stellen zur Folge. Torcetrapib - dessen Entwicklung bis dahin viel Geld gekostet haben soll - sollte als ökonomischer Ersatz für Atorvastatin (Sortis®, in den USA Lipitor®) fungieren, dessen Patentschutz 2010 ausläuft. Atorvastatin ist das Medikament mit dem weltweit größten Umsatz aller Arzneimittel. 2007 ist außerdem der Patentschutz für Amlodipin (Norvasc®) ausgelaufen, eine weitere von Pfizer entwickelte Substanz mit zentralem Stellenwert im kardiovaskulären Bereich.

Diese Entwicklungen sind kein spezifisches Problem von Pfizer. Neben komplexeren Technologien, etwa für die Herstellung von Biopharmazeutika, und zunehmender Marktsättigung (welche Arzneimittel fehlen uns eigentlich?), liegen die Gründe dafür auch in den strengen Anforderungen an die Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten. Als zentrale Finanzierungsstrategie der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Pharmakonzerne hat sich in den vergangenen Jahren zudem das System der sogenannten Blockbuster-Drugs („Kassenschlager-Arzneimittel”; Definition: Jahresumsatz > 1 Mrd. US$) etabliert, aus deren Gewinnen die Entwicklung ganzer Sparten anderer, großteils gar nicht bis zur Markteinführung gelangender Produkte mitfinanziert wurde. Im Jahr 2000 waren es noch 17 Arzneimittel, die diesen Umsatz erreichten, 2005 waren es bereits 94. Die drei aktuell weltweit umsatzstärksten Arzneimittel kommen alle aus dem kardiovaskulären Bereich. Wenn solch ein Blockbuster den Patentschutz verliert, ohne dass ein vergleichbarer Ersatz vorhanden ist, kann dies eine existenzielle Krise für das Unternehmen bedeuten. Wie am Beispiel Torcetrapib einmal mehr zu sehen ist, lässt sich die Entwicklung eines vermeintlichen Blockbusters aber nicht planen und bleibt für den Hersteller bis zuletzt mit dem Risiko eines Rückzugs verbunden. Zudem wird es infolge der Konkurrenz durch bereits bestehende ähnliche Therapien sowie immer rascher erscheinende „Me-too-Präparate” für die Firmen zunehmend schwierig, eine Quasi-Monopolstellung einer Substanz und damit hohe Gewinne aufrechtzuerhalten. Andererseits können durch erfolgreiches Marketing Arzneimittel einen Blockbuster-Status erreichen, für die keine positiven klinischen Endpunktdaten vorliegen, wie das Beispiel Ezetimib (Ezetrol®) gezeigt hat (5).

Manche Autoren prophezeien daher einen „Untergang der Blockbuster” (6). Eine Alternativstrategie der Pharmaunternehmen ist daher die Suche nach Nischenprodukten für seltene Erkrankungen (7). Diese werden unter bestimmten Voraussetzungen als so genannte „Orphan drugs” von den Zulassungsbehörden bevorzugt behandelt. Über den Umweg multipler seltener Indikationen haben so manche Substanzen bereits den paradoxen Status eines „Orphan Blockbuster” erreicht (8). Tatsache ist aber, dass eine Umorientierung weg von einer kurzfristig gewinnorientierten hin zu einer nachhaltigen bedarfs- und damit patientenorientierten Arzneimittelentwicklung für alle Beteiligten dringend erforderlich ist. Es darf nicht sein, dass die Entwicklung sinnloser und/oder unsicherer Arzneimittel für die Pharmaindustrie überlebenswichtig ist. Ohne Regulationsmaßnahmen auf globalen und nationalstaatlichen Ebenen wird dieses Ziel nicht erreichbar sein. Ein Teil der Lösung könnten z.B. unabhängige, von öffentlichen Stellen koordinierte, klinische Arzneimittelstudien unter Beteiligung der Industriepartner sein, die dann für wirklich innovative Medikamente zu einem verlängerten Patentschutz führen. Eine solche ist von der FDA für die Clopidogrel-Therapie nach Stent-Implantation nach beträchtlichen Anlaufschwierigkeiten nun in Form der DAPT-Studie – ursprünglich CODA-Studie genannt (9).

Fazit: Das „Blockbuster-System” der forschenden Pharmaindustrie erweist sich erwartungsgemäß als nicht nachhaltig positiv. Entwicklungskosten und Investitionsrisiken, insbesondere in hochkompetitiven Bereichen wie in der Kardiologie, machen es für die Firmen nicht mehr rentabel. Das größte Pharmaunternehmen der Welt hat nun angekündigt, sich aus wesentlichen Bereichen der Forschung und Entwicklung zurückzuziehen und sich auf derzeit profitable Forschungsgebiete zu beschränken. Diese Entwicklung ist ein weiterer Beleg für die Unvereinbarkeit von patienten- und marktorientierter Arzneimittelforschung und -entwicklung. Nationale und internationale Regulierungsmaßnahmen und öffentlich geförderte Forschungsprojekte mit industrieller Beteiligung erscheinen dringlicher denn je.

Literatur

  1. http://www.forbes.com/business/2008/09/30/pfizer-drug-agenda-biz-bizhealth-cx_mh_0930pfizermemo.html Link zur Quelle
  2. http://www.pfizer.com/about/leadership_and_structure/company_fact_sheet.jsp Link zur Quelle
  3. http://www.theheart.org/article/908435.do Link zur Quelle
  4. Barter, P.J., et al. (ILLUMINATE = Investigation of Lipid Level management to Understand its iMpact IN ATherosclerotic Events): N. Engl. J. Med. 2007, 357, 2109. Link zur Quelle
  5. AMB 2008, 42, 31. Link zur Quelle
  6. Cutler, D.M.: N. Engl. J. Med. 2007, 356, 1292. Link zur Quelle
  7. Hughes, B.: Nat. Rev. Drug Discov. 2008, 7, Link zur Quelle und Owens, J.: Nat. Rev. Drug Discov. 2007, 6, 99. Link zur Quelle
  8. AMB 2008, 42, 73. Link zur Quelle
  9. AMB 2008, 42, 63. Link zur Quelle