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Fördert das Insulinanalogon Glargin das Krebswachstum?

Zusammenfassung: Die Befürchtung, dass Insulinanaloga, speziell das sehr häufig verordnete, lang wirkende Insulin glargin (Lantus®), das Wachstum von Tumoren fördern können, geht auf tierexperimentelle und in-vitro-Untersuchungen – auch an humanen Tumorzelllinien – zurück (1-6). Vergleichende epidemiologische Untersuchungen von Humaninsulinen und Insulinanaloga bei Diabetikern mit eindeutigen Ergebnissen und Entscheidungshilfen für das praktische Vorgehen gibt es – auch acht Jahre nach der Einführung von Insulin glargin – nicht. Jetzt wurden vier retrospektive Beobachtungsstudien publiziert, die etwas mehr Klarheit bringen sollten. Sie haben verschiedene methodische Schwächen (7) und sind in ihren Ergebnissen, die wir im Folgenden eingehender darstellen und kommentieren, leider inkonsistent. Sie beantworten also die Frage immer noch nicht, geben aber ein ernst zu nehmendes Warnsignal, das dazu führen muss, rasch die bisherigen retrospektiven Daten besser auszuwerten und sofort prospektive Studien mit aussagekräftiger Methodik auf den Weg zu bringen (8). Neu eingeführte Arzneimittel müssen hinsichtlich unerwünschter Wirkungen von Anfang an durch Pharmakovigilanzstudien begleitet werden (vgl. 9).

Angesicht der unsicheren Datenlage zu den potenziellen Risiken von Insulinanaloga ist es derzeit unmöglich, Evidenz-basierte Empfehlungen zu geben. Vorerst sehen wir, wie auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (10), keinen Grund, bei gut eingestellten Patienten nach entsprechender Aufklärung und gegebenenfalls Anpassen der Begleittherapie (Metformin!) die Therapie mit Insulin glargin zu beenden, zumal eine Umstellung auch mit Risiken verbunden sein kann. Bei Patienten, die neu mit Insulin eingestellt werden müssen, sollte sorgfältig abgewogen werden, ob ein Insulinanalogon individuell wirklich Vorteile gegenüber Humaninsulin hat, die den Einsatz rechtfertigen.

Das lang wirkende Insulinanalogon Glargin, dessen Primärstruktur nur geringfügig von der des humanen Insulins abweicht, hat nach s.c. Injektion bei den meisten Patienten eine ca. 24-stündige Wirkdauer und ermöglicht bei Diabetikern mit höhergradigem Insulinmangel mit einer Injektion pro Tag die Imitation einer basalen Insulin-Sekretionsrate. Es kann bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 (DM 2) in Kombination mit oralen Antidiabetika (OAD) oder bei DM 1 sowie DM 2 kombiniert mit Mehrfach-Injektionen kurz wirkender Insuline oder Insulinanaloga (Intensivierte Insulin-Therapie bzw. Basis-Bolus-Therapie) eingesetzt werden (vgl. 11, 12). Eine aktuelle Metaanalyse zur Wirksamkeit und Sicherheit von Insulinanaloga, die auch 49 randomisierte kontrollierte Studien (RCT) zu lang wirkenden Insulinanaloga ausgewertet hat, ergab allerdings nur geringfügige klinische Vorteile der kurz oder lang wirkenden Analoga gegenüber konventionellen Insulinen bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1, Typ 2 oder Schwangerschaftsdiabetes (12).

Alle Insuline und Insulinanaloga wirken über den Insulin-Rezeptor. Sie stimulieren aber auch den Insulin-like growth factor 1 (IGF-1)-Rezeptor, dessen Hauptligand das in der Leber und anderen Organen unter dem Einfluss von Wachstumshormon gebildete IGF-1 ist. IGF-1 kann das Wachstum verschiedener Tumore (Mamma, Dickdarm, Pankreas, Prostata) stimulieren, ist aber selbst nicht mutagen, also nicht Krebs-auslösend. Manche Insulinanaloga, so auch Glargin, stimulieren den IGF-1-Rezeptor deutlich stärker als natürliches oder rekombinant synthetisiertes humanes Insulin (Übersicht bei 3). Bei Patienten mit DM 2 ist das Risiko, an Mamma- bzw. Dickdarm- bzw. Bauchspeicheldrüsen-Krebs zu erkranken um ca. 20% bzw. 30% bzw. 50% erhöht. Bei DM 1 ist das Krebsrisiko um ca. 20% erhöht, mit einer anderen Organverteilung (3). Das erhöhte Krebsrisiko kann bei DM 2 mit Insulinresistenz und zeitweiser Hyperinsulinämie, aber auch mit der Insulintherapie ursächlich zusammenhängen. Da manche Insulinanaloga den IGF-1-Rezeptor stärker stimulieren als humanes Insulin, wurde nach Einführung der Analoga die Möglichkeit eines erhöhten Risikos, an Malignomen zu erkranken, intensiv diskutiert und in präklinischen Untersuchungen analysiert (1-3).

Mitarbeiter des deutschen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) führten nun, acht Jahre nach der Zulassung von Glargin, zusammen mit drei Mitarbeitern des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO) eine umfangreiche retrospektive Kohortenstudie durch, die Hinweise darauf zu ergeben scheint, dass die Anwendung von Glargin in Dosierungen bis zu ca. 50 IE/d dosisabhängig mit einer etwas höheren Inzidenz von Malignomen assoziiert ist als die von Humaninsulin im gleichen Dosisbereich (13). Diese der Zeitschrift Diabetologia (Organ der European Association for the Study of Diabetes) zur Veröffentlichung eingereichte Arbeit wurde zunächst nicht angenommen. Drei weitere Arbeitsgruppen mit Zugriff auf umfangreiche diabetologische Datenbanken in Schweden (14), Schottland (15) und Großbritannien (16) wurden aufgefordert, den Verdacht auf eine Malignom-fördernde Wirkung von Glargin zu überprüfen. Kürzlich erschienen die deutsche Studie (13) und die in Auftrag gegebenen Studien (14-16) mit einem ausführlichen Editorial (3) in der Zeitschrift Diabetologia.

Die deutsche Studie (13): Aus verschiedenen pseudonymisierten Datenbanken der AOK wurden von 1998 bis 2005 folgende Aspekte von Patienten mit DM 1 bzw. DM 2 miteinander verknüpft: Insulinverschreibung umgerechnet auf IE/d, Diagnose eines Malignoms laut ICD-10 oder ICD-9 und Todesfälle. Patienten mit einer Malignomdiagnose in den drei Jahren vor Beginn der Beobachtung wurden ausgeschlossen. Die Patienten durften nur eine Spezies Insulin erhalten haben. Kombinationen mit OAD und anderen Medikamenten wurden auch erfasst. Die Daten von 95 804 Patienten, die nur Humaninsulin (Depot oder kurz wirkend oder Mischinsuline) erhalten hatten, wurden mit denen von 23 855 Patienten, die nur Glargin, 4 103, die nur Aspart sowie 3 269, die nur Lispro erhalten hatten, verglichen. Die mittlere Nachbeobachtungszeit zwischen erfasster Verschreibung von Humaninsulin bzw. Analoga und Feststellung eines Malignoms oder von Tod war 1,63 Jahre (für Humaninsulin 1,70 Jahre, für Glargin 1,31 Jahre!).

Ergebnisse: Die für Kovariate nicht adjustierte Inzidenz von Malignomen (Lokalisation nicht möglich) war 2,5/100 Patientenjahre bei Patienten, die Humaninsulin erhalten hatten. Die Inzidenz unter Glargin war 2,14, unter Aspart 2,16, unter Lispro 2,13/100 Patientenjahre. Für die „unbereinigte” Letalität waren die Zahlen (die Patienten waren bei Beobachtungsbeginn im Mittel etwa 69 Jahre alt): 9,24, 6,30, 5,75, bzw. 6,91 Todesfälle/100 Patientenjahre. Wird die Dosis in eine adjustierte Auswertung einbezogen, kehrt sich das Verhältnis um, da Glargin in der Studienpopulation mit niedrigeren Dosen verordnet wurde. Es wird ein statistisches Modell vorgestellt, in der die Dosierungen in drei Klassen eingeteilt wurden, < 20 IE, 20-40 IE, > 40 IE. In dieser Analyse wird sichtbar, dass eine erhöhte Hazard Ratio (= HR, Inzidenzrate Glargin/Humaninsulin) nur auf Dosierungen über 40 IE beschränkt ist: HR bei 20 IE: 1,13 (0,98-1,3); HR bei 20-40 IE: 1,01 (0,88-1,16); HR bei > 40 IE: 1,59 (1,30-1,94). Das Risiko steigt also – anders als in Abb. 2 der Arbeit dargestellt – nicht linear mit der Glargin-Dosis an.

Kommentar: Die Autoren hatten sich zum Ziel gesetzt, mögliche Risiken jeweils einzelnen Präparaten zuschreiben zu können und deswegen alle Patienten mit Mischverordnungen ausgeschlossen. Im Effekt bedeutet das, dass Glargin-Patienten mit zusätzlicher Injektion von kurz wirkendem Humaninsulin oder Analoga ausgeschlossen wurden, während Patienten mit lang wirkendem Humaninsulin und zusätzlichen Injektionen von kurz wirkendem Humaninsulin in der Studie verbleiben konnten. Aus einer Tabelle mit Basisdaten geht auch hervor, dass fast alle Glargin-Patienten zusätzlich OAD einnahmen (92%), aber nur 77% der Humaninsulin-Patienten. Da Patienten, die hohe Dosierungen benötigen, eher selten ausschließlich mit lang wirkenden Präparaten versorgt werden, sind hohe Dosierungen in der Glargin-Gruppe kaum vertreten. Wohl hauptsächlich dadurch sind die Dosierungen in der Glargin-Gruppe niedriger ausgefallen. Man muss sich nun fragen: sind Patienten mit relativ hoher (ausschließlich) Glargin-Dosis tatsächlich direkt vergleichbar mit Patienten mit hohen Dosen lang plus kurz wirkender Humaninsuline? Oder ist es vielmehr so, dass Patienten mit hohen Dosierungen ausschließlich lang wirkender Insuline eine spezielle klinische Untergruppe darstellen, z.B. Übergewichtige (für BMI wurde leider wegen Datenmangels nicht adjustiert) oder weniger leistungsfähige Patienten, die zu mehreren Insulininjektionen nicht in der Lage sind?

Eine Analyse ist dringend erforderlich, in der die Glargin-Gruppe, so wie sie ist, mit Patienten verglichen wird, denen ausschließlich lang wirkendes Humaninsulin verordnet wurde, d.h. ohne zweifelhafte Linearitätsannahme. Bei der Auswahl der biometrischen Methodik (17, 18) muss gegebenenfalls eine Nichtlinearität des Risikoanstiegs berücksichtigt werden. Hinsichtlich der berechneten dosisabhängigen Zunahme von Malignomen und Todesfällen unter Glargin ist auch die sehr unterschiedliche Größe der Gruppen kritisch zu sehen. Den Zweifeln hinsichtlich der statistischen Relevanz von Risiko-Kalkulationen bei so unterschiedlich großen Gruppen müssen noch medizinische Überlegungen hinzugefügt werden. Die Tabelle mit Basaldaten der verschiedenen Insulin- bzw. Analoga-Gruppen lässt erkennen, dass 92,1% der Glargin-Patienten OAD erhielten, aber nur 77,2% der Humaninsulin-Patienten. Das heißt, die große Mehrheit der Glargin-Patienten erhielt vermutlich abends eine Glargin-Injektion und tagsüber OAD. Die Humaninsulin-Patienten hingegen injizierten entweder 1-2 mal NPH-Insulin und nahmen OAD oder sie wurden nach dem Basis-Bolus-Prinzip oder mit zwei Tagesdosen Mischinsulin oder mit einer Insulinpumpe therapiert. Die Patientencharakteristika könnten in beiden Gruppen also sehr unterschiedlich gewesen sein, was eine Dosis-Risiko-Kalkulation weiterhin erschwert. Zudem ist es fraglich, ob eine Therapie mit einem stärker mitogenen Insulinanalogon innerhalb von im Mittel 1,31 Jahren zu einer erhöhten Inzidenz von Malignomen und vor allem zu Todesfällen führt. In einer rechtzeitig prospektiv geplanten, wenn auch nicht randomisierten Untersuchung hätten leicht zusätzliche Daten erhoben werden können, z.B. Body Mass Index, Lokalisation der Neoplasien und spezifische Todesursachen (1). Es ist sehr zu begrüßen, dass endlich Daten von Krankenkassen systematisch ausgewertet werden, um zusätzliche Informationen zu Arzneimitteln zu gewinnen. In Methodik und Präsentation angreifbare Ergebnisse gefährden jedoch wichtige Ziele der Versorgungsforschung.

Die schwedische Studie (14): In Schweden haben alle Einwohner eine Identitätsnummer, über die Daten aus sieben verschiedenen Gesundheits-relevanten Registern zusammengeführt werden können. Bei 114 841 Diabetikern, die vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 Insulin- bzw. Analoga-Verschreibungen erhalten hatten, wurde vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2007 die Inzidenz von Malignomen registriert. Außer der Gesamtzahl von Malignomen wurde die von Mamma- und Prostatakarzinomen sowie von gastrointestinalen Tumoren ermittelt. Auch hier war die Expositionszeit der Patienten mit den unterschiedlichen Insulinen sehr kurz (ca. 2 Jahre).

Für 10 323 Personenjahre bei Injektion von Glargin im Vergleich mit 148 804 Personenjahren bei Injektion aller Insuline außer Glargin ergab sich eine adjustierte HR für alle Malignome von 1,06 (KI: 0,9-1,25). Für Prostatakrebs und Magen-Darm-Tumore war das Risiko ebenfalls nicht unterschiedlich. 25 Frauen mit Glargin in 4 974 Patientenjahren erkrankten jedoch an Brustkrebs im Vergleich mit 181 Humaninsulin-Patientinnen in 69 358 Patientenjahren. Die adjustierte HR war mit 1,99 (KI: 1,31-3,03) signifikant erhöht zu Ungunsten von Glargin. Wurden jedoch Patientinnen, die Glargin in Kombination mit anderen Insulinen erhalten hatten (41 Patientinnen mit Brustkrebs in 16 882 Frauenjahren) mit Frauen verglichen, die andere Insuline außer Glargin erhalten hatten (183 Patientinnen mit Brustkrebs in 69 358 Frauenjahren), dann war das Risiko unter Glargin nicht signifikant erhöht (HR: 1,1; KI: 0,77-1,56). Da die Autoren es für unwahrscheinlich halten, dass andere Insuline, die zusammen mit Glargin injiziert wurden, eine stimulierende Wirkung von Glargin auf das Tumorwachstum verhindern, halten sie es am ehesten für wahrscheinlich, dass die erhöhte HR für Brustkrebs unter Glargin allein auf „random fluctuations” bei relativ kleiner Fallzahl in der Glargin-Gruppe bedingt sein könnte. Es ist möglich, dass die Frauen der Glargin-allein-Gruppe höhere Dosen als die in der Kombinationsgruppe erhielten. Die Insulin- bzw. Analoga-Dosen konnten in dieser Studie aber nicht ermittelt werden.

Die schottische Studie (15): In Schottland gibt es ein Diabetiker-Register (database), in dem die meisten Patienten der Region erfasst werden. Die Beziehung zwischen dem Insulin- bzw. -Analogon-Typ und der Inzidenz von Karzinomen wurde an zwei Kohorten ermittelt. Kohorte 1 waren 36 254 Patienten mit 715 späteren Krebsfällen, denen innerhalb eines Vier-Monats-Zeitraums im Jahr 2003 Insuline bzw. Analoga verschrieben worden waren. Die Basisdaten der verschiedenen Gruppen in Kohorte 1 (besonders das mittlere Alter) waren sehr unterschiedlich. Kohorte 2 erhielt von Januar 2002 bis zum Ende der Erfassung von Krebsfällen (31. Dezember 2005) entsprechende Verschreibungen (12 852 Patienten mit 381 Krebsfällen). Glargin wurde erst 2003 in Schottland eingeführt.

Ergebnisse: Patienten, die Glargin (allein oder in Kombination mit anderen Insulinen bzw. Analoga) injizierten (n = 3 959), hatten die gleiche Inzidenz von Tumoren wie Nicht-Glargin-Patienten (HR: 1,02; KI: 0,77-1,36). Bei den wenigen Patienten mit Glargin allein (n = 447) war die HR für Tumore im Vergleich mit der viel größeren Zahl von Nicht-Glargin-Patienten (32 295) marginal signifikant erhöht (HR: 1,55; KI: 1,01-2,37; p = 0,045). Die Expositionszeit zwischen den verschiedenen Insulinen und der Erfassung der Endpunkte war sehr kurz. Die Inzidenz von Mammakarzinomen war unter Glargin – bei sehr niedriger Fallzahl dieses Tumors – erhöht. Bei Patienten, die Glargin in Kombination mit anderen Insulinen bzw. Analoga erhalten hatten, war die Krebs-Inzidenz aber niedriger als bei Nicht-Glargin-Patienten (HR: 0,81; KI: 0,55-1,18; p = 0,26).

In Schottland war den Ärzten empfohlen worden, Glargin in erster Linie bei Insulin-pflichtigen älteren Menschen anzuwenden, die zum Teil fremde Hilfe für die Injektionen benötigen. Dementsprechend war das mittlere Alter der Glargin-allein-Patienten in der größeren Kohorte 1 mit 68 Jahren viel höher als das der Nicht-Glargin-Patienten (55 Jahre), während die Patienten, die Glargin plus andere Insuline bzw. Analoga erhalten hatten, noch jünger waren (41 Jahre). In letzterer Gruppe waren vermutlich viele Patienten mit Basis-Bolus-Therapie vertreten. Die Inzidenz früherer Malignome war bei den Glargin-Patienten der Kohorte 1 mit 8,7% entsprechend der Altersdifferenz etwa dreimal so hoch wie in der Glargin-Plus-Gruppe (2,6%) und etwa doppelt so hoch wie in der Nicht-Glargin-Gruppe (4,7%). Unter Berücksichtigung dieser Differenzen führen die Autoren die erhöhte Inzidenz von Tumoren bei den älteren Nur-Glargin-Patienten auf „allocation bias” zurück. In der Kohorte 2, deren Basaldaten (Alter etc.) den Tabellen nicht zu entnehmen sind, fanden sich keine Unterschiede zwischen Glargin und Humaninsulin hinsichtlich des Malignomrisikos.

Die britische Studie (16): Diese Studie, die Daten aus dem 2002 gegründeten „The Health Information Network” (THIN, angeschlossen an 300 Praxen im UK) auswerten konnte, berichtet über die Beziehung zwischen der Art der DM-Medikation und der Inzidenz von Malignomen bei Patienten, deren DM nach dem 40. Lebensjahr diagnostiziert wurde. Es ist unklar, ob auch Daten aus Schottland, das auch zum UK gehört, in der Studie verwendet wurden. Die hier besonders interessierenden, mit Insulin oder Analoga therapierten Patienten waren nach Gründung von THIN auf Glargin allein (n = 2 286), humanes Depot-Insulin (1 262), humanes biphasisches Insulin (2003) oder auf ein biphasisches Analogon (2 483) ein- oder umgestellt worden. Parallel hierzu wurden aber auch DM-2-Patienten unter Metformin-, Sulfonylharnstoff (SH)- und kombinierter Metformin-SH-Therapie in die Studie einbezogen.

Ergebnisse: Das niedrigste Malignomrisiko hatten 31 421 Patienten unter Metformin. Verglichen mit Metformin war das Risiko von 7 439 SH-Patienten signifikant erhöht (HR: 1,36; KI: 1,19-1,54; p < 0,001). Bei 13 882 Patienten mit SH plus Metformin war das Risiko nicht erhöht (HR: 1,08; KI: 0,96-1,21). Bei allen mit Insulinen bzw. Analoga behandelten Patienten war es im Vergleich mit Metformin deutlich erhöht (HR: 1,47; KI: 1,42; p < 0,001). Bei Therapie mit Insulin plus Metformin war die HR jedoch kleiner als 1 verglichen mit Metformin allein.

Im Vergleich mit Glargin allein war die HR für Patienten mit humanem Basal-Insulin nicht signifikant erhöht (HR: 1,24; KI: 0,9-1,7). Zu beachten ist, dass in dieser Studie die Glargin-Gruppe der Bezugspunkt war und dass hier das Risiko unter Humaninsulin (nicht signifikant) höher war als unter Glargin. Die HR für humanes biphasisches Insulin war 0,88 (KI: 0,66-1,19) und für biphasische Analoga 1,02 (KI: 0,76-1,37).

In dieser Studie wurde Glargin korrekterweise nur mit humanem Depot-Insulin verglichen. Überraschend und unerwartet war das deutlich niedrigere errechnete Malignomrisiko bei Patienten, die Metformin zusätzlich zu SH oder Insulin einnahmen (deutlich niedriger nach SH oder Insulin bzw. Analoga allein). Da Patienten unter Metformin allein das niedrigste Tumorrisiko hatten, scheint dieser Substanz auch bei Kombinationstherapie, ein protektiver Effekt zuzukommen, sofern ein solcher Schluss aus einer Assoziationsstudie erlaubt ist.

Zusammenfassende Beurteilung der Studien: In der deutschen und in der britischen Studie war das Gesamtrisiko (ohne Adjustierung für Alter, Dosis und Komedikation) für Malignome unter Glargin etwas niedriger als unter Humaninsulin. In der schwedischen Studie war es etwas erhöht. Alle Daten sind nicht signifikant. In der deutschen Studie war auch das Gesamt-Letalitätsrisiko unter Glargin etwas niedriger als unter Humaninsulin. In der deutschen Studie ergab sich der Verdacht auf ein erhöhtes Malignom- und Letalitätsrisiko für Glargin im Vergleich mit Humaninsulin im höheren Dosisbereich. Wie oben ausgeführt, ist dieser Befund vermutlich das Ergebnis des Vergleichs nicht vergleichbarer Patientengruppen.

In der schwedischen Studie ergaben sich speziell Hinweise auf eine erhöhte Inzidenz von Mammakarzinomen bei mit Glargin behandelten Frauen. Bei deutlich weniger Patientinnen „at risk” nach Glargin als in der Humaninsulin-Gruppe und gleichem Risiko bei Frauen unter Humaninsulin, verglichen mit Glargin plus anderen Insulinen, halten die Autoren, trotz Signifikanz des Befundes, „random fluctuations” der Mammakarzinom-Inzidenz nach Glargin bei kurzer Expositionszeit für wahrscheinlich. Schließlich sei noch einmal bemerkt, dass eine dosisabhängig gesteigerte Letalität unter Glargin im niedrigen Dosisbereich und nach im Mittel 1,31 Jahren Exposition unwahrscheinlich ist.

Es sei daran erinnert, dass die Analysen aller Studien auf den Verschreibungen von Insulin in einem begrenzten Zeitraum (4-6 Monate minimal) und der Erfassung der Inzidenz von Malignomen wenige Jahre danach beruht. Ob die verschriebenen Insuline bzw. Analoga auch in den geschätzten Tagesdosen appliziert wurden, ist nicht bekannt.

Alle Autoren der referierten Studien, die Verfasser eines ausführlichen Editorials in Diabetologia (3), aber auch die Europäische Arzneimittelagentur (8) fordern randomisierte kontrollierte Studien zur Klärung, ob konventionelle Insuline bzw. Insulinanaloga das Tumorwachstum fördern. Es würde aber lange dauern, bis solche Studien aussagekräftige Ergebnisse bringen können. Die Patienten sollten über die nicht geklärte Sicherheitslage informiert werden, aber auch darüber, dass auch die Behandlung mit Humaninsulin das Malignomrisiko erhöhen kann. Die Verfasser des Editorials (3) sind der Meinung, dass die hier vorgelegten Studien und daraus hervorgehende Unsicherheiten in erster Linie Patienten mit DM 2 betreffen und dass sich Patienten mit DM 1 in dieser Hinsicht keine Sorgen zu machen brauchen. Da Patienten mit DM 1 jedoch jünger sind und Insulin bzw. Analoga potenziell länger injizieren, ist diese Aussage nicht logisch.

Literatur

  1. AMB 2002, 36, 09. Link zur Quelle
  2. AMB 2005, 39, 31b. Link zur Quelle
  3. Smith, U., und Gale, E.A.M.: Diabetologia 2009. Link zur Quelle
  4. Mayer, D., et al.: Arch. Physiol. Biochem. 2008, 114, 38. Link zur Quelle
  5. Weinstein, D., et al.: Diabetes Metab. Res. Rev. 2009, 25, 41. Link zur Quelle
  6. Shukla, A., et al.: Endocr. Relat. Cancer 2009, 16, 429. Link zur Quelle
  7. Pocock, S.J., und Smeeth, L.: Lancet 2009, published Online July 20. Link zur Quelle
  8. http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/Lantus/47063209en.pdf Link zur Quelle
  9. AMB 2007, 41, 92. Link zur Quelle
  10. AkdÄ: Newsletter 2009-140 vom 01.07.2009. http://www.akdae.de/49/10/2009-140.html Link zur Quelle
  11. Horvath, K. et al.: http://www.cochrane.org/reviews/en/ab005613.html Link zur Quelle
  12. Singh, S.R., et al.: CMAJ 2009, 180, 385. Link zur Quelle
  13. Hemkens, L.G., et al.: Diabetologia 2009. Link zur Quelle
  14. Jonasson, J.M., et al.: Diabetologia 2009. Link zur Quelle
  15. Colhoun, H.M. (SDRN = Scottish Diabetes Research Network Epidemiology Group): Diabetologia 2009. Link zur Quelle
  16. Currie, C.J., et al.: Diabetologia 2009. Link zur Quelle
  17. Tuffs, A.: BMJ 2009, 339, b2774. Link zur Quelle
  18. Garg, S.K, et al.: Diabetes Technol. Ther. 2009, 11, July 10 [Epub ahead of print]. Link zur Quelle