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Saisonale Influenza: Nutzen von Neuraminidaseinhibitoren bei Kindern in Therapie und Prophylaxe fragwürdig

Kinder sind während Grippeepidemien besonders betroffen. In dieser Altersgruppe können bis zu 40% erkranken (1). Schulkinder sind die Hauptquelle für Infektionen in privaten Haushalten (2). Darüber hinaus sind Komplikationen bei einer saisonalen Influenzainfektion bei Kindern häufig und manchmal schwerwiegend. So kann eine akute bakterielle Otitis media bei 20-50% der Kinder unter sechs Jahren auftreten (3).

Von den mit dem neuen Schweinegrippe-Influenzavirus” (H1N1) infizierten Menschen sind in England 30% Kinder unter zehn Jahren alt gewesen (4). Die WHO hat in der Behandlung und Prophylaxe der neuen Schweinegrippe bei Kindern Neuraminidaseinhibitoren empfohlen (5). Die Schweinegrippe ist aber bei Kindern in Europa bisher sehr milde und deutlich weniger komplikationsreich als die saisonale Influenza verlaufen. Die Datenlage zur Therapie von Kindern mit Schweinegrippe mit Neuraminidaseinhibitoren ist völlig unzureichend.

In einer sehr sorgfältigen Metaanalyse im BMJ wurden jetzt die verfügbaren Studien zur Behandlung und Prophylaxe der saisonalen Influenza von Kindern mit Neuraminidaseinhibitoren untersucht (6). Für die Metaanalyse wurden alle randomisierten kontrollierten Studien herangezogen, in denen Kinder bis zwölf Jahre wegen Verdacht oder nachgewiesener Influenzainfektion mit Neuraminidaseinhibitoren behandelt worden waren. Darüber hinaus wurden alle Studien berücksichtigt, in denen Kinder innerhalb eines Haushalts mit einem Grippeinfizierten prophylaktisch einen Neuraminidaseinhibitor bekamen. Als primärer Endpunkt wurden die Zeiten bis zur Genesung in den Behandlungsstudien bzw. Ansteckung mit Influenza in der Prophylaxegruppe definiert.

In die Metaanalyse gingen 1766 Kinder ein (1243 davon hatten eine bestätigte Influenza). In die Prophylaxestudie gingen insgesamt 833 Kinder ein. Nur in zwei der Behandlungsstudien wurde überhaupt ein signifikanter Unterschied gesehen. Die Genesung in diesen Studien konnte durch die Behandlung mit Neuraminidaseinhibitoren um 0,5-1,5 Tage verkürzt werden. In den Prophylaxestudien konnte durch eine 10-tägige Gabe von Neuraminidaseinhibitoren eine symptomatische Influenzainfektion um 8,5% (95%-Konfidenzintervall: 5-12%) reduziert werden. Nur eine Studie berücksichtigte Asthmasymptome. Es wurde kein Einfluss der Behandlung mit Neuraminidaseinhibitoren auf Exazerbationen eines Asthmaleidens gefunden. Auch der Gesamtverbrauch von Antibiotika wurde durch die Behandlung mit Neuraminidaseinhibitoren nicht gesenkt. Zanamivir (Relenza®) wurde gut vertragen. Unter Oseltamivir (Tamiflu®) trat häufiger Erbrechen auf (Number needed to harm = 20) und auch, vor allem in Japan, bedrohliche neuropsychiatrische Zwischenfälle (7).

Fazit: Nach dieser Studie ist die Wirksamkeit von Neuraminidaseinhibitoren bei Behandlung und Prophylaxe von Kindern mit saisonaler Influenza oder Risiko einer Influenzainfektion sehr gering. Eine generelle Empfehlung, Kinder, die mit dem neuen Schweinegrippevirus infiziert sind, mit Neuraminidaseinhibitoren zu behandeln, ist nach den Erfahrungen bei der saisonalen Influenza nicht gerechtfertigt, zumal die Schweinegrippe in Mitteleuropa bisher bei Kindern weniger schwer als die saisonale Influenza verlaufen ist.

Literatur

  1. Glezen, W.P., et. al.: N. Engl. J. Med. 1978, 298, 587. Link zur Quelle
  2. Poehling, K.A., et al.: N. Engl. J. Med. 2006, 355, 31. Link zur Quelle
  3. Neuzil, K.M., et al.: J. Infect. Dis. 2002, 185, 147. Link zur Quelle
  4. Health protection Agency. HPA weekly national influenza report: week 27. 2009 july 1. www.hpa.org.uk/web/ Link zur Quelle
  5. http://www.who.int/csr/resources/publications/swineflu/clinical_managementH1N1_21_May_2009.pdf Link zur Quelle
  6. Shun-Shin, M., et al.: BMJ 2009, 339, b3172. Link zur Quelle
  7. AMB 2007, 41, 31a. Link zur Quelle