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Erhöhtes Frakturrisiko unter Thiazolidindionen (Glitazonen)

Die Thiazolidindione (Glitazone) Rosiglitazon (Avandia®) und Pioglitazon (Actos®) sind in Deutschland als Monotherapie oder in Kombination mit Metformin und/oder Sulfonylharnstoffen zur Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 zugelassen, die durch Diät, Bewegung und Metformin unzureichend eingestellt sind bzw. bei denen Metformin kontraindiziert ist (1, 2). Die Thiazolidindione bewirken als Agonisten des Peroxisomenproliferator-aktivierten Rezeptors γ (PPARγ) eine Senkung des Blutzuckerspiegels durch Verringerung der Insulin-Resistenz im Fettgewebe, in der Skelettmuskulatur und in der Leber. Glitazonhaltige Arzneimittel wurden im Jahre 2008 mit 69,1 Mio. DDD verordnet, was einer Zunahme von 13,7% im Vergleich zum Vorjahr entspricht (3).

Wir haben wiederholt kritisch über Wirksamkeit und Sicherheit der Thiazolidindione in der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 und zur Diabetesprophylaxe bei verminderter Glukosetoleranz berichtet (4-7). Wirksamkeitsnachweise liegen nur zur Verbesserung von Surrogatparametern wie Blutzuckerspiegel und HbA1c vor. Die günstige Beeinflussung klinischer Endpunkte, d.h. die Reduktion diabetischer Komplikationen, kardiovaskulärer Morbidität und Letalität, ist dagegen nicht belegt (8).

Thiazolidindione können zu Flüssigkeitsretention und Ödemen und zum Auftreten oder Verstärken einer Herzinsuffizienz führen. Deshalb sind sie bei Patienten mit Herzinsuffizienz (NYHA Klassen I bis IV) kontraindiziert. Für Rosiglitazon liegen Hinweise auf ein erhöhtes Myokardinfarktrisiko vor, außerdem treten Hyperlipidämien auf. Als weitere wesentliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) unter Thiazolidindionen sind u.a. Leberfunktionsstörungen, Gewichtszunahme und Anämie bekannt. Daneben mehren sich die Belege dafür, dass Thiazolidindione die Knochendichte verringern und das Frakturrisiko erhöhen können, insbesondere bei Frauen. Schon 2007 wurden von den Herstellerfirmen Rote-Hand-Briefe veröffentlicht, in denen vor einer erhöhten Inzidenz von Frakturen (Oberarme, Hände, Füße) bei Frauen unter Langzeitbehandlung mit Rosiglitazon- bzw. Pioglitazon-haltigen Arzneimitteln gewarnt wird (9, 10). In einer kürzlich veröffentlichten Metaanalyse von zehn randomisierten, kontrollierten Studien mit insgesamt 13 715 Patienten und zwei Beobachtungsstudien mit insgesamt 31 679 Patienten zeigte sich unter einer Langzeitbehandlung mit Thiazolidindionen eine Verdopplung des Frakturrisikos bei Frauen, bei Männern dagegen nicht (11).

Aktuell wurden die Ergebnisse einer großen, universitär und staatlich finanzierten prospektiven Kohortenstudie aus Kanada vorgestellt, die die Assoziation zwischen Einnahme von Thiazolidindionen sowie Sulfonylharnstoffen und dem Frakturrisiko untersuchte (12). Analysiert wurden die Daten von 84 339 Patienten, die wegen eines Diabetes mellitus zwischen Januar 1998 und Dezember 2007 eine Behandlung mit einem Thiazolidindion (n = 10 476, davon 3596 Pioglitazon und 6880 Rosiglitazon) oder einem Sulfonylharnstoff (n = 73 863) begannen. Das mittlere Alter der Patienten betrug 59 Jahre, 43% waren Frauen. Insgesamt wurden in dieser Kohorte 2214 Frakturen dokumentiert, davon betrafen 1673 periphere Knochen. Bezogen auf Patientenjahre traten mehr periphere Frakturen in der mit Thiazolidindionen behandelten als in der mit Sulfonylharnstoffen behandelten Gruppe auf (1,7 vs. 1,5 pro 100 Patientenjahre). Der Unterschied ist auf eine Erhöhung der Frakturrate unter Pioglitazon zurückzuführen (2,2 pro 100 Patientenjahre). Die Berechnung der Hazard-Ratio (HR) zeigte bei Behandlung mit Thiazolidindionen insgesamt im Vergleich zu einer Behandlung mit Sulfonylharnstoffen eine Erhöhung des Risikos für Frakturen peripherer Knochen um 28% (HR: 1,28; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,10-1,48). Die Einnahme von Pioglitazon führte bei Frauen zu einer Erhöhung des Frakturrisikos peripherer Knochen um 77% (HR: 1,76; CI: 1,32-2,38). Bei Männern war die Frakturrate peripherer Knochen unter Pioglitazon allerdings ähnlich erhöht (HR: 1,61; CI: 1,18-2,20). Unter Rosiglitazon wurde ein derartiger Effekt nicht beobachtet. In einer Number-needed-to-harm-Analyse berechneten die Autoren, dass es, wenn 86 Patienten über drei Jahre mit einem Thiazolidindion behandelt werden, zu einer zusätzlichen Fraktur kommt.

Eine Erklärung für das erhöhte Frakturrisiko könnten die Ergebnisse vorklinischer Studien bieten, die zeigen, dass durch Aktivierung des PPARγ mesenchymale Stammzellen bevorzugt in Adipozyten differenzieren, während die Entwicklung von Osteoblasten supprimiert wird. Außerdem steigern Thiazolidindione durch Stimulation der Osteoklasten möglicherweise die Knochenresorption (13).

Fazit: Der Wirksamkeitsnachweis von Thiazolidindionen beschränkt sich auf die Verbesserung von Surrogatparametern, dagegen ist die günstige Beeinflussung klinischer Endpunkte nicht erwiesen. UAW wie Gewichtszunahme und das Entstehen einer Herzinsuffizienz ist beschrieben. Nun mehren sich aus verschiedenen Untersuchungen Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Frakturen der Extremitätenknochen. Trotz einiger Inkonsistenzen deuten die Daten darauf hin, dass diese UAW vor allem bei Frauen, aber auch bei Männern, und unter beiden Thiazolidindionen, besonders aber unter Pioglitazon, auftritt. Insbesondere bei Patienten mit Osteoporose oder erhöhtem Sturzrisiko sollte die Indikation für ein Thiazolidindion zurückhaltend gestellt werden. Konform zum Zulassungsstatus sind Thiazolidindione nicht als Therapeutika der ersten Wahl anzusehen.

Literatur

  1. GlaxoSmithKline: Fachinformation „Avandia® 8 mg Filmtabletten”. Stand: Mai 2009.
  2. Takeda: Fachinformation „ActosTM 45 mg Tabletten”. Stand: August 2007.
  3. Schwabe, U., und Paffrath, D. (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2008. Springer Medizin Verlag Heidelberg.
  4. AMB 2002, 36, 17. Link zur Quelle
  5. AMB 2005, 39, 93b. Link zur Quelle
  6. AMB 2007, 41, 13a. Link zur Quelle
  7. AMB 2006, 40, 93b. Link zur Quelle
  8. AkdÄ 2009: AVP-Sonderheft Therapieempfehlung Diabetes mellitus Typ 2, 2. Auflage.
  9. GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG: Rote-Hand-Brief vom 7. März 2007.
  10. Takeda Pharma GmbH: Rote-Hand-Brief vom 28. März 2007.
  11. Loke, Y.K., et al.: CMAJ 2009, 180, 32. Link zur Quelle
  12. Dormuth, C.R., et al.: Arch. Int. Med. 2009, 169, 1395. Link zur Quelle
  13. Bodmer, M., et al.: Drug Saf. 2009, 32, 539. Link zur Quelle