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Arzneimittel können das Sturzrisiko bei älteren Menschen erhöhen

Zusammenfassung: Alle älteren Patienten sollten mindestens einmal jährlich nach Stürzen gefragt werden. Meist liegt den Stürzen eine Kombination mehrerer Ursachen zu Grunde. Da auch Arzneimittel eine Ursache sein können, müssen sie nach einem Sturz komplett erfasst werden, auch die nicht verschreibungspflichtigen. Nicht unbedingt notwendige Arzneimittel sollten abgesetzt werden. Die Verordnung psychotroper Arzneimittel bei älteren Menschen, speziell von Sedativa/Hypnotika, Antidepressiva und Benzodiazepinen, ist auch unter dem Gesichtspunkt eines erhöhten Sturzrisikos sehr kritisch zu prüfen.

Etwa ein Drittel der über 65-Jährigen stürzt mindestens einmal im Jahr. Sturzbedingte Verletzungen können zu dauerhaften Behinderungen, Einweisungen in Pflegeheime und zum Tod führen (1). Die Häufigkeit von Stürzen steigt mit zunehmendem Alter weiter an. Sie liegt bei 80-89-Jährigen bei 40-50% pro Jahr und bei 90-99-Jährigen sogar deutlich über 50%. Das Alter ist aber möglicherweise kein unabhängiger Risikofaktor für Stürze, sondern wahrscheinlich ein Indikator für die Zunahme anderer Risikofaktoren mit dem Alter (2, 3; vgl. auch 4). Als Risikofaktoren für Stürze wurden verschiedene Merkmale identifiziert, zu denen u.a. Arzneimittel, bereits vorausgegangene Stürze, Balance- und Gangstörungen, Kraftdefizit, Mangelernährung und Sarkopenie, Visusminderung, Erkrankungen mit erhöhtem Sturzrisiko (z.B. M. Parkinson, Demenz, Herzrhythmusstörungen) und weibliches Geschlecht gehören, aber auch situative Faktoren wie unzureichende Beleuchtung oder ungünstige Bodenbeschaffenheit mit „Stolperfallen” (5).

Zu den Risikofaktoren, die am leichtesten zu beeinflussen sind, gehören Arzneimittel. In einer Literaturübersicht aus dem Jahr 1996 hatte sich gezeigt, dass bei über 60-Jährigen die gleichzeitige Einnahme von mehr als drei bis vier Arzneimitteln und besonders psychotropen Arzneimitteln mit einem erhöhten Risiko für Stürze verbunden ist (6). Nun wurde die seitdem publizierte Literatur in einer Metaanalyse ausgewertet (7). Die Untersuchung wurde von staatlichen kanadischen Organisationen finanziert.

In die Metaanalyse wurden 22 Studien (zehn Kohortenstudien, fünf Fall-Kontroll-Studien, sieben Querschnittsstudien) mit insgesamt 79 081 Patienten eingeschlossen. Neun Arzneimittelklassen wurden untersucht (s. Tab. 1). Eine wahrscheinlich notwendige Differenzierung innerhalb dieser Klassen erfolgte nicht. Die Einnahme von Antidepressiva war mit dem höchsten Risiko für Stürze assoziiert. Für diese Arzneimittel wurde eine Odds ratio (OR = Chancenverhältnis) von 1,68 berechnet, d.h., die Wahrscheinlichkeit zu stürzen ist bei Patienten, die ein Arzneimittel dieser Klasse einnehmen 1,68 mal so hoch wie bei Patienten, die ein solches Arzneimittel nicht einnehmen.

Auch nach Adjustierung für Variable, wie Geschlecht, Alter und Begleiterkrankungen, war nur die Einnahme von Antidepressiva und Benzodiazepinen mit einem statistisch signifikant erhöhten Risiko für Stürze assoziiert, nicht jedoch die Einnahme von Neuroleptika/Antipsychotika. Auch für Diuretika und Betablocker zeigte sich nach Abschluss der Analysen kein erhöhtes Risiko für Stürze.

Werden bei älteren Patienten die Arzneimittel, die Stürze begünstigen können, abgesetzt oder in der Dosis verringert, nimmt die Zahl der Stürze ab und die Muskelkraft zu. Eine Ausnahme sind offenbar die Benzodiazepine, die in dieser Hinsicht besonders problematisch sind (8). Vitamin-D-Supplementierung in den hochnormalen Bereich soll bei alten Patienten (≥ 80 Jahre) das Sturzrisiko vermindern (4).

Literatur

  1. MMWR Morb. Mortal. Wkly. Rep. 2006, 55, 1221. Link zur Quelle Erratum ibid.: 2006, 55, 1303.
  2. DEGAM-Leitlinie Nr. 4: Ältere Sturzpatienten: Link zur Quelle Letzter Zugriff: 11.12.2009
  3. Guidelines for the diagnosis and management of syncope (version 2009): the Task Force for the Diagnosis and Management of Syncope of the European Society of Cardiology (ESC): Eur. Heart J. 2009, 30, 2631. Link zur Quelle
  4. AMB 2009, 43, 94b. Link zur Quelle
  5. Modreker, M.K., und von Renteln-Kruse, W.: Der Internist 2009, 50, 493. Link zur Quelle
  6. Leipzig, R.M., et al.: J. Am. Geriatr. Soc. 1999, 47, 30 Link zur Quelle und 40. Link zur Quelle
  7. Woolcott, J.C., et al.: Arch. Intern. Med. 2009, 169, 1952. Link zur Quelle
  8. van der Velde, N., et al.: Br. J. Clin. Pharmacol 2007, 63, 232. Link zur Quelle

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