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Erste tiefe Beinvenenthrombose mit oder ohne Embolie: Welche Dauer der Antikoagulation ist ausreichend oder optimal?

Die Autoren von sieben bereits publizierten Studien aus Frankreich (zwei), Schweden, Kanada (zwei), Italien und den USA stellten sich gemeinsam die Frage nach der optimalen Dauer der Antikoagulation mit Vitamin K-Antagonisten nach einer ersten tiefen Beinvenenthrombose oder Thromboembolie (TE). Sie werteten die bereits publizierten Studien gemeinsam aus, und einige Autoren fügten neuere Ergebnisse zu bestimmten Diagnose-Untergruppen oder zur Therapiedauer hinzu (1). Das Effektivitäts-Kriterium war die prospektiv erfasste Inzidenz von Rezidiv-Thrombosen oder TE nach Absetzen der Antikoagulanzien während der bis zu 24 Monaten dauernden Nachbeobachtungszeit.

Weil die Zahl der eingeschlossenen Patienten relativ groß war (n = 2925; 52% Männer), ließen sich statistisch ausreichend valide Aussagen auch zu Untergruppen, wie tiefe proximale oder distale Beinvenenthrombosen, provozierte oder idiopathische Thrombosen sowie Patienten mit oder ohne Lungenembolie machen. Die INR-Werte während der Antikoagulation lagen in den Studien zwischen 2,0 und 3,0 oder zwischen 2,0 und 2,85. Patienten mit Malignomen waren von den Studien ausgeschlossen.

Ergebnisse:

  • Nach tiefen distalen TE traten Rezidive nur halb so häufig auf wie nach tiefen proximalen TE (Hazard Ratio = HR: 0,49; 95%-Konfidenz-Intervall = CI: 0,34-0,71).

  • TE-Rezidive sind ebenfalls etwa nur halb so häufig nach provozierten (z.B. lange Flüge oder postoperativ) wie nach unprovozierten, idiopathischen ersten TE (HR: 0,55; CI: 0,41-0,74).

  • Nach proximalen Thrombosen mit Embolie ist die Häufigkeit von TE-Rezidiven nur unwesentlich und nicht signifikant höher als nach proximalen ersten TE ohne Lungenembolie (HR: 1,19; CI: 0,87-1,63).

  • TE-Rezidive waren häufiger, wenn die Antikoagulation nach einem oder 1,5 Monaten beendet wurde im Vergleich mit einer Antikoagulationsdauer von 3 oder mehr Monaten (HR: 1,52; CI: 1,14-2,02). Zwischen 3 und 6 Monaten Antikoagulation waren die Unterschiede im Gesamtkollektiv der Patienten nicht signifikant. In einer Studie wurde 12 bis 27 Monate lang antikoaguliert, ohne dass die Rezidivhäufigkeit nach Beendigung der Antikoagulation signifikant geringer war als nach 3 oder 6 Monaten Antikoagulation. Bei Patienten mit eindeutig provozierter TE war die Rezidivhäufigkeit nach 1 bis 1,5 Monaten Antikoagulation allerdings nicht höher als nach 3 oder mehr Monaten Antikoagulation. Bei unprovozierten TE waren Rezidive nach 6 oder mehr Monaten Antikoagulation etwas seltener als nach nur 3 Monaten Antikoagulation.

  • Das Rezidivrisiko ist in den ersten 3-6 Monaten nach Beendigung der Antikoagulation am größten. Ab 10 Monate nach Beendigung der Antikoagulation ist es mit ca. 4 TE-Rezidiven pro 100 Patientenjahre nicht mehr abhängig von der ursprünglichen Dauer der Antikoagulation.

  • Nach 3 oder 6 oder mehr Monaten Antikoagulation war die Rate der Lungenembolien und der isolierten proximalen Rezidiv-Thrombosen innerhalb der ersten 6 Monate der Nachbeobachtung mit ca. 10% der Patienten fast gleich. In den folgenden 18 Monaten der Nachbeobachtung waren Lungenembolien mit ca. 4% deutlich seltener als proximale Rezidiv-Thrombosen (ca. 7,5%).

In der Regel ist eine dreimonatige Antikoagulation nach einer TE ausreichend, wobei Risikofaktoren berücksichtigt werden können und ein individueller Ermessensspielraum bleibt. Erinnert sei an unser Referat einer Studie, nach der das Rezidivrisiko nach erster unprovozierter tiefer TE bei Männern etwa doppelt so hoch ist wie bei Frauen (2). Bei Hochrisiko-Patienten mit hereditärer Thrombophilie oder bei bereits rezidivierten TE ist eine lebenslange Antikoagulation zu erwägen. Hier ist immer das altersabhängige Blutungsrisiko gegen das Risiko einer erneuten TE abzuwägen. Wichtig ist die Instruktion der Patienten über Frühsymptome eines TE-Rezidivs, so dass eine erneute Antikoagulation vor Auftreten von Komplikationen begonnen werden kann.

In einem diese Metaanalyse begleitenden Editorial führt Saskia Middeldorp aus Amsterdam die Risiken einer zeitlich unbegrenzten Antikoagulation näher aus (3). Sie betont, dass das Letalitätsrisiko durch TE-Rezidive mit der Zeit abnimmt, während das Letalitätsrisiko durch größere Blutungen bei lang dauernder Antikoagulation mit zunehmenden Alter zunimmt.

Fazit: Nach einer ersten tiefen Thrombose mit oder ohne Embolie (TE) ist bei Patienten ohne Malignom in der Regel eine Antikoagulationsdauer von drei Monaten ausreichend. An dieser Erkenntnis hat sich in den letzten 14 Jahren nicht viel geändert (4). Bei eindeutig provozierter TE (z.B. Operation, langer Flug) kann die Zeit der Antikoagulation etwas verkürzt werden. Bei idiopathischen, unprovozierten TE ist das Rezidivrisiko bei länger als drei Monate dauernder Antikoagulation etwas geringer. Das Rezidivrisiko ist bei Unterschenkel-Thrombosen nur halb so hoch wie bei proximalen Thrombosen mit oder ohne Lungenembolie. Bei Hochrisiko-Patienten muss das Blutungsrisiko einer lang dauernden Antikoagulation gegen das Risiko von TE-Rezidiven sorgsam abgewogen werden.

Literatur

  1. Boutitie, F., et al.: BMJ2011, 342, d3036. Link zur Quelle
  2. AMB 2011, 45,30b. Link zur Quelle
  3. Middeldorp, S.: BMJ2011, 342, d2758. Link zur Quelle
  4. AMB 1997, 31,84. Link zur Quelle