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Die Zulassung von Medizinprodukten in Europa – wer will, der kann

Alle Medizinprodukte und medizinischen Geräte müssen, wenn sie auf dem europäischen Markt in Verkehr gebracht werden sollen, mit der sog. CE-Kennzeichnung (Communauté Européenne) versehen sein. Mit diesem CE-Zeichen erklärt der Hersteller, dass alle für das Produkt relevanten EU-Richtlinien eingehalten worden sind und eine Rechtskonformität besteht. Erhält man das CE-Zeichen in einem EU Land, dann gilt dies in aller Regel für alle anderen 26 Länder. Es ist kein Gütesiegel, sondern lediglich ein „Verwaltungszeichen”.

Die CE-Kennzeichnung für Medizinprodukte wird von einer sog. „Benannten Stelle” vorgenommen. Dabei sollte es sich um eine „neutrale und unabhängige Organisation” handeln, beispielsweise der TÜV. Eine hinter dem CE-Zeichen stehende vierstellige Kennnummer identifiziert die jeweils beteiligte Institution.

Um eine „Benannte Stelle” werden zu können, müssen die interessierten Institutionen im Rahmen eines aufwändigen Benennungsprozesses nachweisen, dass sie fachlich kompetent, unabhängig und unparteilich sind. Offenbar gibt es mittlerweile in Europa mehr als 70 „Benannte Stellen”, die um Kundschaft konkurrieren. Dabei scheint die Unparteilichkeit hin und wieder auf der Strecke zu bleiben, wie ein Experiment des British Medical Journal und des Daily Telegraph gezeigt hat (1). Redakteure dieser Zeitungen haben sich Zulassungspapiere für ein künstliches Hüftgelenk ausgedacht und sich für einen nicht existenten chinesischen Hersteller „Changi” ausgegeben. Das fiktive, zu zertifizierende Hüftimplantat ähnelte einer 2010 wegen Metallabriebs vom Markt genommenen Prothese des französischen Herstellers DePuy und beinhaltete darüber hinaus gesundheitsschädliche Metalle. Die Zertifizierung wurde bei 14 „Benannten Stellen” in fünf EU-Ländern beantragt. Der Antrag wurde dort nach Aktenlage geprüft und von mindestens zwei Organisationen für eine europaweite Zulassung vorbereitet. Offenbar wussten die Prüfstellen nichts voneinander, auch scheinen die Prüfstandards uneinheitlich zu sein. Besonders unangenehm fiel dabei das tschechische „Institut pro Testování a Certifikace” (ITC) auf. Ein Vertreter dieser Organisation soll den vermeintlichen Herstellern im Gespräch bedeutet haben, dass sie sich keine Sorgen wegen der Zertifizierung machen sollten: Man sähe sich prinzipiell auf Seite der Hersteller und nicht auf Seiten der Patienten (2). ITC scheint insgesamt sehr kreativ zu sein. So betreibt man beispielsweise eine Niederlassung in Seoul, die asiatische Produkte für den europäischen Markt „vorbereitet” (3).

Reibt man sich da nicht die Augen? Ein weiteres Mal scheinen in der EU ökonomische Interessen Vorrang vor dem Verbraucherschutz zu haben. Mit solchen Praktiken schädigt man nicht nur die Verbraucher, sondern auch die seriöse einheimische Industrie und die Idee der europäischen Union generell.

Wir fordern erneut, dass die Zulassung von Medizinprodukten in der EU wesentlich strenger reglementiert wird. Die Zertifizierung gehört unter staatliche Kontrolle und darf nicht dem freien Wettbewerb ausgesetzt werden. Hersteller von Medizinprodukten außerhalb der EU sollten sich die Zertifizierungsorganisation nicht aussuchen dürfen. Ihre Anträge müssen zentral bearbeitet werden. Danach wird ihnen eine nationale Organisation zugewiesen. Es darf auch keinesfalls ein Antrag für eine CE-Kennzeichnung an mehreren Stellen gestellt werden. Dies sollte durch Vernetzung der Organisationen generell unmöglich sein.

Für das „Inverkehrbringen” von Medizinprodukten in Europa sollten ähnlich strenge Regeln gelten wie für die Arzneimittelzulassung. Jedes neue Produkt muss in klinischen Studien beweisen, dass es effektiv und vor allem für die Patienten sicher ist. In den USA ist dies längst Standard. Dort wird von der FDA zertifiziert. In Europa sind die Regeln offensichtlich zu lasch. Der Nachweis einer Rechtskonformität und das Einhalten von Richtlinien gelten für medizinische Implantate ähnlich wie für Billigspielzeug aus Fernost. Weil es in Europa so einfach geht, kommen viele Implantate hier zuerst auf den Markt. Am Beispiel der transkutanen Herzklappen oder der renalen Denervation sieht man, wohin das führt. Eine evidenzbasierte Beurteilung wird bei Implantaten weitgehend außer Acht gelassen. Ohne valide klinische Langzeitergebnisse werden in Europa Hunderttausende solcher Eingriffe vorgenommen, frei nach dem Motto: Wer will, der kann. Wir brauchen eine Implantat-Vigilanz, Register der Defekte und eine Regelung der Haftung. Wahrscheinlich gibt es nur eine wirksame Maßnahme gegen die Missstände bei Medizinprodukten: Gesetze!

Literatur

  1. www.bmj.com/press-releases/2012/10/23/joint-bmj-telegraph-investigation-exposes-flaws-regulation-medical-devices Link zur Quelle
  2. www.sueddeutsche.de/gesundheit/medizinskandal- gefaehrliche-implantate – werden-eu-weit – problemlos-zugelassen-1.1506756 Link zur Quelle
  3. www.bmj.com/content/345/bmj.e7225 Link zur Quelle