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Überaktive Blase: orale Anticholinergika versus injiziertes Onabotulinumtoxin A

Es gibt Schätzungen wonach bis zu 20% älterer Menschen unter einer überaktiven Blase leiden (1). Die Definition umfasst die folgenden, individuell mehr oder weniger stark ausgeprägten Symptome (2):

  • Pollakisurie (≥ 8 Miktionen/24 h bei einer Harnmenge bis 2,8 l/24 h),
  • imperativer Harndrang (plötzlich und ohne Vorwarnung einsetzend mit der Gefahr des Harnverlustes,
  • Nykturie (Gewecktwerden durch Harndrang und Blasenentleerung),
  • Dranginkontinenz (Harnverlust in Zusammenhang mit imperativem Harndrang).
  • Es sollten dabei keine lokalen, metabolischen, systemisch-neurologischen oder endokrinen Erkrankungen zugrunde liegen.

Männer und Frauen unterscheiden sich nicht in der Häufigkeit der überaktiven Blase, jedoch in der Art (bei Frauen häufiger Dranginkontinenz) und im Beginn der Symptome (bei Frauen starke Zunahme ab dem 44., bei Männern ab dem 64. Lebensjahr).

Häufig wird mit Anticholinergika-Tabletten behandelt (vgl. 3). Ein Cochrane Review aus dem Jahr 2006 (4) kam zu dem Schluss, dass Anticholinergika zwar zu einer statistisch signifikanten Besserung der Symptome führen (Relatives Risiko: 1,39), allerdings häufig begleitet sind von systemischen unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW), besonders einer unangenehmen Mundtrockenheit (RR: 3). Onabotulinumtoxin A wird bei überaktiver Blase ebenfalls angewendet. Es wird unter zystoskopischer Kontrolle direkt in den Detrusormuskel injiziert. Dadurch bleiben den Patienten möglicherweise systemische UAW erspart. Bislang gab es noch keine vergleichende Studie Onabotulinumtoxin A lokal versus Anticholinergika systemisch.

Dies hat jetzt eine Studie an Frauen nachgeholt. Sie war multizentrisch, randomisiert und für beide Arme mit aktivem Wirkstoff – Onabotulinumtixin A – doppelt-blind und plazebokontrolliert angelegt (5). Ziel war es nachzuweisen, ob durch Onabotulinumtoxin A (Botox®) im Vergleich zu Anticholinergika die Harndrangepisoden reduziert werden können und wie sich Lebensqualität oder Häufigkeit der UAW beeinflussen lassen.

Hierzu wurden insgesamt 249 Frauen ohne neurologische Grunderkrankung mit mittel- bis schwergradiger Dranginkontinenz (> 4 Drangepisoden am Tag, im Mittel 5) eingeschlossen und ein halbes Jahr lang behandelt. Frauen mit größeren Restharnmengen (> 150 ml) wurden ausgeschlossen, weil Überlaufblase eine bekannte UAW von Botox-Injektionen ist.

In der Anticholinergika-Gruppe (A) erhielten die Frauen 5 mg/d Solifenacin (Vesikur®) sechs Monate lang mit der Option einer Dosiserhöhung bzw. einem Wechsel auf Trospium (Spasmex® u.a.) bei unzureichendem Effekt plus eine einmalige Injektion von physiologischer NaCl-Lösung in den Detrusormuskel. In der Onabotulinumtoxin A-Gruppe (B) erhielten die Frauen eine einmalige Injektion in den Detrusormuskel (100 U Onabotulinumtoxin A) sowie sechs Monate lang täglich eine Tablette Plazebo.

Die Patientinnen stellten sich alle zwei Monate vor. Die Symptome wurden mit dem Patient Global Symptom Control (PGSC)-Fragebogen erfasst (1-5 Punkte, wobei eine steigende Punktzahl eine Besserung der Symptome wiedergibt). Weiterhin führten sie ein sog. Miktions-Tagebuch. Der primäre Endpunkt war die Häufigkeit von Dranginkontinenz-Episoden. Sekundäre Endpunkte waren u.a. diverse Inkontinenz-Scores und die Lebensqualität. Sicherheitsendpunkte waren jede UAW, insbesondere trockene Schleimhäute, Obstipation, Harnwegsinfektionen, die Notwendigkeit einer Blasenkatheterisierung und Restharn über 300 ml.

Ergebnisse: Von 472 gescreenten Frauen wurden 249 randomisiert. Nach sechs Monaten befanden sich noch 118 Patientinnen in Gruppe A und 113 in Gruppe B. Die demografischen und medizinischen Risiken waren in beiden Gruppen gleich verteilt (mittleres Alter 57 Jahre, mittlerer BMI 32). Die mittlere Reduktion von Drangepisoden war laut Miktions-Tagebuch in beiden Gruppen gleich (-3,4 Episoden/d in Gruppe A und -3,3 Episoden/d in Gruppe B; p = 0,81). Frauen in Gruppe B berichteten häufiger über ein vollständiges Verschwinden der Dranginkontinenz (27% vs. 13%; p = 0,003). Nach sechs Monaten wurden bei 71% der Patientinnen in Gruppe A und bei 70% in Gruppe B die Symptome als ausreichend behandelt bewertet. In beiden Gruppen kam es zu einer gleichen Verbesserung der Lebensqualität nach diversen Fragebögen. Nebenwirkungen wurden in beiden Gruppen ebenfalls gleich häufig gezählt (69% vs. 73%; p = 0,7). In Gruppe A trat erwartungsgemäß signifikant häufiger Mundtrockenheit (46% vs. 31%; p = 0,02) auf. In Gruppe B waren intermittierende Blasenkatheterisierungen wegen zuviel Restharn gemäß den Studienkriterien erforderlich: bei 5% in den ersten zwei Monaten, bei 3% im 3. und 4. Monat und bei 1% im 5. und 6. Monat. In Gruppe A war nach Studienkriterien keine Katheterisierung nötig. Überraschend groß ist die Zahl von zusätzlichen intermittierenden Selbstkatheterisierungen: Gruppe A vs. B in den ersten zwei Monaten 2% vs. 12%, im 3. und 4. Monat 1% vs. 10% und im 5. und 6. Monat 1% vs. 5%. Harnwegsinfektionen traten ebenfalls signifikant häufiger in Gruppe B auf (33% vs. 13%; p < 0,001).

Kritisch sei angemerkt, dass die ABC-Studie statistisch nicht ausreichend „gepowert“ war für die Aussage „Äquivalenz“ oder „Nichtunterlegenheit“. Trotzdem sprechen die Autoren in ihrem Fazit von einer Gleichwertigkeit der Behandlungen. Dem muss in Anbetracht häufigerer und potenziell schwerwiegender Komplikationen nach Botox-Injektion (Überlaufblase, Harnwegsinfektionen) widersprochen werden.

Fazit: Eine überaktive Blase mit Dranginkontinenz kann bei Frauen durch zystoskopisch gesteuerte, einmalige Injektion von Botox in den Detrusormuskel über einen Zeitraum von sechs Monaten ähnlich gebessert werden wie mit einer oralen anticholinergen Therapie (von fünf Episoden auf etwa zwei Episoden pro Tag). Ein Unterschied ergibt sich bei den UAW. Unter Anticholinergika treten häufiger systemische UAW auf (trockene Schleimhäute) und nach Botox-Injektion häufiger Harnwegsinfekte sowie die Notwendigkeit von Blasenkatheterisierungen wegen zu großer Restharnmengen. Da Harnwegsinfekte und Blasenkatheterisierungen als gefahrvoller einzuschätzen sind als Mundtrockenheit, kann die Botox-Injektion nur ein Ersatzverfahren bei Unwirksamkeit oder Unverträglichkeit anderer Therapien sein.

Literatur

  1. Stewart, W.F.(NOBLE = National Overactive BLadder Evaluation): World J. Urol. 2003,20, 327. Link zur Quelle
  2. AMB 2003, 37, 44 Link zur Quelle . AMB 2006, 40, 02 Link zur Quelle . AMB 2007, 41, 01. Link zur Quelle
  3. http://www.dggg.de/ … Leitlinien/1-3-5-ueberaktive-blase-2010_01.pdf Link zur Quelle
  4. Nabi, G., et al.: Cochrane Database Syst Rev. 2006 Oct18;(4):CD003781. Link zur Quelle
  5. Visco, A.G.,et al. (ABC = Anticholinergic versus Botulinum toxin Comparison):N. Engl. J. Med. 2012, 367, 1803. Link zur Quelle