Artikel herunterladen

Neuropsychiatrische Nebenwirkungen unter Vareniclin – keine Entwarnung

Vareniclin (Champix®) ist ein wirksames Mittel zur Raucherentwöhnung: Im Vergleich zu einer Behandlung mit Plazebo erhöht es die Chancen zwei- bis dreifach, langfristig mit dem Rauchen aufzuhören (1, vgl. 2). Verglichen mit einer Nikotinersatz-Therapie, beispielsweise mit Pflastern, ist allerdings kein Vorteil nachgewiesen (1). Wegen der Nebenwirkungen, besonders der seit der Markteinführung diskutierten neuropsychiatrischen Nebenwirkungen, sehen wir es nur als Mittel der zweiten Wahl zur Raucherentwöhnung, ebenso wie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (3, 4). Das Risiko für diese Nebenwirkungen wurde nun in einer aktuellen Metaanalyse überprüft (5).

Vareniclin wirkt als partieller Agonist am α4β2-Subtyp der nikotinischen Acetylcholin-Rezeptoren und konkurriert mit Nikotin um die gleiche Bindungsstelle. Allerdings hat Vareniclin eine höhere Affinität. Durch den partiellen Agonismus können Entzugssymptome gelindert und gleichzeitig der Belohnungs- und Verstärkungseffekt des Rauchens reduziert werden, weil Nikotin nun nicht mehr auf mesolimbische dopaminerge Zentren wirken kann (6).

Nach der Zulassung von Vareniclin haben Meldungen über neuropsychiatrische Nebenwirkungen zu Warnhinweisen der europäischen und US-amerikanischen Zulassungsbehörden geführt; sie wurden auch in die Fachinformation aufgenommen. Zu den neuropsychiatrischen Symptomen gehören neben Denkstörungen, Angstzuständen, Psychosen und Aggressivität vor allem Depression, Suizidgedanken und -versuche (3, 6, vgl. 7).

Hinweise auf diese Nebenwirkung ergaben sich aus Berichten des Spontanmeldesystems. Daten aus Beobachtungsstudien und einer Metaanalyse von 17 Studien, die vom Zulassungsinhaber finanziert worden waren, erbrachten kein erhöhtes Risiko für Suizid, Suizidversuch oder Depression. Die aktuelle Metaanalyse untersucht, ob sich in kontrollierten Studien ein erhöhtes Risiko für neuropsychiatrische Nebenwirkungen nachweisen lässt (5). Die Autoren geben in ihren Erklärungen zu Interessenkonflikten keine finanziellen Verbindungen mit dem pharmazeutischen Unternehmer (pU) Pfizer an.

In die Untersuchung wurden alle Studien eingeschlossen, in denen die Teilnehmer randomisiert entweder die Maximaldosis von Vareniclin (1 mg zweimal täglich) erhalten hatten oder Plazebo. Die Studien wurden vom Zulassungsinhaber oder aus anderen Quellen finanziert. Fast die Hälfte der Probanden waren chronische, schwere Raucher, d.h. sie hatten durchschnittlich 20 Zigaretten pro Tag über 26 Jahre geraucht.

In 39 Studien mit 10.761 Teilnehmern starben zwei Personen durch Suizid (beide in der Vareniclin-Gruppe), und vier versuchten einen Suizid, davon zwei in der Vareniclin- und zwei in der Plazebo-Gruppe. Statistisch ergab sich kein signifikant erhöhtes Risiko für Suizid oder Suizidversuch (Odds Ratio = OR: 1,67; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,33-8,57), Suizidgedanken, Depression, Reizbarkeit, Aggression oder Tod in der Vareniclin-Gruppe im Vergleich zur Plazebo-Gruppe. Die Ergebnisse bei den primären Endpunkten Depression und Suizidgedanken waren unabhängig von einer Reihe von Einflussfaktoren, darunter Alter, Geschlecht, Vorhandensein oder Fehlen von psychiatrischen Vorerkrankungen und Art des Sponsors der Studie (pU oder andere). Die Einnahme von Vareniclin war verbunden mit einem erhöhten Risiko für Schlafstörungen (OR: 1,63; CI: 1,29-2,07), Schlaflosigkeit, abnorme Träume und Müdigkeit, aber mit einem verminderten Risiko für Angst (OR: 0,75; CI: 0,61-0,93).

Was sind die Gründe für die Diskrepanz zwischen den Daten aus dem Spontanmeldesystem und aus kontrollierten klinischen Studien? Das erklärt ein begleitendes Editorial (8) folgendermaßen:

  • In klinischen Studien sind Endpunkte zur Arzneimittelsicherheit meist sekundäre Endpunkte und damit nur eingeschränkt aussagekräftig.
  • Patienten mit psychiatrischen Vorerkrankungen scheinen aus mindestens 18 kontrollierten Studien zu Vareniclin ausgeschlossen worden zu sein.
  • Männer waren in den Studien überrepräsentiert, doch Vareniclin scheint besonders bei Frauen psychiatrische Nebenwirkungen auszulösen.
  • In den meisten Studien der Metaanalyse wurde die Einnahme von Vareniclin über 12 Wochen untersucht, wie in der Fachinformation empfohlen. In der klinischen Realität erhalten allerdings nur wenige Patienten Vareniclin über genau diesen Zeitraum.
  • Die begrenzte Zahl von Patienten in klinischen Studien kann verhindern, seltene Nebenwirkungen zu erkennen.
  • Patienten in klinischen Studien werden besser überwacht, was raschere Interventionen ermöglicht.

Fazit: In einer Metaanalyse randomisierter, kontrollierter Studien zur Raucherentwöhnung ergab sich für Vareniclin im Vergleich mit Plazebo kein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für Suizid, Suizidversuch, Suizidgedanken, Depression oder Tod, jedoch für Schlafstörungen, Schlaflosigkeit und abnorme Träume. In einem begleitenden Editorial wird wegen der anhaltenden Berichte im Spontanmeldesystem dennoch empfohlen, entzugswillige Personen vor möglichen psychiatrischen Nebenwirkungen von Vareniclin zu warnen und es gegebenenfalls abzusetzen, um schwere Folgen, wie z.B. Suizid, zu verhindern. Unter Vareniclin wurden auch andere schwere Nebenwirkungen beschrieben (z.B. kardiovaskuläre), und es scheint nicht wirksamer zu sein als Nikotinersatz-Präparate. Für uns bleibt es weiterhin Mittel der zweiten Wahl.

Literatur

  1. Cahill,K., et al.: Cochrane Database Syst. Rev. 2012, doi: 10.1002/14651858.CD006103.pub6. Link zur Quelle
  2. AMB 2007, 41, 36. Link zur Quelle
  3. Tabakabhängigkeit –Therapieempfehlung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, 2.Auflage 2010.
  4. AMB 2011, 45, 70a. Link zur Quelle
  5. Thomas, K.H., et al.: BMJ 2015, 350, h1109. Link zur Quelle
  6. Fachinformation Champix®0,5 mg/1 mg Filmtabletten. Pfizer Pharma GmbH, Stand November 2014.
  7. AMB 2014, 48, 49 Link zur Quelle; AMB 2009, 43, 01. Link zur Quelle
  8. Harrison-Woolrych, M.: BMJ 2015, 350, h1168. Link zur Quelle