Die heute in der
Tumortherapie eingesetzten zytostatisch wirksamen Medikamente entstammen
unterschiedlichen Substanzgruppen. Neben der Einteilung nach Substanzklassen
mit Untergruppen und Einzelsubstanzen (s. Tab. 1) werden Zytostatika auch
eingeteilt nach ihrer Wirkung auf den Zellzyklus in phasenspezifische (wirken
nur während bestimmter Phasen des Zellzyklus), zyklusspezifische (erfassen alle
Phasen des Zellzyklus außer der G0-Phase) und zyklusunspezifische
(erfassen auch Zellen in der G0-Phase) Wirkstoffe bzw. nach ihren
Wirkungen auf ”kritische Zielmoleküle" (DNS, DNS-Synthese, RNS, Protein)
(1).
Zytostatika sind
Medikamente mit sehr geringem therapeutischem Index. Häufigkeit und Schweregrad
ihrer unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) werden von verschiedenen
Faktoren (z.B. Dosisintensität, d.h. applizierte Dosis pro Zeiteinheit,
Applikationsform, zeitliche Abfolge der Applikation, Applikation als Mono- oder
Polychemotherapie, Patientenmerkmale) bestimmt. Genaue Kenntnisse sind eine
wichtige Voraussetzung, um UAW zu vermeiden bzw. zu verringern und somit
Zytostatika in optimaler Dosierung sicher einzusetzen; diese betreffen die
pharmakokinetischen (insbesondere Biotransformation und Elimination) sowie
pharmakodynamischen Eigenschaften der Zytostatika (2-5), ihre möglichen
Interaktionen mit gleichzeitig verabreichten Pharmaka (6, 7), aber auch die
Berücksichtigung von Patientenmerkmalen, z.B. Leber- und Nierenfunktion,
Knochenmarkreserve, vorausgegangene Chemo- und/oder Strahlentherapie,
Begleiterkrankungen und die weitere Medikation (8, 9). Allerdings sind viele
UAW der Zytostatika prinzipiell nicht zu vermeiden, da sie aus den
pharmakologischen Wirkungen resultieren, z.B. zytotoxische Effekte durch
Beeinträchtigung der DNS-, RNS- und/oder Proteinsynthese, Hemmung der
Zellteilung, Auslösung von Apoptose. Die UAW können anhand ihres zeitlichen
Auftretens unterteilt werden in sofort, früh, verzögert auftretende UAW und
Spätschäden, die sich in der Regel erst nach Monaten bis Jahren
manifestieren (4, 10; vgl. AMB 1983, 17, 57). In den Tab. 2A bis 2C
sowie Tab. 3 sind die häufigen UAW zusammengestellt und zusätzlich seltene dann
erwähnt, wenn sie eine besondere klinische Bedeutung haben (11). Wegen des
großen Umfangs der Daten werden die Tab. 2C und 3 in der nächsten Ausgabe des
AMB veröffentlicht. Myelosuppression und Schädigung der Schleimhäute im Bereich
der Mundhöhle (Stomatitis) bzw. des Gastrointestinaltrakts (Mukositis) sind
Folgen der antiproliferativen Wirkungen von Zytostatika auf normale Körperzellen
mit hoher Teilungsrate (Tab. 2A). Schweregrad und Dauer dieser früh
auftretenden UAW bestimmen die Intervalle, in denen Zytostatika verabreicht
werden können. Sie sind abhängig vom Wirkungsmechanismus und Angriffspunkt der
Zytostatika im ZeIlzyklus. So gibt es schnell einsetzende und rasch reversible
Schädigungen nach S-Phase-spezifischen Zytostatika (z.B. Antimetaboliten) bzw.
verzögert auftretende und gelegentlich lang anhaltende Schädigungen nach
zyklusunspezifischen Zytostatika, die auch Zellen in der G0-Phase
erfassen (z.B. Alkylsulfonate). Bei den verzögert auftretenden UAW sind
insbesondere toxische Effekte auf spezielle Organe (z.B. Kardio-, Neuro-,
Nephro- und pulmonale Toxizität; Tab. 2B) zu beachten (12-17), die neben der
Myelosuppression häufig dosislimitierend sind und bei Überschreiten einer
kumulativen Gesamtdosis des jeweiligen Zytostatikums schwere, mitunter
irreversible Organschäden zur Folge haben. Bei allen Zytostatika muß aufgrund
des Wirkungsmechanismus mit embryotoxischen Wirkungen gerechnet werden. Eine
Chemotherapie muß im 1. Trimenon der Schwangerschaft grundsätzlich vermieden
werden und sollte bei Tumorerkrankungen, bei denen primär eine Chemotherapie
indiziert ist, erst im 2. Trimenon begonnen werden (18).
Um UAW frühzeitig
zu erkennen und ggf. die Dosierung von Zytostatika rechtzeitig individuell
anpassen zu können, sind Kontrolluntersuchungen erforderlich (Blutbild
mit Leukozyten, Differentialblutbild, Thrombozyten, Erythrozyten; Überprüfen
der Leber-/Nierenfunktion, Elektrolyte, Harnsäure und ggf. auch
Gerinnungsparameter). Der Umfang begleitender Untersuchungen (z.B.
Echokardiographie, Lungenfunktion, Audiometrie, neurologische Untersuchung)
richtet sich nach der Art der Behandlung und der spezifischen Toxizität der
verwendeten Substanzen.
Basierend auf den
langjährigen Erfahrungen mit Zytostatika wurden supportive Therapiekonzepte entwickelt
(19-23), z.B. antiemetische Therapie (s. AMB 1997, 31, 93b und Tab. 3),
Behandlung der Chemotherapie-induzierten Diarrhö (s. AMB 1998, 32, 1),
empirische antimikrobielle Therapie bei Neutropenie mit Fieber (s. AMB 1996, 30, 9) sowie Prä- und Posthydratation kombiniert mit osmotischer Diurese bei
Cisplatin. Diese Maßnahmen haben ebenso wie das Beachten spezieller
Organtoxizitäten und das Einhalten kumulativer Gesamtdosen wesentlich dazu
beigetragen, die UAW zu verringern und die Akzeptanz der Chemotherapie durch
den Patienten zu verbessern. Die Intensivierung der Standard-Chemotherapie und
der zunehmende Einsatz der Hochdosis-Chemotherapie haben das Interesse
verstärkt auf zytoprotektive sowie sog. ”Rescue"-Substanzen gelenkt (s.
AMB 1998, 32, 21a und 1999, 33, 6). Durch sie sollen normale
Zellen, nicht aber die Tumorzellen, vor zytotoxischen Effekten geschützt und
dadurch die Chemotherapie in der geplanten Dosisintensität bzw. in den
gewünschten Zeitintervallen ermöglicht werden. Als etablierte zytoprotektive
bzw. ”Rescue"-Substanzen gelten heute hämatopoetische Wachstumsfaktoren,
Mesna und Kalziumfolinat (24-28). Andere Substanzen (z.B. Amifostin,
Dexrazoxan) befinden sich noch in klinischer Erprobung (14, 28).
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