In
früheren Mitteilungen haben wir mehrfach und ausführlich über hormonale
Kontrazeptiva als Risikofaktoren für thromboembolische Ereignisse, Schlaganfall
und Herzinfarkt berichtet (AMB 1998, 32, 30; 1997, 31, 11; 1996, 30,
1; 20). Die vor einigen Jahren aufsehenerregenden Studien - insbesondere die
European Transnational Study (Contraception 1997, 56, 129) und eine
WHO-Studie (Lancet 1997, 349, 1202) - berichteten über ein signifikant
erhöhtes Myokardinfarkt-Risiko bei Einnahme östrogenhaltiger hormonaler
Kontrazeptiva insgesamt und bei Einnahme von Kontrazeptiva der dritten
Generation (mit Desogestrel oder Gestoden als Progestagen-Komponente)
insbesondere. In beiden Studien war die ”statistische Power" jedoch nicht
ausreichend, um die Frage, ob orale Kontrazeptiva in dieser Hinsicht
Risikofaktoren sind, klar zu beantworten, da Myokardinfarkte bei jüngeren
Frauen, Gott sei Dank, sehr seltene Ereignisse sind. Weiterhin ist es bei
Fall-Kontroll-Studien, um die es sich in beiden Fällen handelte, immer sehr
schwer, einen ”Verschreiber-Bias" oder andere schwer erkennbare Verschiedenheiten
zwischen den ”Fällen" und den meist altersentsprechenden Kontrollen
auszuschließen.
Aus diesem Grund
machten sich N. Dunn et al. (Brit. Med. J. 1999, 318, 1579) aus
Großbritannien die Mühe, noch einmal eine sorgfältige Fall-Kontroll-Studie zu
dieser Frage mit größerer Fallzahl durchzuführen. Alle Myokardinfarkte bei 16-
bis 44jährigen Frauen des Zeitraums 1993 bis 1995 wurden aufgrund der
nationalen Statistiken von England, Wales und Schottland erfaßt. Die
Erfassungsgenauigkeit wurde überprüft und aufgrund regionaler genauer
Nachuntersuchungen als 67% sensitiv und 100% spezifisch erkannt. Alle
Patientenakten wurden von Experten erneut angesehen und nur von drei Experten
bestätigte Herzinfarkte (n = 448) in die Studie einbezogen. Aus den Krankenhäusern
und Praxen wurden jeweils vier Kontroll-Patientinnen der gleichen Altersgruppe
zu einem Kontrollkollektiv vereinigt (n = 1728). 73% der Patientinnen, die den
Infarkt überlebt hatten, konnten im Hinblick auf ihre Vorgeschichte und
besondere Risikofaktoren (z.B. Rauchen) interviewt werden. Bei den verstorbenen
Patientinnen war dies durch Angehörigen-Interviews nur bei 20% möglich.
Insgesamt ergab
sich, daß die ”Adjusted odds ratio" für Myokardinfarkt mit 1,4 (Fälle
versus Kontrollen) nur gering und nicht signifikant erhöht war. Das
95%-Konfidenz-lntervall betrug 0,78-2,52. Für ”Pillen" der zweiten
Generation (weniger als 50 µg Ethinylöstradiol pro Pille plus Levonorgestrel
oder Norethisteron) betrug die Odds ratio 1,1 und für ”Pillen" der dritten
Generation 1,96 (für letztere war das Konfidenz-Intervall 0,87-4,39). Auch die
Odds ratio für ”Pillen” der dritten Generation war nicht signifikant erhöht.
Darüber hinaus hatte die Dauer der Einnahme oraler Kontrazeptiva keinen Effekt
auf die Inzidenz von Herzinfarkten. 87% der Frauen mit Herzinfarkt hatten nie
orale Kontrazeptiva genommen und 88% hatten klassische kardiovaskuläre
Risikofaktoren wie Nikotin-Konsum, Hypertonie, Hyperlipidämie und Diabetes
mellitus. Zigarettenrauchen war hochsignifikant mit Myokardinfarkt assoziiert,
die Odds ratio betrug 12,5 (!) mit einem Konfidenzintervall von 7,29-21,5. Im
Brit. Med. J. (1999, 318, 1583) findet sich ein Kommentar von O.
Lidegaard aus Kopenhagen zu diesem wichtigen Artikel, in dem die Perspektiven
dieser neuen Ergebnisse diskutiert werden.
Fazit: In dieser Studie
mit ausreichender ”statistischer Power" fand sich kein signifikanter
Zusammenhang zwischen der Einnahme oraler Kontrazeptiva und Myokardinfarkt.
Zigarettenrauchen und andere bekannte kardiovaskuläre Risikofaktoren sind von
weitaus größerer Bedeutung. 73% der Infarkte ließen sich vermeiden, wenn Frauen
dieser Altersgruppe überhaupt nicht rauchen würden.
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