Eine
multidisziplinäre Arbeitsgruppe (Neurologen, Kardiologen, Hausärzte,
Pflegepersonal u.a.) hat im Auftrag der US-amerikanischen National Stroke
Society ein Konsenspapier zur Primärprävention des Schlaganfalls erarbeitet und
im JAMA veröffentlicht (1999, 281, 1112).
In diesem Papier
werden sieben modifizierbare Risikofaktoren für einen Schlaganfall benannt:
arterielle Hypertonie, Koronare Herzerkrankung, Vorhofflimmern, Diabetes
meIlitus, asymptomatische Karotisstenosen, Rauchen und Alkohol.
1. Arterielle
Hypertonie: Erhöhter Bluthochdruck ist der häufigste und bedeutsamste
Risikofaktor für einen Schlaganfall.
Nach der
Minnesota-Studie ist das relative Risiko (RR) für einen Schlaganfall bei
Hypertonikern vierfach erhöht, und in der Framingham-Studie wurde berechnet,
daß pro 10 mmHg Erhöhung des systolischen Blutdruckes das RR um 1,16 steigt.
Viele Studien
konnten nachweisen, daß eine medikamentöse Blutdrucksenkung zu einer deutlichen
Abnahme der Morbidität führt. Eine Senkung des diastolischen Drucks um 5 bis 6
mmHg senkt das Schlaganfallrisiko um 40%, und die konsequente Behandlung eines
isolierten systolischen Hochdruckes im Alter führt zu ähnlichen Effekten
(SHEP-Studie, s.a. AMB 1994, 28, 81). Dem steht gegenüber, daß nur etwa
30% der Hochdruck-Patienten ausreichend antihypertensiv behandelt sind. Eine
alleinige medikamentöse Therapie ist in den meisten Fällen nicht ausreichend.
Unabdingbar sind "Lifestyle-Änderungen" (Gewichtsreduktion, größere
körperliche Aktivität) und stetige psychologische Interventionen durch den Arzt
zur Verbesserung von Motivation und Compliance.
2. Koronare
Herzkrankheit: Das Risiko, nach einem Herzinfarkt einen Schlaganfall zu
erleiden, ist erhöht; die jährliche lnzidenz beträgt 1 bis 2%. Zur Prophylaxe
stehen drei Substanzen zur Verfügung: Thrombozytenaggregationshemmer, orale
Antikoagulanzien und Lipidsenker.
Azetylsalizylsäure
(ASS) ist Standard zur Sekundärprophylaxe des Herzinfarkts und senkt zugleich
das Risiko, in der Folge einen Schlaganfall zu erleiden, um 40%. In
Absolutzahlen: es müssen 200 lnfarktpatienten mit ASS behandelt werden, um
einen Schlaganfall pro Jahr zu verhindern (Number needed to treat = NNT = 200).
Neuere Thrombozytenhemmstoffe dürften vergleichbare Effekte haben; dies ist
jedoch nur zur Sekundärprophylaxe ausreichend untersucht.
Niedrig dosiertes
Phenprocoumon bzw. Warfarin (INR 2-3) ist bei Postinfarktpatienten zur primären
Schlaganfallprophylaxe nur bei Vorhofflimmern oder reduzierter
linksventrikulärer Pumpfunktion (EF < 28%) oder über Monate persistierendem
Ventrikelthrombus indiziert. Der Absoluteffekt dieser Antikoagulanzientherapie
ist bei diesen Subgruppen höher als unter ASS (NNT < 100).
Die Hyperlipidämie
alleine wird nicht als unabhängiger Risikofaktor für einen Schlaganfall
angesehen. Bei gleichzeitig bestehender Koronarer Herzerkrankung ist jedoch das
Schlaganfallrisiko erhöht. In mehreren Studien konnte nachgewiesen werden, daß
bei Herzinfarktpatienten mit Hyperlipidämie unter Therapie mit
HMG-CoA-Reduktase-Hemmern nicht nur weniger Reinfarkte, sondern auch weniger Schlaganfälle
auftreten. Auch lnfarktpatienten ohne erhöhte Cholesterinspiegel erleiden
statistisch meßbar unter HMG-CoA-Reduktase-Hemmern weniger Schlaganfälle. Die
Effekte sind bei diesen Patienten jedoch nicht groß und auf wenige Subgruppen
beschränkt (vgl. AMB 1999, 33, 29).
3. Vorhofflimmern: Das Risiko eines
Schlaganfalls bei chronischem, nicht durch wirksame Herzklappenfehler
verursachtem Vorhofflimmern beträgt etwa 6%/Jahr. Mehr als ein Drittel aller
Schlaganfälle bei Patienten über 80 Jahren werden auf Vorhofflimmern
zurückgeführt. Insbesondere für Patienten mit zusätzlichen Risiken (Alter >
75 Jahre, anamnestisch TIA oder Schlaganfall, Hypertonie, Herzinsuffizienz und
Diabetes mellitus) und fehlenden Kontraindikationen wird eine niedrig dosierte
Antikoagulation (INR 2-3) empfohlen. Dadurch kann das Schlaganfallrisiko um
nahezu 70% reduziert werden. Alle übrigen Patienten mit chronischem
Vorhofflimmern sollten ASS erhalten (s. AMB 1993, 27, 18; 1994, 28,
21; 1995, 29, 62).
4. Diabetes
mellitus: Diabetes ist ein wichtiger Risikofaktor für Schlaganfälle, wobei die
Koinzidenz mit arterieller Hypertonie ausschlaggebend ist. Bislang konnte keine
Studie belegen, daß eine strenge Blutzuckereinstellung alleine die Häufigkeit
von Schlaganfällen bei Diabetikern senken kann. Es ist jedoch bewiesen, daß die
gute Blutdruckeinstellung bei Diabetikern zur Vorbeugung von mikro- und
makrovaskulären Komplikationen extrem wichtig ist (UKPDS-Studie; s. AMB 1998, 32, 76a).
5. Asymptomatische
Karotisstenosen: Das Risiko eines Schlaganfalles bei Karotisstenosen steigt
mit dem Grad der Stenose. Dabei gelten angiographisch gemessene Stenosen unter
60% als nicht gefährlich. Bei höhergradigen Engen muß der mögliche Nutzen einer
Endarterektomie (ACAS-Studie: absolute Risikoreduktion für Tod/Schlaganfall
5,9%/5 Jahre; JAMA 1995, 273, 1421) gegen den möglichen Schaden (ca. 3%
Operationsmorbidität/Letalität je nach Zentrum) abgewogen werden.
6. Rauchen: Das RR von
Rauchern für einen Schlaganfall beträgt etwa 1,5 und steigt mit der gerauchten
Tabakmenge. In der Framingham- und Nurses -Health-Studie führte eine Beendigung
des Rauchens nach 2 bis 5 Jahren zu einer normalen Schlaganfallinzidenz.
Maßnahmen, welche die Entwöhnung unterstützen (Nikotinpflaster,
Selbsthilfegruppen usw.), sollen angeboten werden.
7. Alkohol: Während moderater
Alkoholkonsum das Risiko ischämischer Insulte zu reduzieren scheint, erhöht
starker Alkoholkonsum die Häufigkeit ischämischer Schlaganfälle. Darüber hinaus
gibt es eine dosisabhängige Erhöhung des Risikos für hämorrhagische Insulte.
Ein geringer Alkoholkonsum (2 Drinks/d) gilt daher sogar als günstig, was die
Häufigkeit kardiovaskulärer Erkrankungen betrifft, wenn keine
Kontraindikationen bestehen. Freilich sollen Menschen, die keinen Alkohol
trinken, nicht zum Alkoholkonsum überredet werden.
Die amerikanische
Herzgesellschaft führt zusätzlich noch höheres Lebensalter, männliches
Geschlecht, familiäre Belastung mit Schlaganfall, TIA- oder
Schlaganfallanamnese und einen erhöhten Hämatokritwert an. Erkennen und
Eindämmen dieser Risiken werden als Schlüssel zur Senkung der weiter steigenden
Schlaganfallinzidenz angesehen.
"Lifestyle-Modifikationen":
Obwohl naheliegend, gibt es gegenwärtig keinen eindeutigen Nachweis, daß
spezielle Diäten (z.B. natriumarm, fettarm, vitaminreich) oder regelmäßige
körperliche Aktivität alleine das Risiko für Schlaganfälle senken können. Der
Nutzen diätetischer Maßnahmen und körperlicher Aktivität ist allerdings bei
anderen Erkrankungen, z.B. bei Koronarer Herzkrankheit, belegt.
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