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Buchbesprechung: Mit Schwarzbuch und CD-ROM wider den Arzneiverordnungs-Report

Maes, H.-J.: Nachsicht: Arzneiverordnungs-Report 1986 bis 1998. W+D Wissenschaft+Dokumentation. Berlin 1999. ISBN 3-934018-00-9.

Was dieses Begleitbuch zur beigefügten CD-ROM beweisen soll, liest man auf dem Einband: „Der Arzneiverordnungs-Report ist ein Musterbeispiel für fortgesetzte gravierende wissenschaftliche Unredlichkeit und Täuschung der Fachwelt und der Öffentlichkeit.“ Bei Durchsicht stellt man fest, daß dieser schwerwiegende Vorwurf sich nicht auf den gesamten Text des Arzneiverordnungs-Reports (AVR) bezieht. Stillschweigend ausgenommen ist einer der Herausgeber (D. Paffrath), explizit ausgenommen (S. 8) sind die 24 Mitautoren (mit einer Ausnahme). Auch das umfassende Tabellenwerk, dessen Zustandekommen im AVR 1997 im Kap. 50 beschrieben ist und welches das Skelett des Buches darstellt, gilt zwar als verbesserungsbedürftig (S. 204-205), aber es wird nicht mit dem pauschalen Verdikt belegt. Herr Maes nimmt die Zahlen hin, auch wenn ihm deren Interpretation mißfällt. Ziel seines „Schwarzbuchs“ ist die Anprangerung des Erstautors des AVR, U. Schwabe, mit den Mitteln der Textkritik. Was bei Literatur-Kritikern auf den Feuilleton-Seiten überregionaler Zeitungen zum Handwerk gehört, überträgt dieses Buch auf wissenschaftliche Literatur. Derart persönliche Attacken fordern zu einer „Kritik der Kritik“ heraus. U. Schwabe werden unkorrekte Nutzung von Quellen (S. 111-174) und Mehrfachverwendungen von Zitaten (S. 41-88) vorgeworfen. Die Fortschreibung von Texten, evtl. mit Änderungen, von Auflage zu Auflage, wird moniert, obwohl sie bei Neuauflagen von Lehrbüchern und Sammelwerken nicht außergewöhnlich ist. Schwerer wiegt der Vorwurf, im AVR sei die Nutzung von Quellen unkorrekt und mit Mängeln behaftet. Hiermit stößt der Autor des Schwarzbuchs an die Grenzen des AVR. Niemand kann auf 780 DIN-A6-Seiten die 2000 geläufigsten Arzneimittel zugleich korrekt und ohne Verkürzung darstellen. Der AVR sollte nicht als Handbuch mißverstanden werden. Er präsentiert aktuelle Daten und Kosten, er leitet Trends ab und gibt hierzu Kommentare (so sein Untertitel). Er eignet sich weder als Rezept-Taschenbuch noch als Fundgrube für Leitlinien im Sinne der evidenzbasierten Medizin. Wenn z.B. den Antiepileptika im AVR ganze sechs Seiten (mit 3 Zitaten) gewidmet werden, kann kein umfassender, unbestreitbarer Kommentar zu dieser Arzneigruppe erwartet werden. Der Autor des Schwarzbuchs verhält sich nicht wie ein Wissenschaftler, sondern wie ein Korrektor. Die Herausgeber des AVR sollten ihm für seine detaillierte Fehlersuche danken und die erforderlichen Änderungen bei der nächsten Auflage vornehmen. Dazu bedarf es nach unserer Ansicht nicht der Anrufung der Deutschen Forschungsgemeinschaft wegen wissenschaftlicher Verfehlungen (S. 8-13). Die zentralen Aussagen des AVR werden erforderliche Korrekturen überstehen.
Warum aber zieht gerade der AVR, vor allem dessen akademischer Erstautor, diesen massiven Tadel auf sich? Die Aussagen des AVR, an welchen sich die Kritik des Schwarzbuchs vor allem entzündet, sind leicht auszumachen: sie betreffen die mit dem Wort „umstritten“ bezeichneten Therapieformen. Dieses Wort – im Schwarzbuch wird es wie das Unwort des Jahres behandelt – erscheint nicht nur im Titel zweier Kapitel (S. 89-91 und S. 100-110). Auch das Kapitel „Unkorrekte Verwendung von Quellen“ handelt vor allem von solchen Mitteln, über die sich trefflich streiten läßt: Echinacea (1mal), Antidementiva (6mal), Dipyridamol (2mal), Mund- und Rachentherapeutika (2mal), Kombinationspräparate (1mal), durchblutungsfördernde Mittel (9mal), umstrittene Gynäkologika (5mal), Leber- und Gallenwegstherapeutika (2mal), Mineralstoffpräparate (6mal), spinale Muskelrelaxantien (2mal), Spasmolytika (3mal) – also 39 „umstrittene“ von insgesamt 59 Monierungen.
Das Schwarzbuch ist von einem kommerziellen Unternehmen erstellt. Die Vermutung liegt nahe, daß dessen Auftraggeber die von U. Schwabe als „umstritten“ bezeichneten Arzneimittelgruppen schützen wollen. Die Zahlen im AVR 1998 belegen nämlich deren deutliche Umsatzrückgänge; die zu erwartende Positivliste und Schwierigkeiten bei der europaweiten Zulassung solcher Mittel (s. Medikament und Meinung 1999, 23 , 4) lassen Schlimmes für die Pharmaindustrie befürchten. Man kann das Schwarzbuch als Teil einer Gesamtstrategie betrachten, zu der im Jahr 1998 die gerichtlich verfügte teilweise Schwärzung des AVR 1997 (s.a. AMB 1998, 32, 7a u. 31a) und in diesem Jahr die Veröffentlichung des BPI-Reports 99 (Frankfurt 1999) durch den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie gehört. Dieses Werk, das eine eigene Kritik verdient hätte, nimmt sich vor allem denjenigen Arzneimittelgruppen hilfreich an, die im AVR kritisiert werden. Der Autor des Schwarzbuchs kommt auch im BPI-Report 99 zu Wort. Der Feldzug gegen den AVR hat jetzt einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, indem dessen Erstautor als Sünder deklariert und seine Ächtung gefordert wird. Statt bestimmter Arzneimittel soll nun künftig ein Wissenschaftler als „umstritten“ gelten, statt seiner Texte soll er selbst geschwärzt werden. Während der Niederschrift dieses Beitrags wurde die Ausgabe 1999 des AVR vorgestellt. Ob dem auch eine Neuauflage des Schwarzbuchs folgen wird?

Unseren Lesern, die sich über aktuelle Daten, Kosten und Trends unseres Pharmamarktes informieren möchten, empfehlen wir den Arzneiverordnungs-Report 1999. Hrsg. U. Schwabe und D. Paffrath. Springer Berlin. Preis 79 DM.