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Welche therapeutischen Ziele hat eigentlich die postmenopausale Östrogen/(Gestagen)-Therapie, auch „Hormonersatz-Therapie“ genannt?

Zusammenfassung: Die gesunde Frau ist nach der Menopause physiologischerweise keine hormondefiziente Patientin. Eine postmenopausale Östrogen- (bei Zustand nach Hysterektomie) oder Östrogen/Gestagen-Therapie zur Behandlung klimakterischer Beschwerden ist aber effektiv und auch indiziert, wenn die Frau sie wünscht und keine Kontraindikationen bestehen. Besteht bei Kontraindikationen aber Therapiewunsch, gibt es durchaus Alternativen zur oralen oder transdermalen Östrogen/(Gestagen)-Therapie. Bei Beschwerden im Genitalbereich können lokal gut wirksame Cremes, Suppositorien etc. ohne signifikante systemische Wirkung verordnet werden. Die generelle Verordnung von Östrogenen/(Gestagenen) für länger als 5 Jahre nur mit dem Ziel der Kardio-, Osteo- und Neuroprotektion ohne individuelle Indikation, wie bisher vielfach üblich, ist aufgrund der derzeitigen Datenlage nicht mehr vertretbar. Zur Therapie der Osteoporose können Östrogene/(Gestagene) bei fehlenden Kontraindikationen – neben anderen Maßnahmen – auch längere Zeit verordnet werden. Bei oraler Langzeittherapie sollte eine möglichst niedrige Östrogen-Dosis gewählt werden. Durch Östrogene und Östrogene/Gestagene erhöht sich das Risiko für Thromboembolien, auch bei Einnahme für nur wenige Jahre, um das Dreifache. Schwerer wiegt das bei mehr als 5 Jahre langer Einnahme von Östrogenen, besonders von sequenziell eingenommenen Östrogenen/Gestagenen, erhöhte Risiko für Mammakarzinom. Denn auch ohne Östrogen-Einnahme erkranken etwa 5% der Frauen zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr an einem Mammakarzinom. Eine gesunde Frau, die längere Zeit Östrogene/(Gestagene) einnehmen möchte, muß über die Risiken genau aufgeklärt werden, damit sie selbst eine Entscheidung treffen kann

Im Gegensatz zu den männlichen Gonaden, deren endokrine Funktion im Alter mit großer interindividueller Varianz langsam abnimmt (s.a. 28), fällt nach der Menopause (der letzten spontanen Monatsblutung der Frau) die ovarielle Östrogen-Sekretion stark ab. Das ovarielle Stroma sezerniert aber weiterhin signifikante Mengen Androgene. Die postmenopausal niedrige Östrogen-Konzentration (meist Östron) im Serum der Frau resultiert zum größten Teil aus der Konversion von adrenalem Dehydroepiandrosteron (DHEA) und seinem Sulfat (DHEAS) über den Zwischenmetabolit Androstendion (s.a. 29, 30). Der rasche Abfall der zirkulierenden Östrogene führt bei vielen Frauen peri- oder postmenopausal zu klimakterischen Beschwerden wie Hitzewallungen (Hot flushes), Schwitzen und Stimmungsschwankungen bis zu erheblicher Depression, allerdings mit großen interindividuellen Unterschieden. Frauen, die diese Beschwerden nicht oder kaum haben und die diese Phase in ihrem Leben als naturgegeben empfinden, lehnen die für die Linderung solcher Beschwerden durchaus geeignete Östrogen/(Gestagen)-Therapie nicht selten a priori ab.

Hormontherapie in der Perimenopause und frühen Postmenopause: In dieser frühen Phase des natürlichen Östrogen-Defizits der Frau kann man für die Linderung klimakterischer Beschwerden durch Gabe von Hormonen den Begriff „Hormonersatz-Therapie“ (Hormone replacement therapy = „HRT“) gelten lassen, da bei Frauen und Männern, die durch Krankheit oder Operation im jüngeren Lebensalter ihre Gonaden verlieren, ähnliche Symptome auftreten, die durch Hormonersatz beseitigt oder gelindert werden können. Der Arzt sollte einer Frau mit ausgeprägter Symptomatik eine solche Therapie empfehlen, es sei denn, es bestehen Kontraindikationen, wie z.B. frühere venöse Thromboembolien oder ein erhebliches Mammakarzinom-Risiko. Bei Frauen, die noch einen Uterus haben, werden Östrogene (konjugierte Östrogene, mikronisiertes Östradiol oder Östradiol-Valerat) stets zyklisch und in der zweiten Zyklusphase kombiniert mit einem Gestagen verordnet, während Frauen ohne Uterus durchgehend ein reines Östrogen-Präparat nehmen können. Feste Kombinationen aus Östrogen und Gestagen, die ohne Pause eingenommen werden (woduch in vielen Fällen uterine Blutungen vermieden werden), sind mehr für die späte Postmenopause geeignet; sie werden zunehmend verordnet. Eine neuere Therapievariante ist die transdermale Zufuhr von Östradiol/(Gestagen) in Form von Hormonpflastern.

Hormontherapie in der späten Postmenopause: Bei Frauen, die postmenopausal keine Östrogene einnehmen, sistieren die klimakterischen Beschwerden nach einigen Jahren – fast immer nach 5 Jahren – spontan. Da sich der Alterungsprozeß der Frau in der Evolution ohne zyklisch hohe Östrogen-Konzentrationen in der Postmenopause abgespielt hat, ist der Begriff „Hormonersatz-Therapie“ zu diesem Zeitpunkt – streng genommen – nicht mehr treffend. Es handelt sich vielmehr um eine zum Teil ideologisch begründete Pharmakotherapie. Tatsächlich geben aber viele Frauen, die Östrogene 10 oder mehr Jahre lang postmenopausal einnehmen, an, daß sie sich unter dieser Therapie besser fühlen als zuvor, daß die Haut einen besseren Turgor hat und die Scheide feuchter ist. Das Absetzen der Östrogen/(Gestagen)-Medikation kann in der Tat ähnlich empfunden werden wie ein zweites Klimakterium, oder wie das erste überhaupt, da heute vielen Frauen schon Östrogene verordnet werden, bevor sie die Menopause erreichen und bevor sie die Beschwerden derselben kennengelernt haben.

Gibt es gesicherte Indikationen für eine Östrogen/(Gestagen)-Therapie in der späten Postmenopause? Bis vor kurzem und zum Teil auch heute noch wurde und wird Frauen von Gynäkologen, Kardiologen und an Osteoporose interessierten Ärzten nachdrücklich empfohlen, bei fehlenden harten Kontraindikationen (Thrombosen, Mammakarzinom) so lange wie möglich postmenopausal Östrogen/(Gestagen)-Präparate einzunehmen. Manche dieser Ärzte betrieben oder betreiben diese Werbung mit missionarischem Eifer. Begründet wird dies meist mit dem besseren Allgemeinbefinden unter dieser Therapie, mit der Verhinderung einer urogenitalen Atrophie sowie mit kardioprotektiven und antiosteoporotischen Wirkungen der Östrogene. In den letzten Jahren wird auch ein angeblicher „Anti-Alzheimer-Effekt“ der „HRT“-Präparate herausgestellt. Viele Frauen, die keine Langzeittherapie mit Östrogenen wünschen, werden durch diese Empfehlungen, durch Pharma-Werbung und durch entsprechende Veröffentlichungen in der Laienpresse sehr verunsichert und fragen, was sie für ihr Herz, ihre Arterien und ihre Knochen tun können, wenn nicht durch Östrogene. Da unsere therapeutischen Empfehlungen, wenn immer möglich, aus Ergebnissen methodisch einwandfreier Studien abgeleitet werden sollten, werden im folgenden neuere Aspekte der sogenannten Kardio-, Osteo- und Neuroprotektion durch Östrogene/Gestagene zusammengefaßt.

Kardioprotektion durch Östrogene? Östrogene, nach der Menopause eingenommen, senken etwas das atherogene LDL-Cholesterin (LDL-C) und erhöhen das als antiatherogen geltende HDL-Cholesterin (HDL-C), während die Triglyzeride ansteigen (1). Zusatztherapie mit Gestagenen (z.B. Medroxyprogesteron-Azetat = MPA oder mikronisiertes Progesteron = P) vermindert den Effekt der Östrogene auf HDL-C (2). Etwa 25% des angenommenen kardioprotektiven Effekts der Östrogene wird auf Veränderungen des Lipidmusters zurückgeführt, während 65-75% der Effekte auf Herz und Arterien durch Lipid-unabhängige Wirkungen über vermehrte Bildung von Stickoxid und Prostazyklin sowie durch verminderte Bildung von Endothelin und Thromboxan A2 erklärt werden (3). Bei transdermaler Östrogen-Applikation ist der Effekt auf die Lipide minimal, da er bei oraler Applikation fast ausschließlich durch den „First-pass-Effekt“ in der Leber zustande kommt. Die erwähnten Faktoren und Mechanismen sind jedoch „Surrogat-Parameter“, die eine direkte Messung der in diesem Fall langzeitigen klinischen Wirkungen nicht ersetzen können. Da bei Frauen nach der Menopause die Prävalenz von arterieller Hypertonie und koronarer Herzkrankheit (KHK) deutlich zunimmt, war es naheliegend, das natürliche „Östrogen-Defizit“ hiermit in ursächlichen Zusammenhang zu bringen. Tatsächlich zeigte die zusammenfassende Auswertung von etwa 30 Langzeit-Kohorten- und Fall-Kontroll-Studien, besonders der amerikanischen Nurses´ Health Study, daß Frauen, die postmenopausal Östrogene oder Östrogene plus Gestagene einnahmen, ein auf etwa 50% reduziertes KHK-Risiko (verglichen mit Kontroll-Gruppen) hatten (3, 4, 5). Gegen die Ergebnisse der Nurses´ Health Study und die anderer, nicht randomisierter Beobachtungsstudien wurde allerdings eingewandt, daß die Frauen, die Östrogene eingenommen hatten, a priori gesünder und gesundheitsbewußter waren als die, die keine eingenommen hatten. Deshalb könnte der günstige Effekt der Östrogene, zumindest zum Teil, vorgetäuscht sein (6, 7, 8). Wir haben kürzlich über eine entsprechende Studie aus Schweden berichtet (9). Die letzte Publikation über die Nurses´ Health Study, in der über die möglichen Ursachen der um 31% rückläufigen KHK-Inzidenz zwischen 1980 und 1992 bei etwa 85000 Frauen berichtet wird, kommt zu dem Schluß, daß etwa 9% dieser 31% auf die postmenopausale Einnahme von Östrogenen/(Gestagenen) zurückzuführen seien, während der geringere Nikotinkonsum und die fettärmere Ernährung eine größere Rolle spielten (10).

Bei der Nurses´ Health Study handelt es sich um eine große Kohortenstudie, in der die Effektivität von Östrogenen in der Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse getestet werden soll, d.h. bei Einschluß hatten die Frauen keine Zeichen und keine Symptome einer KHK. Wegen der Zweifel, ob das Design dieser Studie zur Beantwortung dieser wichtigen Frage geeignet ist, wurde in den USA vor einigen Jahren die Women s Health Initiative Study (WHI) begonnen, in der doppelblind, plazebokontrolliert, prospektiv und randomisiert die primärpräventive Wirkung von Östrogenen oder Östrogenen/Gestagenen (bei Frauen ohne bzw. mit Uterus) geprüft wird. Selbstverständlich mußte eine dauerhaft einzunehmende, feste Östrogen/Gestagen-Kombination in der Verum-Gruppe gewählt werden, da bei zyklischer Einnahme die Monatsblutungen sofort offenbart hätten, ob eine Patientin mit noch vorhandenem Uterus das Verum oder das Plazebo nimmt. Kürzlich wurde im Lancet eine Trendmeldung nach zwei Jahren Laufzeit dieser Studie an 27000 Frauen veröffentlicht (11). In den ersten zwei Jahren hatte nur 1% der Frauen eine Herzattacke, einen Schlaganfall oder eine Thrombose, wobei Frauen der Verum-Gruppe sogar etwas häufiger betroffen waren (nicht signifikant). Auf die Frage an den Studienleiter Jaques Rossouw, ob die Verordnung von Östrogenen zur Kardioprotektion bei postmenopausalen Frauen Routine sein sollte, antwortete er: „Ich habe niemals daran geglaubt, ich glaube es jetzt nicht, und es sollte nicht Routine sein, solange die Ergebnisse dieser Studie nicht vorliegen. Ärzte, die Östrogene bisher aus dieser Indikation verschrieben haben, tun es ohne Evidenz der Wirksamkeit und aufgrund ihrer Voreingenommenheit.“

Eine ebenso große Unsicherheit herrschte bis vor kurzem hinsichtlich der Wirksamkeit in der Sekundärprävention der KHK. Die im AMB (12, 13) bereits besprochene HERS-Studie (14), in der bei je ca. 1380 Frauen mit KHK im Alter von 55-80 Jahren der Effekt von Plazebo mit dem einer Fest-Kombination aus konjugierten Östrogenen plus 2,5 mg Gestagen (MPA) über 4,1 Jahre verglichen wurde, ergab in der Verum-Gruppe signifikant mehr Thromboembolien, aber keine Reduktion von Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Tod durch KHK trat 71mal in der Verum-Gruppe und 58mal in der Plazebo-Gruppe ein. Eine weitere kürzlich publizierte doppelblinde Studie zur Sekundärprävention der Progression einer KHK (Plazebo versus konjugierte Östrogene mit oder ohne 2,5 mg MPA bei insgesamt 309 Frauen über im Mittel 3,2 Jahre; Endpunkt: Koronar-Angiogramme) ergab keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen (15). Von interessierten Kreisen werden diese Studien mit erheblichem Aktivismus kritisiert: Sie seien zu kurz gelaufen, in der HERS-Studie zeige sich nach 4 Jahren doch eine Tendenz zu weniger neuen kardiovaskulären Ereignissen in der Östrogen-Gruppe, die Kombination von konjugierten Östrogenen mit MPA sei ohnehin ungünstig und so fort. Dem ist u.a. entgegenzuhalten, daß Lipidsenker, besonders Cholesterinsynthese-Hemmer (Statine), in plazebokontrollierten Studien mit Laufzeiten von etwa 5 Jahren sowohl in der Primär- wie in der Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse wirksam sind (Literatur bei 3).

Ist eine Langzeit-Verordnung von Östrogenen zur Prävention der Osteoporose bei gesunden Frauen in der Postmenopause indiziert? In der frühen Menopause kommt es durch den Abfall der Östrogen-Konzentration zu einem mehrere Jahre lang anhaltenden Verlust an kortikaler und trabekulärer Knochenmasse. Dies ist zwar ein physiologischer Vorgang, der aber wahrscheinlich die höhere Inzidenz von Knochenbrüchen im höheren Alter der Frau, verglichen mit Männern, erklärt. Östrogene allein oder kombiniert mit Gestagenen, die ab der frühen Postmenopause 5-10 Jahre lang eingenommen werden, können den Verlust an Knochenmasse ganz oder teilweise verhindern. Nach Absetzen der Hormontherapie wird der Verlust an Knochenmasse, den viele unbehandelte Frauen in der frühen Postmenopause erleiden, allerdings nachgeholt (16). Im Alter von 75 oder mehr Jahren, wenn die Schenkelhals-Frakturen deutlich zunehmen, ist jedoch die Knochenmasse von Frauen, die nie oder 5-10 Jahre lang Östrogene eingenommen haben, kaum noch verschieden. Hinzu kommt, daß der langsamere kontinuierliche Abbau der Knochenmasse der Frau in der späten Postmenopause weniger von der Östrogen-Konzentration abhängig ist und auch weniger als in der frühen Postmenopause durch fortgesetzte oder neu begonnene Einnahme von Östrogenen zu bessern ist. Aussagekräftige Studien über die osteoprotektive Wirkung durch Einnahme von Östrogenen bis ins hohe Alter gibt es nicht. Sie werden wahrscheinlich auch nicht mehr durchgeführt werden. Zu diesem Thema sei auf eine wichtige Arbeit von E.S. Orwoll und H.D. Nelson (17) verwiesen, die den Untertitel trägt: „An iconoclastic perspective“. Die hieraus abzuleitende Schlußfolgerung, daß die 5 oder sogar 10 Jahre lange Einnahme von Östrogenen bei gesunden postmenopausalen Frauen wenig Einfluß auf die Wahrscheinlichkeit osteoporotischer Frakturen im Greisinnenalter haben dürfte, soll jedoch nicht ausschließen, daß Frauen mit erheblichem Osteoporose-Risiko oder mit bereits manifester Osteoporose im mittleren Lebensalter von einer Langzeitbehandlung mit Östrogenen neben anderen Maßnahmen profitieren. Es könnte nämlich sein, daß das Verschieben des durch die physiologische Abnahme der Östrogen-Konzentration bedingten Knochenabbaus in ein höheres Lebensalter Frakturen vermeiden hilft.

Verhindern oder bessern Östrogene eine senile Demenz? In vielen Arealen des menschlichen Gehirns finden sich Östrogen-Rezeptoren, besonders im Hypothalamus und im Limbischen System. Mehrere Beobachtungsstudien und kleinere prospektive Studien sprechen für eine geringere Inzidenz von M. Alzheimer unter Einnahme von Östrogenen/(Gestagenen), während andere Studien dies nicht bestätigen (Übersicht bei 18). Eine kürzlich publizierte prospektive plazebokontrollierte Studie an 120 Frauen mit bereits diagnostiziertem leichtem bis mittelschwerem M. Alzheimer (mittleres Alter 75 Jahre) ergab, daß das Fortschreiten der Erkrankung durch Einnahme von Plazebo oder von 0,62 mg/d bzw. 1,25 mg/d konjugierter Östrogene innerhalb eines Jahres nicht unterschiedlich war (19). Dies ist allerdings ein kurzer Beobachtungszeitraum, und die Studie erlaubt keine Rückschlüsse auf mögliche präventive Effekte von Östrogenen. Erst umfangreiche prospektive Studien, wie die erwähnte Women s Health Initiative, können zuverlässigere Information darüber geben, ob Östrogene zur Prävention altersbedingter Funktionsstörungen des Gehirns geeignet sind. Gesunden postmenopausalen Frauen aus dieser Indikation eine Langzeiteinnahme von Östrogenen zu empfehlen, ist bei der gegenwärtigen Datenlage nicht zu verantworten.

Welche Risiken limitieren eine Langzeittherapie mit Östrogenen in der Postmenopause? Warnungen vor einer Langzeiteinnahme von Östrogenen/(Gestagenen) wären nicht erforderlich, wenn diese Therapie frei von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Eine gesicherte UAW ist die Zunahme venöser Thromboembolien, und die Zunahme des Risikos für Mammakarzinom ist so gut wie gesichert.

Thromboembolie-Risiko durch Östrogene: Das Risiko einer Frau, in der Postmenopause eine Phlebothrombose mit oder ohne Lungenembolie zu erleiden, ist absolut gesehen gering ( etwa 10-15 Fälle pro Jahr pro 100000 Frauen). Es ist damit aber dennoch dreimal so hoch wie bei jungen Frauen. Obwohl die östrogene Potenz der Östrogene in den „HRT“-Präparaten deutlich geringer ist als die des in oralen Kontrazeptiva enthaltenen Ethinylestradiols, steigt das Risiko für Thromboembolien in beiden Altersgruppen, d.h. durch die „Pille“ bzw. durch „HRT“-Östrogene, etwa um das Dreifache an (20-22). Das absolute Zusatzrisiko, eine Thromboembolie zu erleiden, ist bei postmenopausalen Frauen unter „HRT“ jedoch dreimal größer als bei jungen Frauen, die Kontrazeptiva der sogenannten zweiten Gestagen-Generation einnehmen. Aus diesem Grund sind bereits durchgemachte venöse Thromboembolien, es sei denn, sie hatten eine eindeutig erkennbare und vorübergehende Ursache, eine Kontraindikation für die Einnahme von „HRT“-Östrogenen. Ähnliches gilt auch für Frauen mit bekannter familiärer Thrombophilie. Sowohl bei Einnahme oraler Kontrazeptiva als auch bei Einnahme von „HRT“-Präparaten treten die durch Östrogene mitverursachten Thromboembolien meist im ersten Einnahmejahr auf. Das war auch in der oben zitierten HERS-Studie zur Sekundärprävention der KHK (14) der Fall.

Risiko für Mammakarzinom durch Östrogene/Gestagene (Übersicht bei 31): Frauen mit früher Menarche und später Menopause sowie Frauen mit Übergewicht haben ein erhöhtes Risiko für Mammakarzinom, während Schwangerschaften in jungem Lebensalter einen protektiven Effekt haben. Überdurchschnittlich häufige zyklische Erhöhungen der Östrogene, wie im normalen Menstruationszyklus der Frau, scheinen also das Risiko für Mammakarzinom durch mutagene oder das Wachstum eines Mammakarzinoms stimulierende Effekte zu steigern. Der Verdacht, daß eine „HRT“ das Mammakarzinom-Risiko erhöhen könnte, war deshalb programmiert. In einer umfangreichen Metaanalyse von 51 Therapiestudien aus 21 Ländern, basierend auf Daten von etwa 52000 Frauen mit und etwa 108000 Frauen ohne Mammakarzinom durch die „Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer“, ergab sich folgendes Bild: Bei Frauen, die „HRT“-Präparate 5 oder mehr Jahre lang eingenommen hatten, betrug das Relative Risiko (RR) 1,35 (Vertrauensintervall: 1,21-1,49; 2 p = 0,00001), d.h., das Risiko, an einem Mammakarzinom zu erkranken, war um etwa 35% erhöht, wobei die bei den „HRT“-Patientinnen diagnostizierten Karzinome klinisch weniger weit fortgeschritten waren als bei den Frauen ohne „HRT“. In Nordamerika und Europa erkranken etwa 45 von 1000 Frauen in der Altersgruppe von 50-70 Jahren an einem Mammakarzinom. Durch eine 5 bzw. 10 bzw. 15 Jahre lange „HRT“ erhöht sich die Inzidenz des Mammakarzinoms in dieser Altersgruppe um 2 bzw. 6 bzw. 12 Fälle pro 1000 Frauen. Ab dem vierten Jahr nach Absetzen einer „HRT“ war das RR für Mammakarzinom nicht mehr erhöht (23). Bisherige Studien belegen allerdings keine erhöhte Letalität durch Mammakarzinom nach „HRT“. In einer Studie des amerikanischen National Cancer Institute (24), deren Daten bis 1989 in der eben zitierten Publikation bereits enthalten sind, ergab sich aus einer Neuauswertung bis 1995 ein ganz ähnlicher Trend. Zusätzlich zeigte sich, daß das Mammakarzinom-Risiko bei Einnahme von Östrogen/Gestagen-Präparaten deutlich höher ist als bei Einnahme reiner Östrogene und daß das erhöhte Risiko überwiegend schlanke bis untergewichtige (Body Mass Index < 24,4 kg/m2), kaum jedoch übergewichtige Frauen betrifft. Die meisten dieser Frauen hatten Östrogene und Gestagene sequenziell eingenommen. Über den Effekt einer kontinuierlichen festen Kombination von Östrogen und Gestagen (wie in der HERS- und der WHI-Studie) können noch keine Aussagen gemacht werden. In einem Editorial (25) zu dieser Publikation, deren Autoren zu den Verfassern mehrerer viel zitierter „Updates“ der Nurses´ Health Study gehören (auf deren frühere kardioprotektive Aussage sich die Propagandisten der Langzeit-„HRT“ besonders hartnäckig berufen), heißt es sinngemäß: >> Kurzzeitige „HRT“ ist durch das erhöhte Mammakarzinom-Risiko nicht in Frage gestellt. Frauen, die keinen Uterus mehr haben, sollten nur Östrogene, nicht auch Gestagene, einnehmen (bei Frauen mit Uterus ist alleinige Östrogen-Einnahme wegen des erhöhten Risikos für ein Endometriumkarzinom kontraindiziert). Zuerst sollte man sich überlegen, ob die Verordnung eines Östrogen-Präparats überhaupt erforderlich ist. Osteoprotektion und Kardioprotektion sind keine ausreichenden Gründe für die Verordnung von Östrogenen, da das Aufgeben oder das Vermeiden von Rauchen, körperliche Aktivität und eine gesunde Ernährung effektive Maßnahmen zur Primärprävention sind.<< Schlußbemerkungen und Literaturempfehlungen: Mehrere der hier zitierten Arbeiten sind den Juni-Heften 1999 von Endocrine Reviews und des Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism entnommen. Beide Top-Zeitschriften werden von der nordamerikanischen Endocrine Society (ESO) publiziert, die im gleichen Monat in San Diego, Kalifornien ihren Jahreskongreß unter dem Vorsitz ihrer Präsidentin Prof. Kate Horwitz mit besonders vielen Themen zur Endokrinologie der Frau abgehalten hat. Chief-Editor des J. Clin. Endocrinol. Metab. war 1999 die Kinder-Endokrinologin Prof. Maria I. New aus New York. Es lohnt sich, die vielen Beiträge zum Thema „HRT”in den erwähnten Zeitschriften zu lesen. Einhellig war die große Zurückhaltung, Östrogen-Präparate in der Postmenopause aus anderen Indikationen zu empfehlen als zur Behandlung klimakterischer und urogenitaler Beschwerden und allenfalls noch zur Therapie, nicht aber zur Primärprophylaxe der Osteoporose und wenn, dann nicht länger als für 5 Jahre. In jedem Einzelfall sollte die Frau über mögliche Vorteile und Risiken vorurteilslos aufgeklärt werden, so daß sie nach diesen Informationen selbst eine Entscheidung treffen kann. In vielen Situationen, in denen die Verordnung von Östrogenen wünschenswert wäre, aber Kontraindikationen oder Unverträglichkeit bestehen, gibt es therapeutische Alternativen. Diese Möglichkeiten sind im Artikel von J.V. Pinkerton und R. Santen mit dem Titel „Alternatives to the use of estrogens in postmenopausal women“ (3) und in einem weiteren von B. Walsh mit dem Titel „The individualized approach to menopause management“ (26) eindrücklich dargestellt. Auf Einzelheiten dieses komplexen Themas kann hier nicht eingegangen werde. Im deutschen gynäkologischen Schrifttum findet sich zur Methodik der Östrogen/(Gestagen)-Therapie (oral versus transdermal, lokal vaginal, welche Gestagene?, Reduktion der Dosis bei älteren Frauen etc.) ein brauchbarer Artikel von A. Kleinkauf-Houcken und W. Braendle (27), in dem allerdings sehr unvorsichtige Empfehlungen zur Langzeittherapie gegeben werden. Ebenfalls sehr unvorsichtig ist eine Konsensus-Empfehlung eines „Züricher Gesprächs-Kreises“ von deutschen Gynäkologen und einem Schweizer Klinischen Pharmakologen (28) vom Herbst 1998 (nach Erscheinen der HERS- und der Lancet-Studie zum Brustkrebs-Risiko). In einem Informationspapier vom September 1999 ist die „Deutsche Menopause Gesellschaft“ von der Propagierung der Langzeittherapie ebenfalls noch nicht abgerückt, während auf einer Pressekonferenz dieser Gesellschaft im Januar 2001 in Berlin schon größere Zurückhaltung erkennbar war.

Für Frauen, die „HRT“-Präparate schon seit vielen Jahren einnehmen, besteht kein Grund zur Panik. Ihre behandelnden und beratenden Ärzte sollten sich die neue Datenlage – möglichst unbeeinflußt durch kostenlose Publikationen und Pharma-Werbung – aneignen, sie mit ihren Patientinnen besprechen und ihnen eine eigene Entscheidung zur Fortsetzung oder Beendigung der Therapie ermöglichen. Dies ist Teil unserer Verpflichtung zur ärztlichen Weiterbildung.

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