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Leserbrief: Zur Östrogen-Therapie in der Postmenopause

Prof. Dr. T.H.L. und Dr. A.O.L. aus Tübingen schreiben: >> Bei einer Abhandlung über die Zielsetzung der Östrogen-Therapie in der Postmenopause mit Diskussion über Pro und Contra kann nicht darauf verzichtet werden, auf die Präparate, die bei der Hormontherapie eingesetzt werden, näher einzugehen. Mit Östrogenen werden sehr unterschiedliche Substanzen mit unterschiedlichen Wirkprofilen in einer Hormonklasse zusammengefaßt; definitionsgemäß ist die Zugehörigkeit zu dieser Substanzklasse nur durch ihre Aktivität auf den Genitaltrakt gegeben. Von den derzeit angewandten Präparaten ist nur Östradiol, ein körpereigenes Östrogen, geeignet für eine physiologische Hormonsubstitution… So muß konstatiert werden, daß der Abfall der menschlichen Östrogenproduktion nach Abschluß der reproduktiven Phase, der bei mehr als der Hälfte aller postmenopausalen Frauen zu Mangelerscheinungen führt (1), nicht nur mit menschlichem Östradiol, sondern auch alternativ mit anderen Östrogenen mit Erfolg behandelt werden kann. Dies bedeutet jedoch nicht, daß deren Wirkungsspektren kongruent sein müssen, d.h. daß auch die Nebenwirkungen dieselben sein müssen. In nahezu allen Studien, die in dem vorliegenden Artikel aufgeführt werden, wurden statt Östradiol sogenannte konjugierte equine Östrogene eingesetzt, da bis vor kurzem in vielen Ländern, unter anderem auch in den USA, keine physiologischen Östrogene zur Hormonsubstitution verfügbar waren. Bei den equinen Östrogenenhandelt es sich um einen Extrakt aus Stutenharn mit primär ausgewiesenen 5-10, neuerdings aber über 200 Steroidkomponenten mit zum Großteil noch unerforschten, im menschlichen Organismus nicht vorkommenden Östrogenen (2).

Durch die Postmenopausenforschung wurde erstmals aufgezeigt, daß Östrogene nicht nur reproduktive Aufgaben, sondern auch zahlreiche extragenitale Funktionen besitzen (3)…

Die Ziele einer Östrogensubstitution können heute, da zahlreiche Daten über die Wirkmechanismen von Östradiol vorliegen, kaum mehr in Frage gestellt werden. Es ist vielmehr zu fragen, inwieweit Fremdöstrogene geeignet sind, mit den körpereigenen zu konkurrieren.

Unerwünschte Nebenwirkungen sind die wichtigsten Argumente gegen eine Östrogensubstitution in der Menopause. Epidemiologische Studien zur Erfassung der Nebenwirkungen sind bereits in zahlreichem Umfang durchgeführt worden. Selbst große Metaanalysen waren jedoch bisher nicht in der Lage, eindeutige Aussagen über ernsthafte Nebenwirkungen, wie das Auftreten von Mammakarzinomen, zu liefern. Risikofaktoren von 2 und höher, die in der Lage wären, einen engen Zusammenhang der Brustkrebsentstehung mit der Östrogen-Therapie aufzuzeigen, wurden in Metaanalysen nie erreicht (4)…

Die Datenlage spricht jedenfalls nicht, wie im Artikel angegeben, gegen eine physiologische Hormonsubstitution… Es sollte auch darauf hingewiesen werden, daß aussagekräftige Vergleichsstudien zwischen equinen Östrogenen und physiologischem Östradiol nicht existieren. Die derzeitigen Schlußfolgerungen basieren weitgehend auf der Annahme, daß alle Östrogenpräparate dieselben Eigenschaften aufweisen. Es gibt aber keine Beweise dafür, daß das körpereigene Östradiol in physiologischer Dosierung karzinogen wirkt. Die Feststellung des Östrogenforschers Liehr, der sich seit vielen Jahren mit der Tumorentstehung durch Östrogene befaßt, dürfte einem gesunden Menschenverstand entsprechen: „If any endogenous compound was a strong carcinogen we would all be dead“ (5).

…Nicht jede Frau bedarf einer Östrogensubstitution. Die Indikation dazu braucht jedoch nicht restriktiv gestellt werden, da bei physiologisch niedrig-dosierter Östradiolsubstitution nur zwei Kontraindikationen bestehen – akute tiefe venöse Thrombose und Rezeptor-positives Mammakarzinom (6). << Literatur

1. Jakobs, S., und Hillard, T.C.: Drugs Aging 1996, 8, 193.
2. Klein, R.: Int. J. Fertil. 1998, 43, 223.
3. Lippert, T.H., et al.: Metabolism of endogenous estrogens. In: Oettel, M., und Schillinger, E. (Hrsgb.): Estrogens and Antiestrogens I. Springer, Berlin 1999, S. 243.
4. Thornecroft, I.H.: Breast cancer and estrogen replacement therapy. In: Eskin, B.A. (Hrsgb.): The Menopause, comprehensive Management. The Parthenon Publishing Group. New York 2000, S. 287.
5. Service, R.F.: Science 1998, 279, 1631.
6. Mueck, A.O., und Lippert, T.H.: Münch. Med. Wschr. 1997, 139, 495.

Antwort: >> Sie werden erkannt haben, daß es unser Anliegen war, die übermäßige Propagierung einer Langzeittherapie mit Östrogenen/Gestagenen (über 5 Jahre hinaus) ohne gegebene Indikation einzudämmen (AMB 2001, 35, 17). Gegen eine niedrig dosierte Östrogensubstitution/-therapie in der frühen Postmenopause ist, wie in unserem Artikel ausgeführt wurde, selbstverständlich bei entsprechenden Beschwerden und Therapiewunsch der Frau nichts einzuwenden.

Auf die wahrscheinlich vorhandenen Unterschiede im Nebenwirkungsspektrum von Östradiol selbst und konjugierten Östrogenen wurde deshalb nicht eingegangen, weil – wie Sie selbst bemerken – hierüber keine gesicherten Daten vorliegen. Es wäre äußerst wünschenswert, wenn Sie eine solche Vergleichsstudie initiieren würden, da Sie ja offenbar über eine Sektion für Klinische Pharmakologie in Gynäkologie und Geburtshilfe verfügen.

Zum Mammakarzinom nach Langzeittherapie mit Östrogenen muß allerdings folgendes bemerkt werden: In der Veröffentlichung der Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer (Lancet 1997, 350, 1047) ist gezeigt worden, daß sowohl eine lange reproduktive Periode der Frau (Zeitabstand zwischen Menarche und Menopause) als auch die Dauer einer Östrogen-Therapie (meist mit konjugierten Östrogenen) das Relative Risiko, an einem Mammakarzinom zu erkranken, erhöhen. Da während der reproduktiven Phase der Frau das Mammagewebe nicht den Östrogenen aus Stutenharn, sondern den endogenen Östrogenen (überwiegend Östradiol) ausgesetzt ist, scheint zumindest in dieser Hinsicht kein fundamentaler Unterschied zwischen diesen Wirkstoffgruppen zu existieren.

Die Aussage von Liehr: „If any endogenous compound was a strong carcinogen we would all be dead“ finden wir ziemlich naiv, da vieles in der Biologie eine Frage der Dosis ist. So gibt es z.B. keinen Zweifel, daß Wachstumshormon das Wachstum verschiedener Tumore fördern kann. Ohne endogene Androgene gibt es kein Prostatakarzinom, und die von Ihnen bestätigte Kontraindikation für eine Östrogen-Therapie (Östrogenrezeptor-positives Mammakarzinom) beruht auf der Erfahrung, daß Östrogene zumindest wachstumsfördernd auf dieses Karzinom wirken.

Ihr Hinweis, daß für keine der Nebenwirkungen von Östrogenen Risikofaktoren von 2 oder höher bekannt sind, ist unseres Erachtens irrelevant für ein so häufiges Karzinom wie das Mammakarzinom, von dem etwa jede 10 Frau betroffen wird. Würden Sie als Verantwortliche für die Aufklärung Ihrer Patientinnen tatsächlich warten bis eine Lebenszeit-Inzidenz des Mammakarzinoms unter Östrogen-Therapie bei jeder 5. Frau erwiesen ist, bevor Sie auf das erhöhte Risiko hinweisen? <<