Die IRMA-II-, IDNT- und
RENAAL-Studie
Zusammenfassung: In
drei großen Studien haben sich die Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker (AT-II-RB)
Irbesartan bzw. Losartan als wirksam erwiesen, das Fortschreiten einer
Nephropathie bei hypertensiven Typ-2-Diabetikern zu verzögern. Dies betraf
sowohl Frühstadien (Mikroalbuminurie) wie auch fortgeschrittene Stadien (große
Proteinurie, eingeschränkte Nierenfunktion). Die Wirkung war stärker als es dem
Ausmaß der Blutdrucksenkung nach zu erwarten gewesen wäre. Unerwünschte
Arzneimittelwirkungen waren selten und nicht gravierend. Ein Nachteil dieser
Studien ist, daß ACE-Hemmer nicht mituntersucht wurden, so daß ihre auch bei
hypertensiven Typ-2-Diabetikern vermutete renoprotektive Wirksamkeit und ihre
Verträglichkeit nicht im direkten Vergleich mit AT-II-RB zu beurteilen ist.
Dennoch kann empfohlen werden, die Therapie mit ACE-Hemmern zu beginnen und nur
bei UAW (z.B. Husten, angioneurotisches Ödem) auf AT-II-RB umzustellen.
Kreatininkontrollen sind zu Beginn der Therapie jedoch engmaschig erforderlich,
da es (meist vorübergehend) zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion kommen
kann, besonders bei bereits fortgeschrittener Niereninsuffizienz.
Bei ca. 40% der
Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 entsteht im Laufe von Jahren eine
diabetische Nephropathie. Diese Komplikation ist heute mit einem Anteil von
25-40% der Patienten vielerorts die häufigste Ursache für eine dialysepflichtig
gewordene Niereninsuffizienz. Das Problem nimmt weltweit zu, weil der Diabetes
mellitus häufiger wird (in den USA bereits > 6,5% der Bevölkerung) und weil
mehr Patienten wegen der höheren Lebenserwartung Komplikationen des Diabetes
mellitus erleben.
Die diabetische
Nephropathie beginnt paradoxerweise zunächst mit einer erhöhten glomerulären
Filtrationsrate ("Hyperfiltration"), die dann im Laufe von Jahren
durch Sklerosierungsvorgänge - wahrscheinlich teilweise verursacht durch
Angiotensin II - bis zur terminalen Niereninsuffizienz abnimmt. Schlechte
Blutzucker-Einstellung und (unzureichend behandelte) arterielle Hypertonie -
eine häufige Begleiterkrankung bei Typ-2-Diabetes - erhöhen die Inzidenz dieser
Komplikation und beschleunigen ihren Verlauf. Es ist daher im Einzelfall
diagnostisch schwer zu entscheiden, in welchen Ausmaß diabetische und/oder
hypertensive Schäden an der Niereninsuffizienz beteiligt sind. Als frühes und
prognostisch ungünstiges Zeichen einer renalen Beteiligung bei Diabetes
mellitus Typ 1 und 2 gilt eine - bereits schon geringe - Albuminurie (sog.
Mikroalbuminurie = 20-200 µg/min). Mehrere Studien haben gezeigt, daß bei normotensiven
Typ-1-Diabetikern die Blockade des Renin-Angiotensin-Systems mit
ACE-Hemmern das Fortschreiten einer Mikroalbuminurie zur Makroalbuminurie - und
damit verbunden auch das Fortschreiten der Niereninsuffizienz - verzögern kann
und somit diese Substanzklasse unter guter Kontrolle auch zu empfehlen ist
(Übersicht bei 1). Entsprechende und ausreichende Daten für hypertensive
Typ-2-Diabetiker gibt es bisher nicht. Nun sind im N. Engl. J. Med. an
prominenter Stelle gleich drei große Studien erschienen, die sich mit den
pathophysiologisch erhofften renoprotektiven Effekten der
Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker (AT-II-RB) Irbesartan (2, 3) bzw. Losartan (4)
bei diesen Patienten befassen. Die Studie wurden bereits im Mai des Jahres auf
dem amerikanischen Hypertensiologie-Kongreß vorgestellt (5).
In der
IRMA-II-Studie (2; multinational, randomisiert, doppeltblind,
plazebokontrolliert; Sponsor: Sanofi-Synthelabo und Bristol-Myers) wurden
insgesamt 590 hypertensive Typ-2-Diabetiker mit Mikroalbuminurie (um 55 µg/min)
und noch normalem Serum-Kreatinin (Kreatinin-Clearance um 110 ml/min) entweder
mit 300 mg/d (n = 194) oder 150 mg/d (n = 195) Irbesartan (Aprovel, Karvea)
oder Plazebo (n = 201) zwei Jahre lang behandelt. Die Patienten der drei
Gruppen unterschieden sich zu Beginn nicht in wichtigen klinischen Parametern
(z.B. Dauer, Art und Güte der Behandlung des Diabetes, Art und Schwere
diabetischer Komplikationen, arterielle Hypertonie, Body-Mass-Index u.a.). Die arterielle
Hypertonie durfte in allen drei Gruppen zusätzlich zur Studien-Medikation mit
Diuretika, Beta-Blockern, Nicht-Dihydropyridin-Kalziumantagonisten und
Alpha-Blockern, nicht jedoch mit ACE-Hemmern behandelt werden. Ziel-Blutdruck
war 135/85 mmHg nach drei Monaten. Primärer Endpunkt war der Zeitpunkt des
Beginns einer diabetischen Nephropathie. Er war definiert als Albuminurie >
200 µg/min.
Ergebnisse: In den
Irbesartan-Gruppen erreichten 5,2% (300 mg/d) bzw. 9,7% (150 mg/d) und in der
Plazebo-Gruppe 14,9% der Patienten den Endpunkt. Der Unterschied zwischen der
Plazebo-Gruppe und der Gruppe mit der höheren Irbesartan-Dosierung war
signifikant (p < 0,001). In allen drei Gruppen kam es im Mittel zu einem
Rückgang der Mikroalbuminurie: Irbesartan 300 mg/d um 38%
(95%-Konfidenzintervall: 32 bis 40%), Irbesartan 150 mg/d um 24% (19 bis 29%),
Plazebo 2% (-7 bis +5%). Auffällig war, daß unter der höheren Irbesartan-Dosis
die Kreatinin-Clearance zunächst stärker abfiel als in den beiden anderen
Gruppen. Nach drei Monaten war dieser Effekt, der möglicherweise intrarenal
hämodynamisch zu erklären ist, aber den anderen Gruppen angeglichen. Der
Blutdruck war in den Irbesartan-Gruppen am Ende der Studie nur geringfügig
niedriger als in der Plazebo-Gruppe (141/83 vs. 143/83 vs. 144/83 mm Hg). Die
Autoren schließen aus diesen Ergebnissen, daß Irbesartan - zumindest in der 300
mg-Dosierung - renoprotektiv wirkt und dies wohl teilweise unabhängig von
seiner blutdrucksenkenden Wirkung.
In der IDNT-Studie
(3; multinational, randomisiert, doppeltblind, plazebokontrolliert; Sponsor:
Sanofi-Synthelabo und Bristol-Myers) wurden 1715 ebenfalls hypertensive
Patienten mit Typ-2-Diabetes und bereits fortgeschrittener diabetischer
Nephropathie (Serum-Kreatinin um 1,7 mg/dl; Proteinurie 2,9 g/24 h, Albuminurie
1,9 g/24 h) im Mittel 2,6 Jahre lang mit 300 mg/d Irbesartan oder 10 mg/d
Amlodipin (Norvasc) oder Plazebo behandelt. Der Ziel-Blutdruck war 135/85 mm
Hg. Die drei Gruppen unterschieden sich zu Beginn nicht in den wichtigsten
klinischen Parametern.
Ergebnisse: Der primäre und
der sekundäre Endpunkt sowie die wichtigsten sonstigen Ergebnisse sind in Tab.
1 wiedergegeben. Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß Irbesartan das
Fortschreiten einer bereits vorhandenen diabetischen Nephropathie mit
Niereninsuffizienz verlangsamen kann und daß dieser Schutz unabhängig ist von
der blutdrucksenkenden Wirkung des AT-II-RB. Ein Überlebensvorteil ergab sich
jedoch nicht. Der Kalziumantagonist Amlodipin unterschied sich nicht von
Plazebo. Die Unterschiede in den Gruppen sind im Ergebnisteil der
Originalarbeit in absoluten Zahlen und in Kaplan-Meier-Kurven, im Abstract
jedoch in Relativ-Prozent (prozentualer Unterschied im Relativen Risiko)
angegeben, was bei oberflächlicher Betrachtungsweise leicht dazu führt, die
positiven Wirkungen von Irbesartan zu überschätzen (s.a. AMB 1992, 26,
87). So erreichten z.B. den primären Endpunkt unter Irbesartan 32,6% und unter
Plazebo 39% der Patienten, d.h. es besteht ein absoluter Unterschied von
"nur" 6,4 Prozentpunkten (s. Tab. 1). Dies sind aber - wenn als
Relatives Risiko dargestellt - 0,8 vs. 1,0, also 20% (!) weniger.
In der dritten, der
RENAAL-Studie (4; ebenfalls multinational, randomisiert, doppeltblind und
plazebokontrolliert; Sponsor: Merck und Co.) wurden 1513 hypertensive
Typ-2-Diabetiker mit Niereninsuffizienz (Serum-Kreatinin 1,9 mg/dl) im Mittel
3,4 Jahre lang mit täglich 50-100 mg Losartan (Lorzaar) bzw. Plazebo behandelt.
Ergebnisse: Der primäre
Endpunkt war zusammengesetzt aus Verdopplung des Ausgangs-Kreatinins, terminale
Niereninsuffizienz oder Tod. Er wurde von 47,1% in der Plazebo- und von 43,5%
der Patienten in der Losartan-Gruppe erreicht (Risikoreduktion: 3,6
Prozentpunkte = 16%). Ein Überlebensvorteil ergab sich nicht, jedoch fand sich
bei der gemeinsamen Auswertung von Verdopplung des Ausgangs-Kreatinins und
terminaler Niereninsuffizienz eine Risikoreduktion von 21%. Die vorbestehende
Proteinurie nahm unter Losartan im Vergleich mit Plazebo um 35% ab. Auch diese
Autoren kommen zu dem Schluß, daß Losartan unabhängig vom Ausmaß der
Blutdrucksenkung renoprotektiv ist. Die Verträglichkeit von Losartan war,
ebenso wie die von Irbesartan in IRMA und IDNT, gut.
Ein diese Studien
begleitendes Editorial von T.H. Hostetter (6) vom National Institute of
Diabetes and Digestive and Kidney Diseases, Bethesda, weist auf die Größe des
Problems hin: in den USA haben sich Inzidenz und Prävalenz der Patienten mit
terminaler Niereninsuffizienz in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Dort werden
zur Zeit 300000 Patienten dialysiert und 80000 Patienten leben mit einem
Nierentransplantat. Bis zum Jahr 2010 wird sich die Zahl der Patienten, die
einer Nierenersatz-Therapie bedürfen, um 175 000 erhöhen, die meisten davon als
Folge des Typ-2-Diabetes. Hostetter wertet die Ergebnisse dieser drei Arbeiten
als deutlichen Fortschritt und schätzt (wohl optimistisch), daß durch eine
frühzeitige Gabe von AT-II-RB etwa zwei Jahre im Fortschreiten der diabetischen
Nephropathie bis zur Dialysepflichtigkeit gewonnen werden könnten. Er bedauert
jedoch, daß in diese großen und kostspieligen Studien keine ACE-Hemmer, die
möglicherweise bei hypertensiven Typ-2-Diabetikern ebenfalls renoprotektiv
wirksam sind (7, 8), zum direkten Vergleich einbezogen wurden. Damit fehlen
Daten, die im Hinblick auf das Abschätzen von Wirksamkeit, Verträglichkeit und
Kosten dringend benötigt werden. Er vermutet, daß die merkantilen Interessen
der Pharmaindustrie den direkten Vergleich zwischen ACE-Hemmern und AT-II-RB
verhindert haben ("trial design blurs into marketing strategy"). Die
Patentrechte für ACE-Hemmer laufen nämlich früher aus, und es wird danach mit
ihnen weniger zu verdienen sein. Andererseits könnten sich bei einem direkten
Vergleich beide Substanzklassen als gleich wirksam erweisen, was dann
möglicherweise den Absatz der neueren und teureren AT-II-RB schmälert.
Literatur
-
The ACE
Inhibitors in Diabetic Nephropathy Trialist Group: Ann. Intern. Med. 2001, 134, 370
; s.a. AMB 2001, 35, 35.
-
Parving, H.-H.,
et al. (IRMA II = IRbesartan in patients with Type 2 diabetes and MicroAlbuminuria
study group): N. Engl. J. Med. 2001, 345, 870.
-
Lewis, E.J., et
al. (IDNT = Irbesartan Diabetic Nephropathy Trial):
N. Engl. J. Med. 2001, 345, 851.
-
Brenner, B.M.,
et al. (RENAAL = Reduction of Endpoints in Non-insulin-dependent
diabetes mellitus with the Angiotensin II Antagonist Losartan
study): N. Engl. J. Med. 2001, 345, 861.
-
AMB 2001, 35, 73.
-
Hostetter, T.H.:
N. Engl. J. Med. 2001, 345, 910.
-
Lacourcière, Y.,
et al.: Kidney Int. 2000, 58, 762.
-
HOPE und
MICRO-HOPE (Heart Outcomes Prevention Evaluation
study investigators): Lancet 2000, 355, 253 und 2000, 356, 860.
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