Aus
gegebenem Anlaß, dem sog. Ärzte-Bestechungsskandal, möchten wir auf ein
aktuelles Positionspapier zum Umgang von Ärzten mit der Industrie aus der
Sektion Innere Medizin des American College of Physicians hinweisen (Ann.
Intern. Med. 2002, 136, 396). Ausgangspunkt dieser Stellungnahme war die
Beobachtung, daß Art und Umfang des Einflusses der Industrie im Gesundheitswesen
in den vergangenen Jahren stetig zugenommen haben. Insbesondere durch die sich
sehr stark entwickelnden Bereiche Biotechnologie, Pharmakogenetik und E-Health
(Medizindienstleistung im Internet und anderen elektronischen Medien) werden
die Verbindungen zwischen Ärzten und Industrie immer enger. Die Firmen und
deren Repräsentanten sind heute in vielen Bereichen unverzichtbare Partner,
nicht nur in Forschung und Weiterbildung, sondern auch in der Betreuung
komplexer Therapien. Diese enge Verbindung zwischen Ärzten und Industrie
impliziert jedoch zwangsläufig eine Abhängigkeit und Beeinflussung (Bias) bei
ärztlichen Beurteilungen und Handlungen.
Ziel
der Publikation war es, den Ärzten Richtlinien zu geben, mit deren Hilfe sie
richtig, d.h. nicht zum Schaden ihrer Patienten und nicht zum eigenen Schaden,
mit der Industrie umgehen können. Einleitend werden die vier ethischen
Grundsätze einer professionellen ärztlichen Arbeit genannt, die nicht durch die
Beziehungen zur Industrie gefährdet sein dürfen. 1. Ärzte müssen im besten
Interesse der Patienten handeln (Benefiz). 2. Ärzte müssen Patienten vor
Schaden bewahren (Nonmalefiz). 3. Ärzte müssen Patienten und deren Willen
respektieren und einen aufgeklärten Konsens anstreben (Autonomie). 4. Ärzte
müssen die dem Gesundheitssystem zur Verfügung stehenden Mittel problembezogen
auf alle Patienten verteilen (Gerechtigkeit).
Position 1: Es wird
Ärzten generell davon abgeraten, Geschenke, Einladungen, Reisen und finanzielle
Unterstützungen jeglicher Art von der Industrie anzunehmen. Dabei ist es oft
schwierig, zwischen kleineren Aufmerksamkeiten und unangemessenen Geschenken zu
unterscheiden. Als allgemein akzeptierte und ethisch vertretbare Geschenke
gelten: billige Bürowaren (Kugelschreiber, Kalender), billiges Fortbildungsmaterial
(einfache Fachbücher und Patientenbroschüren) und Einladungen zu
Fortbildungsveranstaltungen mit moderater Verköstigung (Imbiß, Getränke). Für
die Unterscheidung zwischen angemessenen und unangemessenen Geschenken können
einige Fragen sehr hilfreich sein:
Was würden meine Patienten über die Annahme des
Geschenks denken? Was würde die Öffentlichkeit darüber denken? Würde es mir
etwas ausmachen, wenn diese Verbindung über die Medien publik gemacht würde?
Die Antworten auf diese Fragen sind gut erforscht. So finden es Patienten in
aller Regel nicht richtig, daß Ärzte Geschenke von der Industrie annehmen.
Dabei werden kleinere ”Aufmerksamkeiten”, wie Kugelschreiber,
Medikamentenproben und Sonderdrucke als unbedenklich angesehen. Dagegen werden Dinge
für die private Nutzung, wie Radios oder Kaffeemaschinen sowie Einladungen zum
Essen bzw. zu Reisen, abgelehnt, weil vermutet wird, daß diese Zuwendungen die
ärztlichen Entscheidungen beeinflussen und die Kosten im Gesundheitswesen
steigern.
Was
könnte der Hintergedanke der Industrie für das Geschenk sein? Die
Schaffung einer sog. Geschenkebeziehung bezweckt die Verankerung des Gebers im
Gedächtnis des Nehmers. Dadurch entsteht eine gewisse Verpflichtung, das
Geschenk zu erwidern. Dies gilt im übrigen auch für überlassene Probepackungen
von Medikamenten, die, wenn an Patienten weitergegeben, bei diesen schnell eine
Markenprägung verursachen. Ein wirtschaftlicher Schaden kann dadurch entstehen,
daß den Patienten dann auf deren Wunsch die gleiche Marke weiter verordnet
wird, obwohl auch günstigere Präparate mit gleicher Wirksamkeit zur Verfügung
stehen. Übrigens werden die Probepackungen zu etwa einem Drittel von Ärzten
selbst oder ihren Angestellten oder Angehörigen konsumiert. Auch die gerne
verteilten Hochglanzbroschüren für Ärzte und Patienten, Gratis-Software oder
kostenfrei angebotene Patientenschulungen sind in nahezu allen Fällen reine
Werbung. Solche Materialien dürfen niemals als alleinige Informationsquelle von
Ärzten akzeptiert werden.
Was würden meine
Kollegen über die Geschenkannahme denken? Was würde ich über meinen eigenen
Arzt denken, wenn er ein solches Angebot annähme? Alle Ärzte werden
schon früh während ihrer Ausbildung an die Geschenke der Industrie gewöhnt.
Medizinstudenten erhalten von der Industrie Lehrmaterial und medizinische
Gerätschaften unentgeltlich und werden zu Fortbildungsveranstaltungen
eingeladen. Diesen Angeboten steht an den Universitäten nur selten eine
fundierte Ausbildung über medizinethische Standards gegenüber. Die meisten
Ärzte zweifeln an der Angemessenheit der Geschenkepraxis. Im Idealfall nehmen
Ärzte keine Werbungsgeschenke an, die das ärztliche Urteil beeinflussen
könnten.
Position
2: Ärzte, die feste finanzielle Beziehungen mit der Industrie unterhalten, entweder
als Forscher, Redner, Berater, Investoren, Miteigentümer, Partner, Angestellte
o.a., dürfen dadurch ihr objektives klinisches Urteil nicht beeinflussen
lassen. Alle Ärzte müssen solche Beziehungen bei klinischen Forschungsprojekten
und Publikationen offenlegen. Die Verbindung zwischen
klinisch tätigen Ärzten und der Industrie sind für den medizinischen
Fortschritt unabdingbar. Etwa die Hälfte der medizinischen Forschungsgelder in
Deutschland sind sog. Drittmittel-Gelder der Industrie. Diese engen materiellen
und inhaltlichen Verbindungen erzeugen unzweifelhaft einen Interessenkonflikt
und gefährden das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt.
Wenn
Ärzte z.B. als Privateigentümer medizinischer Einrichtungen fungieren, dann
hängt ihr wirtschaftlicher Erfolg unmittelbar auch von ihren medizinischen
Entscheidungen ab. Es ist unethisch, wenn Ärzte z.B. im Rahmen einer
Belegarztpraxis zu medizinischen Eingriffen raten, nur um daraus einen
finanziellen Nutzen zu ziehen. Es ist ebenfalls unethisch, eine Vereinbarung
einzugehen, die beinhaltet, daß das Einkommen eines Arztes an die Zahl seiner
Zuweisungen geknüpft wird. Wenn Ärzte an Einrichtungen zuweisen, an denen sie
finanziell beteiligt sind, dann müssen sie dies den Patienten gegenüber
offenlegen und auch Alternativen benennen.
Ärzte,
die ausbilden und/oder forschen, um das wissenschaftliche und professionelle
Wissen zu erweitern, können auch eine leistungsbezogene Aufwandsentschädigung
(angemessenes Vortragshonorar, Reisespesen) von der Industrie annehmen. Dem
Auditorium oder den Lesern sollen diese Zuwendungen jedoch zur Wahrung der
Objektivität mitgeteilt werden. Der Inhalt der Vorlesung soll vom Vortragenden
und nicht vom Sponsor bestimmt sein. Wenn Ärzte für die Industrie beratend
tätig sind oder Vorträge halten oder Texte verfassen, müssen sie ihre
Unabhängigkeit wahren. Die Quelle der gegebenen Information sollte stets
angegeben werden. Unethisch ist, wenn sich Ärzte dafür bezahlen lassen, ihren
Namen unter Publikationen der Industrie zu setzen, die allein dazu verfaßt
wurden, die Öffentlichkeit zu manipulieren (”to manage the press”).
Forschungsarbeiten
sowie Anwendungsbeobachtungen zu neuen Medikamente können dazu beitragen, deren
Nutzen und Risiken besser zu verstehen. Sie dienen also den Grundsätzen des
Benefiz und des Nonmalefiz. Die Ärzte müssen jedoch sicherstellen, daß der
Forschungsinhalt relevant und die Durchführung ethisch vertretbar ist. Ärzte
dürfen nicht an Studien teilnehmen, deren alleiniger Inhalt es ist, ein Produkt
besser auf dem Markt zu positionieren. Ärzte haben zur Wahrung der
Patientenautonomie die ethische Verpflichtung, ihre finanziellen Vorteile durch
eine Anwendungsstudie den teilnehmenden Patienten mitzuteilen. Die
Aufwandsentschädigung muß adäquat zur erbrachten Leistung und dem Zeitaufwand
sein. Eine Entlohnung für das alleinige Rekrutieren von Patienten für eine
Studie (”finder´s fees”), die dann ausschließlich von einer Firma durchgeführt
wird, ist inakzeptabel. Schließlich müssen Ärzte, die an solchen Studien teilnehmen,
dafür Sorge tragen, daß es keinen ”Publikationsbias” über das Studienergebnis
gibt. In den abgeschlossenen Verträgen muß also stehen, daß die
Studienergebnisse öffentlich zugänglich sein müssen und daß auch negative
Studienergebnisse nicht unterdrückt werden können. Wenn trotzdem von der Firma
solche Anstrengungen unternommen werden, dann sind die Ärzte dazu verpflichtet,
diese Manipulationsversuche den entsprechenden Aufsichtsbehörden mitzuteilen.
Auch
die Nutzung moderner elektronischer Medien (Internet, CD-Rom mit Vorträgen oder
Expertensystemen etc.) muß von Ärzten kritisch beobachtet werden. Die
Gesundheitssysteme werden in Zukunft noch stärker von diesen elektronischen
Medien Gebrauch machen, die von der Industrie in starkem Maße gesteuert und
beeinflußt werden. Angesichts der explosionsartigen Vervielfältigung dieser
technisch erreichbaren Informationsmöglichkeiten, die als klinische
Datenquelle, Patientenforum und vieles mehr dienen, wird es zunehmend wichtig
sein, aus der Flut von Informationen jene heraus zu filtern, die unabhängig von
kommerziellen Interessen und relevant sind. Ärzte, die im Internet präsent
sind, tragen die Verantwortung für den Inhalt und die Links, die auf ihrer
Website stehen.
Fazit: In der
genannten Publikation unternimmt eine amerikanische medizinische
Fachgesellschaft den Versuch, allen Ärzten ethische Richtlinien an die Hand zu
geben, wie sie den unverzichtbaren inhaltlichen und materiellen Umgang mit der
Industrie regeln können, ohne dabei ihre Unabhängigkeit zu verlieren und
trotzdem ihre Verpflichtungen gegenüber Patienten und Gesellschaft erfüllen.
Neben den eindeutigen gesetzlichen Bestimmungen gibt es in Deutschland auch
vergleichbare Verhaltenskodizes (Berufsordnung, Kodex Medizinprodukte,
Gemeinsamer Standpunkt zur strafrechtlichen Bewertung der Zusammenarbeit
zwischen Industrie, medizinischen Einrichtungen und deren Mitarbeitern). Die
Entwicklung und Überwachung des Einhaltens solcher Regeln ist eine ganz
vordringliche Aufgabe der Standespolitik. Die unabhängige
Arzneimittelinformation, wie sie z.B. von unabhängigen
Arzneimittel-Zeitschriften gegeben wird, ist ein ganz wesentlicher Bestandteil
derartiger Bemühungen.
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