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„Aspirin-Resistenz“

Niedrig dosierte Azetylsalizylsäure (ASS) inaktiviert zu über 95% das Enzym Zyklooxygenase (COX-1-Isoform). In den kernlosen Thrombozyten ist diese COX-1-Hemmung irreveriblel. Als Folge wird u.a. die Thromboxan-A2-Synthese vermindert und die Aggregationsfähigkeit der Thrombozyten um 80% reduziert. In zahllosen Studien konnte nachgewiesen werden, daß diese Thrombozytenfunktionshemmung durch ASS einen großen Nutzen in Therapie und Sekundärprophylaxe kardiovaskulärer Erkrankungen hat.

Trotzdem erleiden aber 10-20% der Patienten, die nach einer arteriellen Thrombose ASS erhalten, ein weiteres kardiovaskuläres Ereignis. Bei einigen dieser Patienten konnte nachgewiesen werden, daß trotz ausreichender ASS-Gabe die Thromboxan-A2-Synthese der Thrombozyten nicht gut unterdrückt und ihre Aggregationsfähigkeit weitgehend erhalten war. Dieses Phänomen wird neuerdings als „Aspirin-Resistenz“ bezeichnet.

Wissenschaftler aus Perth in Australien und von der McMaster-Universität in Hamilton/Kanada haben nun an einer sehr großen Gruppe die Variabilität der Thromboxansynthese-Hemmung durch ASS untersucht und in einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie die klinische Bedeutung dieses Phänomens abgeschätzt (Eikelboom, J.W., et al.: Circulation 2002, 105, 1650). Hierzu wurden die Patientendaten der multizentrischen HOPE-Studie verwendet (Yusuf, S., et al.; HOPE = Heart Outcomes Prevention Evaluation: N. Engl. J. Med. 2000, 342, 145 und 154; s.a. AMB 2000, 34, 14 und 80). Aus der kanadischen Studienpopulation wurden 488 Fälle mit kardiovaskulären Ereignissen (Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulär bedingter Tod) unter ASS-Therapie identifiziert. Diesen Fällen wurden dann Kontroll-Patienten mit gleichem Alter und Geschlecht zugewiesen, die ebenfalls mit ASS behandelt wurden, aber im Studienverlauf kein kardiovaskuläres Ereignis erlitten. Die Fälle unterschieden sich von den Kontroll-Patienten in vielen klinischen Parametern: z.B. Body Mass Index, Blutdruck, Vorerkrankungen (u.a. mehr Raucher und mehr Diabetiker) und Medikation (u.a. weniger CSE-Hemmer).

Ein weiterer möglicherweise bedeutsamer Unterschied zwischen den Fällen und den Kontrollen war die Konzentration von 11-Dehydro-Thromboxan B2 (DHTX) im Urin. DHTX ist ein stabiler Metabolit des Thromboxan A2. Eine effektive Thromboxan-A2-Synthese-Hemmung durch ASS resultiert in geringen DHTX-Spiegeln im Urin. Bei den 488 Fällen mit kardiovaskulären Ereignissen wurde insgesamt ein höherer Spiegel bestimmt als bei den Kontrollen. Besonders hoch im Vergleich zu den Kontrollen war der DHTX-Spiegel bei Patienten, die im Studienverlauf einen Herzinfarkt erlitten (geometrisches Mittel: 24,5 vs. 20,9 ng/mmol Kreatinin) und bei den Patienten, die aus kardiovaskulären Gründen starben (25,6 vs. 20,4 ng/mmol Kreatinin). Keine erhöhten Spiegel fanden sich dagegen bei den Patienten, die während der Studie einen Schlaganfall erlitten (25 vs. 27,4 ng/mmol Kreatinin). Rechnerisch konnte eine lineare Beziehung zwischen der DHTX-Konzentration im Urin und dem Risiko für Myokardinfarkt oder kardiovaskulären Tod ermittelt werden, nicht aber für das Risiko eines Schlaganfalls. So wurde für Patienten mit DHTX-Spiegeln von über 22 ng/mmol Kreatinin ein Relatives Risiko von 1,5 und für Spiegel über 33 ng/mmol Kreatinin ein nahezu doppelt so hohes Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis berechnet. Diese Unterschiede blieben auch nach der Adjustierung anderer Faktoren (konventionelle Risikofaktoren, Studienmedikation und andere Kointerventionen) bestehen. Allerdings wurde die Compliance der Medikamenteneinnahme nicht objektiviert.

Die Autoren diskutieren in erster Linie genetische Ursachen für die „Aspirin-Resistenz“ (COX-1-Genpolymorphismus) oder eine vermehrte alternative Aktivierung der Thrombozyten, z.B. durch Makrophagen, die ihrerseits in der Lage sind, Thromboxan A2 zu synthetisieren. Hieraus folgern sie, daß eine einfache Erhöhung der ASS-Dosis nicht zur Problemlösung beitragen kann.

Fazit: Möglicherweise wird durch ASS die Thrombozytenfunktion bei 10-20% der kardiovaskulären Risikopatienten nicht ausreichend gehemmt. Es ist zweifelhaft, ob eine Erhöhung der ASS-Dosis diese Resistenz durchbrechen kann. Möglicherweise müssen diese ASS-resistenten Patienten zukünftig identifiziert und mit anderen Thrombozytenfunktionshemmern behandelt werden. Wegen der großen klinischen Bedeutung dieser Beobachtung sind dringend prospektive Studien erforderlich.