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Ein neues Antikoagulanz: Fondaparinux-Natrium

Im März 2002 hat die EMEA (Europäische Arzneimittelbehörde) europaweit ein neues, rein synthetisches Antikoagulanz zugelassen, Fondaparinux-Natrium (Arixtra von Sanofi Synthelabo). Informationen zur Substanz und zum Zulassungsverfahren sind auf der Homepage der EMEA nachzulesen (1). Wir haben über eine Phase-II-Studie mit dieser Substanz bereits kurz berichtet (2).

Fondaparinux-Natrium bindet wie Heparin an Antithrombin III (AT III) und hemmt im Komplex den aktivierten Faktor X (Stuart-Prower-Faktor). Anders als das unfraktionierte Heparin und in geringerem Ausmaß auch die niedermolekularen Heparine soll Fondaparinux-Natrium sehr selektiv an AT III binden und weder Thrombin (Faktor IIa) inaktivieren noch auf die Thrombozytenfunktion einwirken.

Zugelassen ist Fondaparinux-Natrium für die perioperative Thromboseprophylaxe bei größeren orthopädischen Eingriffen. Somit steht die neue Substanz in Konkurenz zum unfraktionierten Heparin und besonders den niedermolekularen Heparinen. Im Folgenden soll das stark beworbene Arixtra („Fortschritt der Xtra-Klasse“) dem unfraktionierten und dem niedermolekularen Heparin gegenübergestellt werden.

1. Der Preis für eine Tagestherapie Arixtra liegt etwa um den Faktor 7 über dem des unfraktionierten Heparins und etwa um Faktor 1,5 über dem von niedermolekularem Heparin. Die tägliche Einmalgabe von 2,5 mg Arixtra s.c. kostet 16,50 Euro. 2 mal 5000 I.E. unfraktioniertes Heparin s.c. (Fertigampullen) kosten 1,90-2,40 Euro und 1 mal 40 mg Enoxaparin s.c. kosten 10,71 Euro (Quelle: Rote Liste Juli 2002).

2. Die Indikation für niedermolekulares und unfraktioniertes Heparin ist breit, dagegen ist Fondaparinux Natrium nur für die kurzfristige (5-9 Tage) postoperative Prophylaxe nach größeren orthopädischen Eingriffen zugelassen. Für alle anderen interessanten Einsatzbereiche von Antikoagulanzien (Vorhofflimmern, Klappenchirurgie, Sekundärprophylaxe nach Thrombembolie, instabile Koronarsyndrome) gibt es derzeit keine Studien mit Fondaparinux-Natrium.

3. Die Wirksamkeit von Fondaparinux-Natrium bei der perioperativen Thromboseprophylaxe wurde in vier Phase-III-Studien im Vergleich zu einem niedermolekularen Heparin (Enoxaparin) getestet (3-6). In diesen vier Studien wurden insgesamt 8000 Patienten mit operativ versorgter proximaler Femurfraktur oder elektivem Hüft- bzw. Kniegelenkersatz vergleichend behandelt (Tab. 1). Diese vier Studien gleichen sich in ihrer Methodik teilweise bis aufs Wort, so daß sich die Frage aufdrängt, ob nicht eine oder zwei Studien aus Marketingüberlegungen heraus auf vier gestreckt worden sind (Publikationsbias?).

Die Ergebnisse aller vier Studien sind positiv für Arixtra. Es traten signifikant weniger postoperative Thrombosen auf als mit niedermolekularem Heparin (Tab. 2). Dabei handelte es sich aber wohlgemerkt nicht um eine Verringerung von klinisch manifesten Thrombosen, sondern um weniger subklinische Thrombosen. Zudem lagen die Thrombosen, die den Unterschied begründeten, vorwiegend im Unterschenkelbereich. Diese Thrombosen fielen nur durch Routine-Phlebographien auf, was primärer Studienendpunkt war.

Einzig in der PENTHIFRA-Studie (3) traten unter Fondaparinux-Natrium auch signifikant weniger proximale Beinvenenthrombosen (subklinisch) auf als mit Enoxaparin. Bei dieser Studie handelte es sich um Hochrisiko-Patienten mit frischer proximaler Femurfraktur und – damit verbunden – einem besonders hohen Thromboserisiko.

Ein Kommentator im Lancet, der im Übrigen auf der Honorarliste von Sanofi-Synthelabo steht, stellt die Ergebnisse der vier Studien gepoolt zusammen (s. Tab. 2) und errechnet, daß es mit Fondaparinux im Vergleich zu Enoxaparin zu 50% weniger Thrombosen kommt. Hieraus resultiert die fünfte Publikation (7). Mit diesem Rechenergebnis wird die Substanz heute beworben.

Ein großes Problem bei der Interpretation dieser Studien ist, daß die Anwendung der Antikoagulanzien uneinheitlich war. So wurde in allen vier Studien das niedermolekulare Heparin erst 12 h postoperativ verabreicht. Dagegen erhielten die Patienten das Fondaparinux-Natrium schon 6 h früher. Begründet wird diese abweichende Therapie mit den Herstellerempfehlungen von Enoxaparin und den gegenwärtigen Behandlungsrichtlinien, in denen das niedermolekulare Heparin erst 12 h postoperativ empfohlen wird (8). Es kann spekuliert werden, daß die Effekte zu Gunsten von Fondaparinux-Natrium kleiner ausgefallen wären, wenn Enoxaparin auch bereits 6 h postoperativ verabreicht worden wäre.

4. Blutungskomplikationen sind mit Fondaparinux-Natrium etwa um ein Drittel häufiger als unter Enoxaparin in den gewählten Dosierungen (Tab. 2).

5. Eine Therapiekontrolle über gängige Gerinnungstests (aPTT, ACT, Prothrombinzeit, INR, u.a.) ist nur unter unfraktioniertem Heparin möglich. Die Wirkung von Fondaparinux ist ebenso wie die des niedermolekularen Heparins nicht mit gängigen Gerinnungstests zu messen. Dies bietet Vorteile im täglichen Umgang, stellt aber auch ein Sicherheitsproblem dar. So kann es insbesondere bei älteren oder niereninsuffizienten Patienten zu unbemerkten Überdosierungen durch Dosisakkumulation kommen, sowohl mit niedermolekularen Heparinen als auch mit Fondaparinux-Natrium.

6. Sanofi-Synthelabo wirbt damit, daß bislang keine Kreuzreaktivität bei Heparin induzierten Thrombopenien (HIT) bekannt geworden sind, wobei diese Erkenntnisse sich nicht auf systematische klinische Untersuchungen stützen, sondern auf in-vitro-Tests mit Serum von HIT-Patienten. Andere unerwünschte Wirkungen von Fondaparinux-Natrium wurden in den publizierten Studien nicht systematisch mitgeteilt.

6. Problematische Patientengruppen für die Anwendung von Fondaparinux-Natrium sind Kinder (keine Studien), Patienten mit einem Körpergewicht unter 50 kg (vermehrte Blutungskomplikationen), leberinsuffiziente Patienten (keine Studien), ältere Patienten (vermehrte Blutungskomplikationen), niereninsuffiziente Patienten (vermehrte Blutungen; Kontraindikation bei Kreatinin-Clearance unter 30 ml/Min. und Dosisreduktion bei Clearance 30-50 ml/Min.) und Schwangere (keine Studien).

Fazit: Fondaparinux-Natrium ist ein neuer Konkurrent des altbewährten Heparins. Im Vergleich zu niedermolekularem Heparin (Enoxaparin) traten in vier Studien bei orthopädischen Operationen weniger subklinische Thrombosen auf. Dieser positive Effekt könnte zumindest teilweise im unterschiedlichen Zeitpunkt des Therapiebeginns begründet sein. Darüber hinaus sind wahrscheinlich keine äquipotenten Dosen verglichen worden, wie es die häufigeren Blutungen unter Fondaparinux vermuten lassen. Die neue Substanz könnte eine Nischenindikation bei Patienten mit besonders hohem perioperativen Thromboserisiko finden. Ansonsten kann sie derzeit in der täglichen Routine nicht empfohlen werden.

Literatur

  1. www.eudra.org/humandoes/Humans/EPAR/arixtra.htm
  2. AMB 2001, 35, 53a.
  3. Eriksson, B.I, et al. (PENTHIFRA = PENTasaccharide in HIp-FRActure surgery study): N. Engl. J. Med. 2001, 345, 1298.
  4. Bauer, K.A., et al. (PENTAMAKS = PENTAsaccharide in MAjor Knee Surgery): N. Engl. J. Med. 2001, 345, 1305.
  5. Turpie, A.G.G., et al. (PENTATHLON 2000 = PENTAsaccharide, Total Hip, LOw molecular weight hepariN 2000): Lancet 2002, 359, 1721.
  6. Lassen, M.R., et al. (EPHESUS = European Pentasaccharide Hip Elective SUrgery Study): Lancet 2002, 359, 1715.
  7. Bounameaux, H., und Perneger, T.: Lancet 2002, 359, 1710.
  8. ”POST”: Guidelines for orthopedic surgery. www.ahcpub.com/ahc_root_html/hot/physiciantools.html

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