Vom 19.-21. September 2002 trafen sich die Herausgeber der
unabhängigen Arzneimittel-Informationsblätter in Dubrovnik. Sie sind seit 1986
in der International Society of Drug Bulletins (ISDB) zusammengeschlossen, der
auch DER ARZNEIMITTELBRIEF angehört. Die Mitglieder sind in ihrer
Informationspolitik nur der Gesundheit der Patienten verpflichtet und nicht dem
Umsatz der Pharmaindustrie und nicht dem Wohlergehen der Versicherungen oder
sonstiger Kostenträger. Das ist der wesentliche Inhalt der Satzung der ISDB.
Die Unabhängigkeit der Redaktionen muß z.B. dadurch gewährleistet sein, daß die
Zeitschriften keine Pharmawerbung drucken.
Auch anläßlich der diesjährigen
Vollversammlung wurde über Aktivitäten und Kampagnen in allen Teilen der Welt
berichtet; aus Deutschland berichtete unter anderen ein Inder, Gopal Dabade,
der zur Zeit beim PHARMA-BRIEF der BUKO Pharma-Kampagne hospitiert. Er hat die
Vermarktungsstrategien deutscher Arzneimittelhersteller in der Dritten Welt
untersucht und stellte vier Beispiele vor:
Die Bayer AG verkauft in Indien ein Stärkungsmittel
"Bayer’s Tonic". 15 ml sollen 2 mal am Tag eingenommen werden bei
Appetitlosigkeit, Abgeschlagenheit und in der Erholungsphase nach Krankheit
oder Operation. Auf der Packung ist eine Flasche (300 ml) mit einem
Schnapsgläschen daneben abgebildet. Und das ist auch richtig so, denn 15 ml des
Tonikums enthalten neben 12 mg einer Leberfraktion, 506 mg Natriumphosphat,
178,5 mg eines Hefeextrakts auch 1,65 ml Alkohol, so daß sich eine
Alkoholkonzentration von 10,5% ergibt. Ursprünglich war das Präparat auch für
die Behandlung von Kindern vorgesehen. Als Ergebnis der Intervention der
Pharma-Kampagne wurde jetzt auf die Verpackung gedruckt: Keep out of reach of
children. Aber verkauft wird das ”Medikament” noch immer von dem seriösen
Pharmariesen. Die Flasche ist ziemlich teuer: sie kostet 40 Indische Rupien.
Das ist ungefähr der Tagesverdienst eines Landarbeiters. Man könnte dafür 1 kg
Obst, 1 kg Reis, 1 kg Karotten und eine Banane kaufen. Sind sich Bayer und
seine Aktionäre für solche Scharlatanerien nicht zu schade?
Aspirin war in Deutschland bis zum
Jahre 1988 auch für Kinder zugelassen. Mit Rücksicht auf
schwere UAW (Reye-Syndrom) wurde diese Zulassung zurückgezogen (s.a. Berde, C.B., und Sethna, N.F.: N. Engl. J. Med. 2002, 347, 1094). In Südamerika, z.B. Chile, Uruguay und Argentinien
wird es demgegenüber auch zur Anwendung bei Kindern weiter beworben mit der
Begründung, das Reye-Syndrom spiele dort praktisch keine Rolle. Die Bayer AG
geht also davon aus, daß die Kinder dort weniger anfällig sind oder sie mutet
ihnen ein höheres Risiko zu, über das die Patienten unzureichend informiert
sind. Die meisten Medikamente werden nämlich ohne ärztliche Verordnung und Beratung
verkauft. Die Ärzte werden darüber hinaus nur von den Pharmafirmen über
Medikamente informiert. Die Zulassungsbehörden sind schwach. Praktisch
regulieren also die Pharmafirmen mit ihrer Werbung den Pharmamarkt selbst. In
diesem Zusammenhang erinnerte der Autor an Sätze aus dem weltberühmten
Pharmakologiebuch von L.S. Goodman und A. Gilman: "The Pharmacological
Basis of Therapeutics". Dort ist zu lesen: "Die Werbung der Industrie
durch Zusendungen, Anzeigen in Zeitschriften oder Besuche von Pharmavertretern
soll überreden, nicht informieren. Die pharmazeutische Industrie ist nicht
verantwortlich für die Erziehung der Ärzte zum Gebrauch von Pharmaka. Das kann
sie nicht, soll sie nicht und - tatsächlich - das ist sie auch nicht".
Die Firma E. Merck bewirbt weiter
Encephabol (Pyritinol) zur Behandlung von Hirnfunktionsstörungen in den Staaten
der Dritten Welt. Dazu gehörte auch ”Minimal cerebral dysfunction following
perinatal distress”. Einen Wirksamkeitsnachweis gibt es nicht. In den
Niederlanden ist es auch für den Gebrauch bei Erwachsenen aus dem Handel
gezogen; in Deutschland spielt der Umsatz kaum noch eine Rolle. Auf die
Intervention hin hat die Firma nun zumindest die Indikation bei Kindern
zurückgenommen.
Auch an einer anderen Stelle war für
die BUKO Pharma-Kampagne ein Erfolg zu verbuchen: Die Firma Byk Gulden
verkaufte Insogen Plus (Phenformin) noch lange
Zeit in Mexiko, nachdem es in Deutschland längst vom Markt genommen werden
mußte. Sie reagierte zunächst nicht auf schriftliche Proteste. Erst als der
Fall im Fernsehen aufgerollt wurde, zog sie die Zulassung in Mexiko zurück.
Fazit: Die weltweit agierenden Pharmafirmen
nutzen den unterschiedlichen Informationsstand ihrer Kunden bewußt und zentral
gesteuert aus. Es ist daher unbedingt nötig, daß die Hüter unabhängiger
Pharmainformation über den nationalen Tellerrand gucken. |