Wir haben uns wiederholt mit dem Stellenwert des
rhEPO für die Therapie der durch Tumorerkrankungen oder deren zytostatische
Behandlung ausgelösten Anämie beschäftigt und zuletzt Empfehlungen für die
rationale Verordnung von rhEPO bei Tumorpatienten ausgesprochen (1). Diese
Empfehlungen orientierten sich im wesentlichen an Evidenz-basierten klinischen
Richtlinien, die inzwischen von der American Society of Clinical Oncology
(ASCO) und der American Society of Hematology (ASH) ausführlich publiziert
wurden (2). Schwerkranke Patienten, die auf Intensivstationen behandelt werden,
benötigen häufig Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten (3). Da ähnliche pathophysiologische
Mechanismen wie bei Tumorpatienten für das Auftreten der Anämie bei diesen
Patienten verantwortlich sind, war es naheliegend - auch aus kommerzieller
Sicht der Hersteller von rhEPO - die Wirksamkeit des Hormons bei Patienten mit
Anämie auf Intensivstationen (ITS) zu untersuchen. Eine erste kleine Studie an
160 schwerkranken Patienten auf ITS hatte kürzlich gezeigt, daß eine zunächst
tägliche, dann zweitägige Gabe von rhEPO (300 U/kg) die Transfusionshäufigkeit
signifikant senkt (4). Die günstigen Ergebnisse dieser Studie wurden inzwischen
in einer von Ortho Biotech finanziell unterstützten großen prospektiven,
randomisierten, doppeltblinden multizentrischen Studie überprüft, in die
Patienten sowohl chirurgischer als auch internistischer ITS eingeschlossen
wurden (5). Patienten, die die Einschlußkriterien für diese Studie erfüllten
(d.h. Aufenthalt auf ITS mindestens 3 Tage, Alter ≥ 18 Jahre, Hämatokrit
< 38%, schriftliches Einverständnis) wurden nach Randomisierung mit rhEPO
(Epoetin alfa) oder Plazebo behandelt. Epoetin alfa (40000 U) wurde einmal
wöchentlich an den Tagen 1 (entsprach Tag 3 auf der ITS), 7 und 14 verabreicht.
Patienten, die an Tag 21 noch auf der ITS lagen, erhielten eine 4. Gabe am Tag
28. Parallel wurde ab Tag 1 der Studie Eisen per os oder über Magensonde bzw.
bei Patienten, die auf die orale Gabe unzureichend ansprachen, auch parenteral
gegeben. Die Indikation für Transfusionen wurde bei Hb-Werten < 9 g/dl oder
Hämatokrit < 27% individuell von den behandelnden Ärzten gestellt. Primärer
Endpunkt der Studie war die Unabhängigkeit von Transfusionen (Studientag 1-28);
sekundäre Endpunkte waren die kumulative Zahl der Transfusionen und die
Letalität, jeweils bis Studientag 28, Veränderungen des Hb-Werts und die Zeit
bis zur ersten Transfusion oder bis zum Tod. 9674 der insgesamt 33685
ausgewählten Patienten erfüllten die Einschlußkriterien, von denen wiederum nur
1302 Patienten (13%) randomisiert wurden. Bei den übrigen Patienten konnte das
Einverständnis für die Studienteilnahme nicht eingeholt werden oder es wurde
verweigert. Wesentliche Ergebnisse dieser Studie sind in Tab. 1 zusammengefaßt.
Hieraus ergibt sich für Patienten, die rhEPO erhielten, eine relative
Risiko-Reduktion (RRR) von 19%, eine absolute RR von 9,9% und eine ”Number
Needed to Treat” (NNT) von 10. Erwartungsgemäß war auch der Anstieg der
Hb-Werte, ermittelt im Median nach 23 Tagen, mit 1,32 g/dl gegenüber 0,94 g/dl
(Plazebo) signifikant höher. Klinisch wichtige Endpunkte, wie z.B. Letalität
nach 28 Tagen (rhEPO 14% vs. Plazebo 15%), oder zusätzlich analysierte
Parameter wie Morbidität, Dauer des Aufenthalts auf der ITS und Zahl der Tage
mit künstlicher Beatmung konnten durch rhEPO nicht günstig beeinflußt werden.
Prädiktive Faktoren für das Ansprechen auf die Therapie mit rhEPO wurden bei
diesem sehr heterogenen Patientenkollektiv nicht analysiert und
Kosten-Nutzen-Analysen nicht durchgeführt.
Fazit:
rhEPO führt bei schwerkranken Patienten, die auf Intensivstationen behandelt
werden müssen, zu einer signifikanten Abnahme der Transfusionsbedürftigkeit und
zu einem signifikanten Anstieg des Hämoglobins. Weniger Bluttransfusionen wären
vermutlich auch durch konsequentes Beachten der Indikation für Transfusionen
bei Intensivpatienten (6, 7) zu erreichen gewesen. Klinisch relevante Endpunkte
(z.B. Letalität, Liegedauer auf der Intensivstation) wurden durch rhEPO nicht
signifikant beeinflußt bzw. nicht systematisch analysiert (z.B.
Kosten-/Nutzen-Relation). Eine generelle Injektion von rhEPO bei schwerkranken
Patienten auf Intensivstationen mit Hb-Werten < 8,5 g/dl wird daher von uns
derzeit nicht empfohlen.
Literatur
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AMB 2002, 36, 25.
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Rizzo, J.D., et al.:
Blood 2002, 100, 2303.
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Vincent, J.L., et al.:
JAMA 2002, 288, 1499.
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Corwin, H.L., et al.:
Crit. Care Med. 1999, 27, 2346.
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Corwin, H.L., et al.:
JAMA 2002, 288, 2827.
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Hebert, P.C., et al.: N.
Engl. J. Med. 1999, 340, 409.
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Carson, J.L.: JAMA 2002, 288, 2884.
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