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Leserbrief: Prostaglandin E1 als adjuvante Therapie nach Bypass-Chirurgie und an der Dialyse?

Fragen von Dr. P.B. aus Coburg: >> Sind die Behandlung von Patienten mit PAVK im Stadium III/IV mit i.v. PGE1 sowie die adjuvante Therapie nach Bypass-Chirurgie evidenzbasiert? Wie sind die Dosierungsempfehlungen für die Gabe während der Dialyse und die Empfehlung zur Verlängerung der Behandlungsdauer zu beurteilen? Während der Dialyse ergibt sich das Problem, daß dialyseassoziierten Hypotonien durch PGE1 verstärkt werden können, und nach Abschluß der Dialyse möchte kein Patient noch länger warten. <<

Antwort: >> Die i.v. Gabe der Prostanoide Prostaglandin E1 (PGE1 = Alprostadil = Prostavasin u.a.) und Iloprost (PGI2 = Ilomedin) wurden in 10 randomisierten, teils offenen, teils verblindeten plazebokontrollierten Studien an Patienten mit PAVK Stadium III und IV untersucht. Eine lesenswerte Übersicht und Bewertung hat die TransAtlantic Inter-Society Consensus (TASC) Working Group veröffentlicht (1). Schmerzen, Analgetikaverbrauch und Größe ischämischer Ulzera wurden in der Mehrzahl der Studien positiv beeinflußt. Die Häufigkeit von Major-Amputationen wurde in vier Arbeiten untersucht (drei PGI2, eine PGE1): In den Behandlungsgruppen war die Amputationsrate signifikant niedriger gegenüber Plazebo (23% vs. 39%; p < 0,05). Der Effekt auf Tod und Major-Amputation war 6 Monate nach Prostanoidgabe jedoch nicht mehr signifikant unterschiedlich. Die Studien sind hinsichtlich Dosierung, Behandlungsdauer (2-4 Wochen), Nachbeobachtungszeit (2 Wochen bis 6 Monate) und Auswahl der Endpunkte heterogen. Die Sicherheit der Verblindung wurde kritisiert. Die Empfehlungen der TASC Working Group sind vorsichtig positiv: Prostanoide können im Stadium III und IV eingesetzt werden (”may be treated”), wenn Revaskularisationsmaßnahmen nicht möglich sind oder erfolglos waren und die Extremität vital bedroht ist, eine unmittelbare Amputationsindikation jedoch nicht besteht. Ähnlich lautende Empfehlungen wurden von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sowie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie formuliert (2, 3).

In Deutschland ist derzeit nur PGE1 für die Behandlung der PAVK III/IV zugelassen; Iloprost besitzt lediglich die Zulassung für die Thrombangitis obliterans. Für die adjuvante i.v. PGE1-Therapie nach rekonstruktiver Chirurgie (Desobliteration, Venen- oder PTFE-Bypass) ist die Datenlage sehr begrenzt. Intraartereriell nach Revaskularisation applizierte Prostanoide können den peripheren Widerstand senken und den Blutfuß steigern (4, 5). In einer japanischen Arbeit (6) wurden Patienten mit PAVK und Thrombangitis obliterans (n = 56) 4-10 Tage lang mit i.v. PGE1 nach arterieller Rekonstruktion (Bypass, TEA) behandelt. Als Kontroll-Gruppe diente ein historisches Kollektiv. Während sich bei den PAVK-Patienten einen Monat nach Operation kein signifikanter Unterschied in der Offenheitsrate ergab (95% vs. 82%), konnte 7 Monate nach Therapie ein signifikanter Unterschied zugunsten der PGE1-Gruppe festgestellt werden (85% vs. 65%; p < 0,05). Zweifel sind angebracht, da aus allen Studien an PAVK-III/IV-Patienten ohne Operation deutlich wird, daß die Unterschiede zugunsten der Behandlungsgruppe mit zeitlichem Abstand zur Therapie rasch abnehmen. In einer randomisierten, plazebokontrollierten Studie an 83 Patienten mit PAVK III/IV nach Profundaplastik erzielte eine dreiwöchige i.v. PGE1-Gabe eine signifikant häufigere Rückführung in ein Fontaine-Stadium IIb (62% vs. 37%, p = 0,05; 7). Im Langzeitverlauf nach 5 Jahren mußten in der Kontroll-Gruppe 16, in der PGE1-Gruppe lediglich 8 Major-Amputationen durchgeführt werden. Dieser deutliche Unterschied dürfte weniger auf die Studienmedikation als auf die in beiden Gruppen differente Ansprechrate auf ein anschließend durchgeführtes Gefäß- und Verhaltenstraining (Kontrollen: 15 Responder, Therapie: 26) zurückzuführen sein. Weitere randomisierte, plazebokontrollierte Arbeiten, insbesondere nach Venen- und PTFE-Bypässen, gibt es bisher nicht.

Die TASC Working Group spricht in ihrem Resümee explizit keine Behandlungsempfehlung aus und empfiehlt weitere Studien. Die Indikationsstellung bleibt derzeit eine Einzelfall-Entscheidung des behandelnden Arztes.

Die i.v. Applikation von PGE1 während der Dialyse führt zu vergleichbaren PGE1- und PGE0-Spiegeln wie bei gesunden Probanden. Es erfolgt keine relevante Elimination durch die Dialyse (8). Zur Frage, ob sich die Studienergebnisse an PAVK-Patienten auf die Hochrisiko-Gruppe der terminal niereninsuffizienten Patienten hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungsspektrum übertragen lassen, existieren keine kontrollierten Studien (9). Ob die Gabe von 60-80 µg PGE1 dreimal wöchentlich über 6-8 Wochen an der Dialyse appliziert (Vorteil: Kein zusätzlicher Gefäßzugang erforderlich) genauso wirksam ist wie die 3-4 wöchige tägliche Gabe, ist derzeit mangels Daten nicht zu beantworten. Da sich jedoch gezeigt hat, daß eine Verlängerung der Behandlungszeit von 2 auf 4 Wochen die Erfolgsrate steigern kann, erscheint es zumindest plausibel – wenn auch nicht evidenzbasiert – im Einzelfall so vorzugehen. <<

Literatur

  1. Dormandy, J.A., und Rutherford, R.B. (TASC Working Group = TransAtlantic Inter-Society Consensus): J. Vasc. Surg. 2000, 31 Suppl. 1, S1.
  2. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (Hrsg.): Empfehlungen zur Therapie der chronischen PAVK. Deutscher Ärzte-Verlag 1997.
  3. DGA-Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der AVK. Vasa 2001, 30 Suppl. 57, 6.
  4. Loosemore, T.M., et al.: Int. Angiol. 1994, 13, 133.
  5. Heise, M., et al.: Eur. J. Vasc. Endovasc. Surg. 2001, 22, 219.
  6. Tanabe, T., et al.: Int. Angiol. 1984, 3, 63.
  7. Gruß, J.D.: Vasa 1997, 26, 117.
  8. Cawello, W., et al.: Vasa 1999, 54 Suppl., 17.
  9. Isshiki, K., et al.: Kidney Int. 1996, Suppl., 536.