In den letzten Jahren haben wir uns in einem
Hauptartikel (1), mehreren Kurzmitteilungen (2) und Leserbriefen (3) mit dem
Thema ”Hormonersatz-Therapie” (HRT) bei postmenopausalen Frauen und Brustkrebs
auseinandergesetzt. Die letzte Meldung betraf die amerikanische Women's Health
Initiative (WHI) Study, die bisher größte randomisiert-prospektive Studie an
über 16000 Frauen, in der eine Steigerung der Brustkrebs-Inzidenz um ca. 25%
durch Stutenharn-Östrogene, kontinuierlich kombiniert mit
Medroxyprogesteronazetat (MPA) über 5,2 Jahre, herauskam (4). In Deutschland
wurde diese Studie mehrfach, oft unsachlich, attackiert mit dem Hinweis, daß
hierzulande die meisten Frauen mit 17-beta-Östradiol in Kombination mit anderen
Gestagenen "substituiert" werden, so daß die amerikanischen
Ergebnisse nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragen werden könnten. Zudem
seien die Frauen in der WHI-Studie meist älter als 60 Jahre gewesen.
Unter Federführung der klinischen Epidemiologin V.
Beral aus Oxford erschien jetzt im Lancet eine sehr wichtige Studie (5), die
fast alle oben erwähnten Einwände gegen die WHI-Studie ganz oder teilweise
entkräftet. In enger Zusammenarbeit mit dem National Health Service Breast
Screening Programme (NHSBSP) wurden zusammen mit den Einladungen zur Teilnahme
am Mammographie-Screening an mehr als 1 Million Frauen im Alter von 50-64
Jahren im Mai 1996 Fragebögen verschickt, mit denen der Menopausen-Status und
der jetzige und frühere Gebrauch von "HRT" in welcher Form auch immer
(oral, transdermal, Implantat) unter Benennung der Präparate erfragt wurde.
Hierdurch war es möglich, eventuelle Risiken getrennt nach Art und
Applikationsweg der verschiedenen Östrogene und Gestagene zu erkennen. Dem
NHS-Zentralregister für Krebs-Erkrankungen und -Todesfälle wurden dann von 1996
bis Dezember 2001 (für Todesfälle) oder bis Dezember 2002 (für
Brustkrebs-Erkrankungen) die Endpunkt-Daten entnommen. In einer begrenzten Zahl
von Fällen wurde der Inhalt der zurückgeschickten Fragebögen mit den
Aufzeichnungen behandelnder Ärzte verglichen und validiert.
Ergebnisse:
In dem angegebenen Zeitraum traten bei 1084110 in die Studie eingeschlossenen
Frauen 9364 Fälle von invasivem Brustkrebs und 637 Todesfälle durch Brustkrebs
auf. Bei ”current users” war das Relative Risiko (RR mit Konfidenz-Intervallen)
für Brustkrebs mit 1,66 (1,6-1,72) hochsignifikant erhöht. Bei ”past users” war
es nicht erhöht, auch nicht in der Untergruppe, die vor weniger als 5 Jahren
den HRT-Gebrauch beendet hatte. Bei Östrogen-Gebrauch allein war das RR 1,3
(1,22-1,38; p < 0,0001), bei kombiniertem Östrogen/Gestagen-Gebrauch mit 2,0
(1,91-2,09; p < 0,0001) deutlich höher als bei Verwendung von Östrogen
allein (p wiederum < 0,0001). Nach Einnahme von Tibolon (Liviella; ein
Steroid mit östrogener, gestagener und androgener Wirkung) war das RR für
Brustkrebs auch erhöht (1,45; 1,25-1,68; p < 0,0001). Bei Verwendung von
Östrogen/Gestagen-Kombinationen < 5 Jahre war das RR 1,7 (1,56-1,86), > 5
Jahre 2,21 (2,06-2,36). Das Risiko war bei Verwendung von MPA oder anderen
Gestagenen in der Hormonkombination nicht deutlich verschieden. Die Art des
Östrogens oder die Applikationsart spielte hinsichtlich des RR für Brustkrebs
keine deutliche Rolle. Die Arbeit enthält einen gravierenden Druckfehler:
Ethinylestradiol statt Estradiol angegeben! Ersteres spielt in der HRT keine
Rolle.
Im Gegensatz zu früheren Studien war, vielleicht
wegen der größeren "statistischen power" dieser Studie, auch das
Risiko für Tod durch Brustkrebs bei HRT signifikant erhöht (RR = 1,22;
1,00-1,48; p = 0,05). Die Autoren rechnen auf, daß im UK in den letzten 10
Jahren durch Verwendung von HRT bei 50-64 Jahre alten Frauen 20000 zusätzliche
Fälle von Brustkrebs aufgetreten sind, während sie wegen der geringeren
Signifikanz keine Aussagen über zusätzliche Todesfälle durch Brustkrebs machen
können oder wollen.
Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen diejenigen
der WHI-Studie, auch in der Hinsicht, daß die kombinierte HRT mit Östrogenen
und Gestagenen ein höheres Risiko beinhaltet als bei Verwendung von Östrogenen
allein (der Teil der WHI-Studie mit Östrogen allein wurde noch nicht
abgebrochen, so daß das Brustkrebs-Risiko geringer sein wird als bei
kombinierter Hormonanwendung). Außer bei Verwendung von 17-beta-Östradiol
allein in sehr kleiner Dosierung (< 1 mg/d; so niedrig dosierte Tabletten
gibt es in Deutschland nicht), scheinen Stutenharn-Östrogene nicht gefährlicher
zu sein als Östradiol und MPA nicht gefährlicher als Norethisteron oder Levonorgestrel.
Bedenkt man, daß Frauen, die HRT anwenden, meist keine gravierende
Familienanamnese hinsichtlich Brustkrebs haben, dann erscheinen die Befunde
dieser Studie noch bemerkenswerter zu sein. Die Ergebnisse der Studie werden in
einem Kommentar von T. Lagro-Janssen et al. aus Holland und Kanada ausführlich
besprochen (6).
Fazit: Die
Million Women Study belegt ein hochsignifikant erhöhtes Risiko für Brustkrebs
bei HRT (Östrogene allein, mehr noch bei Kombination mit Gestagenen). Das
Risiko korreliert mit der Dauer der Anwendung. Die HRT sollte nur noch für
kurze Zeit bei Frauen mit gravierenden klimakterischen Beschwerden angewendet
werden. Frauen, die eine längere Anwendung wünschen, müssen über das
kardiovaskuläre und das Brustkrebs-Risiko ausführlich aufgeklärt werden.
Literatur
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AMB 2001, 35, 17.
-
AMB 2002, 36, 67 und 68
-
AMB 2001, 35, 71b und
2002, 36, 7b.
-
Writing Group for the Women's
Health Initiative Investigators (WHI): JAMA 2002, 288, 321.
-
Million Women Study
Collaborators: Lancet 2003, 362, 419.
-
Lagro-Janssen, T., et
al.: Lancet 2003, 362, 414.
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