Der
Arzneiverordnungs-Report 2003 beleuchtet kritisch das Verordnungsverhalten, wie
hier an einigen Beispielen dargestellt. Er stellt an sehr vielen Stellen
”Einsparpotenziale” fest. Dem möchte man zunächst zustimmen. Das Wort suggeriert
aber, daß weniger Geld im Gesundheitswesen ausgegeben werden könnte. Dem kann
man natürlich nicht generell zustimmen. Zu groß sind nämlich die Defizite in
flächendeckender Prophylaxe und Therapie verschiedener Erkrankungen, z.B.
hinsichtlich der Risikofaktoren der Arteriosklerose. Das Geld kann nicht
eingespart, sondern sollte an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden. Die
”Einsparpotenziale” sind die Verfügungsmasse, aus der eine medizinisch,
ökonomisch und damit auch ethisch sinnvollere Therapie bezahlt werden kann.
Die Vorstellung des
Arzneiverordnungs-Reports 2003 fand im Oktober mit großem Medieninteresse statt
(1). Das Herausgeber-Team unter Leitung von U. Schwabe und D. Paffrath stellen
darin in jedem Jahr das Verordnungsverhalten der deutschen Ärzte dar, soweit es
pflichtversicherte Patienten in der Ambulanz betrifft. Für im Krankenhaus
behandelte und privatversicherte Patienten gibt es solche Übersichten nicht.
Eine Gegenüberstellung wäre aber interessant. Wird in den Versorgungssegmenten unterschiedlich
behandelt? Beeinflußt die Behandlung im Krankenhaus die ambulante Behandlung?
Der
Arzneimittelumsatz ist 2002 um 6,5% auf 22,7 Mrd. EUR gestiegen und dies nicht
wesentlich durch eine zunehmende Zahl der Verordnungen, sondern vor allem durch
Verordnung neuer und teurer Medikamente. Die deutlichsten Umsatzsteigerungen
gibt es bei den Thrombozytenaggregations-Hemmern (+60 Mio. EUR). Diese
Medikamente der interventionellen Kardiologie und der Neurologie werden in der
Praxis weiterverordnet. Es folgen Immunmodulatoren, Osteoporosemittel und
Analgetika. Bei der zuletzt genannten Indikationsgruppe ist der absolute
Umsatzanstieg am höchsten (+191 Mio. EUR), im wesentlichen durch den
erheblichen Zuwachs bei den Opioidanalgetika (+121 Mio. EUR !).
Die
Umsatzentwicklung bei den neuen im Jahre 2001 zugelassenen Arzneimitteln (Tab.
1) zeigt, daß immer noch Analogpräparate ohne erkennbaren zusätzlichen Nutzen
einen guten Start haben. Desloratidin (Aerius®) und Levocetirizin
(Xusal®) sind Antihistaminika und teure Isomere von Razematen, deren
Patentschutz ausgelaufen ist. Telithromycin (Ketek®) ist ein
Makrolid mit etwas längerer Halbwertszeit. Dafür aber sind die Tageskosten der
Therapie vervierfacht (Telithromycin etwa 8 EUR, Erythromycin 2 EUR). Einen ähnlichen
Kostenzuwachs bedeutet der Übergang von Ofloxacin auf Gatifloxacin (Bonoq®).
Dabei ist nie nachgewiesen worden, daß durch die neuen Antibiotika mehr
Patienten gesund werden als durch die älteren. Der ”Fortschritt” macht sich an
Pharmakokinetik und Pharmakodynamik fest, nicht an den Heilungsraten. Bei allen
Chinolonen und Makroliden muß darüber hinaus das unübersichtliche
Nebenwirkungsprofil berücksichtigt werden. Beide Substanzgruppen verlängern
z.B. die QT-Zeit und können daher Anlaß zu Kammertachykardien sein. Ein
Chinolon (Moxifloxazin = Avalox®) wird neuerdings als
Vergleichssubstanz verwendet, wenn es darum geht, QT-Verlängerungen von neuen
Medikamenten quantitativ einzuordnen.
Nateglinid (Starlix®)
wird vor allem mit der Aussage beworben, daß es bei geeigneter Dosierung und
Einnahmefrequenz in der Lage sei, speziell postprandiale Blutzuckererhöhungen
zu vermeiden. Die Behandlungsleitlinie des Diabetes Typ 2 der
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft stellt aber fest, daß die
postprandiale Blutzuckererhöhung kein abgrenzbarer Risikofaktor sei (10).
Angesichts dessen ist das Preis-Leistungs-Verhältnis extrem ungünstig. Dasselbe
gilt für Acarbose (Glucobay®) und die Glitazone (Tab. 2; vgl. auch
2-4).
Galantamin (Reminyl®)
ist das einzige A-Präparat (s. Tab. 1), das auf Anhieb sehr häufig verordnet
worden ist. Es ist der vierte Cholinesterase-Hemmer zur Behandlung der
Alzheimer-Demenz, der nach einem Cochrane-Review aber nicht wirksamer ist als
die anderen. Die Tagestherapiekosten sind 7,10 EUR.
Den höchsten
Initialumsatz erzielte Glatirameracetat (Copaxone®) zur Behandlung
der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose. Die Wirksamkeit ist nach dem
bisherigen Kenntnisstand ähnlich wie die von Interferon beta 1a und beta 1b,
der Preis auch. Wir werden demnächst auf den Stellenwert dieser Substanz näher
eingehen.
Imatinib (Glivec®)
ist ein gezielt entwickelter Tyrosinkinase-Inhibitor, der u.a. die Aktivität
von BCR-ABL bei chronischer myeloischer Leukämie hemmt. Wir sind auf das
vielversprechende Therapieprinzip ausführlich eingegangen (2, 5-7). Trotzdem
erstaunt die Häufigkeit, mit der es verordnet worden ist. Leider kann die Datei
des Arzneiverordnungs-Reports an keiner Stelle Auskunft über die Diagnosen
geben, deretwegen die Medikamente gegeben worden sind. Das ist nach unserer
Meinung ein Manko, das unbedingt abgebaut werden muß. Die Krankenkassen müßten
die Diagnosen der Patienten mit den entsprechenden Verordnungen abgleichen
können.
Auch Darbepoetin
alfa (Aranesp®) gehört zu den umsatzstarken Neupräparaten. Wir haben
häufig auf die völlig unberechtigten Indikationsausweitungen der Behandlung mit
Erythropoietin hingewiesen (8-9) und daher den Eindruck, daß der übliche
Trittbretteffekt (ein Begriff aus dem Polizeibericht) auch diesem
Analogpräparat zum Erfolg verholfen hat.
Literatur
-
Schwabe, U., und
D. Paffrath: Arzneiverordnungs-Report 2003. Springer, Berlin, Heidelberg, New
York.
-
AMB 2003, 37, 1.
-
AMB 2003, 37, 81.
-
AMB 2002, 36, 17.
-
AMB 2001, 35, 47b.
-
AMB 2003, 37, 28.
-
AMB 2003, 37, 78.
-
AMB 2002, 36, 25.
-
AMB 2003, 37, 29.
-
AVP
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. 1.
Aufl. 2002.
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