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Osteoporose-Therapie – Stand 2004

Zusammenfassung: Die Pharmakotherapie der Osteoporose ist in den letzten zehn Jahren übersichtlicher geworden. Neben der Basistherapie mit Kalzium und Vitamin D3 haben sich Bisphosphonate in randomisierten kontrollierten Studien als wirksam erwiesen, Frakturen zu verhindern. Die sogenannte Hormonersatz-Therapie ist wegen ihrer UAW als generelle Sekundärprävention der Osteoporose für Frauen in der Postmenopause nicht mehr zu empfehlen. Neuere Substanzen wie der selektive Östrogen-Rezeptor-Modulator Raloxifen stehen als „Second-line“-Therapeutika zur Verfügung, sind aber noch nicht ausreichend untersucht. Klare Konzepte existieren zur Therapie der schweren Osteoporose mit Frakturen. Die Primärprävention und die Intervention bei Osteoporose ohne Frakturen bleiben derzeit eine auf individuellen Risikoprofilen basierende Einzelfallentscheidung von Arzt und Patient/in.

Osteoporose ist weltweit ein relevantes gesundheitliches Risiko von Frauen im höheren Lebensalter, aber zunehmend auch von Männern. Die Prävalenz von Wirbelkörperfrakturen bei Frauen bzw. Männern über 50 Jahren beträgt 7,7% bzw. 5,3%, von Frakturen außerhalb der Wirbelsäule 12,7% bzw. 1,4% (1). Die WHO schätzt, daß 30% aller Frauen über 50 Jahren an Osteoporose leiden (2). Das Risiko, nach der ersten Wirbelkörperfraktur im Folgejahr noch eine weitere zu erleiden, wird für Frauen mit 20% angegeben (3). Die Behandlungskosten für Osteoporose und ihre Folgeerkrankungen werden für Deutschland mit 2 Mrd. EUR/Jahr veranschlagt (4). Vor diesem Hintergrund hat die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2003 Empfehlungen zu Therapie und Prophylaxe der Osteoporose herausgegeben (5), in denen versucht wurde, Wirkstoffe und Indikationen unter Evidenz-Kriterien zu bewerten. Die deutschen Empfehlungen reihen sich in eine Vielzahl nationaler Leitlinien ein (6-9). Wir haben zuletzt 1995 in einem Übersichtsartikel zu diesem Thema Stellung genommen (10).

Definition, Prävention, Therapieziele: Die WHO-Definition der Osteoporose (s. Tab. 1), die auf Kategorien der Knochendichte (KD) basiert, hat sich in Studien und Therapieempfehlungen international durchgesetzt (11). Nicht-traumatische Frakturen definieren die ”schwere Osteoporose”. Primäres Präventions- und Therapieziel ist heute die Verhinderung von Frakturen und ihrer Folgeerkrankungen, nicht mehr nur die Steigerung der densitometrischen KD. Zwischen Präventions- und Therapieindikationen muß klar unterschieden werden (s. Tab. 2). Die Tertiärprävention entspricht dabei der Therapie der schweren Osteoporose (atraumatische Frakturen) mit dem Ziel, Folgefrakturen und Ko-Morbidität zu minimieren. Sekundärprävention umfaßt Maßnahmen, die in Risikogruppen (z.B. Frauen in der Postmenopause, Patienten mit Langzeit-Steroid-Therapie) Frakturen verhindern sollen. Unter Primärprävention werden Strategien verstanden, die zum Aufbau einer möglichst großen Knochenmasse (Peak bone mass) bei Kindern und Jugendlichen führen und dadurch die Knochengesundheit erhalten sollen. Zur Primärprävention existieren keine kontrollierten Studien.

Datenlage und Leitlinien: Die Zahl von Studien zu Osteoporose-Therapeutika ist groß, ihre Qualität und Vergleichbarkeit unübersichtlich. 2001 wurden europäische Richtlinien für den Wirksamkeitsnachweis von Osteoporose-Therapeutika formuliert (12). Darin wird gefordert, daß in Studien die Frakturhäufigkeit (und nicht die KD) primärer Endpunkt sein sollte. Studien sollten doppeltblind und plazebokontrolliert angelegt und von ausreichender Dauer sein. Nur eine überschaubare Anzahl von Studien erfüllt diese Kriterien. Zu einigen Fragen der Osteoporose-Therapie existieren jedoch keinerlei Arbeiten, die den formulierten Qualitätskriterien folgen. Verfasser von Leitlinien sehen sich dennoch im Zwang, zu allen relevanten praktischen Fragen Stellung zu beziehen. In diesem Graubereich der Datenlage kommen verschiedene Leitlinien zu divergierenden Empfehlungen. So wird beispielsweise ein Osteoporose-Screening mittels KD-Messung (KDM) in den Leitlinien der US-amerikanischen National Osteoporosis Foundation als Routine für Frauen über 65 Jahren empfohlen (43), während andere US-amerikanische, kanadische und deutsche Leitlinien die Indikation für eine KDM nur bei einer Risikokonstellation sehen (5, 7, 9).

Pathogenese, Osteoporoseformen, Substanzklassen: Das pathogenetische Konzept der frühen Osteoporose Typ I und der späten Typ-II-Osteoporose (s. Tab. 1) findet in neueren Therapiestudien wegen fehlender Altersdifferenzierung kaum Berücksichtigung. Sonderformen der Osteoporose (sekundäre Osteoporose bei Steroid-Langzeitmedikation und Osteoporose des Mannes) werden von der postmenopausalen Osteoporose unterschieden und in speziellen Studien untersucht. Die Wirkstoffe lassen sich grob in Knochen-Resorptionshemmer und Osteoanabolika einteilen (s. Tab. 3). Vitamin D3 und Kalzium gelten als Basistherapie und wurden in nahezu allen Studien sowohl in den Behandlungs- als auch in den Kontroll-Gruppen gegeben.

Kalzium und Vitamin D3 sind insbesondere bei Frauen und Männern über 80 Jahren in der Lage, die Zahl nicht-vertebraler Frakturen im Sinne einer Sekundärprävention zu vermindern. In dieser Altersgruppe liegt häufig eine Unterversorgung mit Kalzium und Vitamin D vor. In einer randomisierten plazebokontrollierten Studie (Kalzium 1,2 g/d und Vitamin D3 800 I.U./d) konnte bei Frauen in hohem Alter (mittleres Alter 84 ± 6 Jahre, Dauer 18 Monate) die Rate nicht-vertebraler Frakturen von 10,9% (Kontrollen) auf 7,5% gesenkt werden (NNT = 29; 13). In einer weiteren Studie (14) wurden Männer und Frauen über 65 Jahre 3 Jahre lang mit Kalzium (500 mg/d) und Vitamin D3 (700 I.U./d) behandelt. Die Rate der ersten nicht-vertebralen Fraktur konnte von 12,8% (Kontrollen) auf 5,8% gesenkt werden (NNT = 14). Für aktive Vitamin-D3-Metaboliten (z.B. Calcitriol) läßt sich zwar eine ähnliche Wirksamkeit wie für Kalzium alleine nachweisen (15), für eine generelle Überlegenheit gegenüber dem deutlich preisgünstigeren Vitamin D3 existiert aber bisher keine überzeugende Studie.

Für Östrogen-Gestagen-Kombinationen liegt erstmalig mit der Women’s Health Initiative (WHI; 16) eine randomisierte, plazebokontrollierte Präventionsstudie vor, die bei über 16000 Frauen (Alter 50-79 Jahre) zeigen konnte, daß die Kombinationstherapie (konjugierte Östrogene 0,625 mg/d plus Medroxyprogesteronacetat 2,5 mg/d) das Frakturrisiko (alle Frakturen) signifikant reduzieren kann (HR: 0,76; 95% CI: 0,69-0,85). Die Studie wurde – wir haben darüber berichtet (17) – nach 5 Jahren abgebrochen, weil Mammakarzinome, Koronare Herzkrankheit, Thromboembolien sowie Schlaganfälle in der Interventionsgruppe häufiger waren. Wenn auch die absoluten Unterschiede in Behandlungs- und Plazebo-Gruppe gering sind (7 Myokardinfarkte und 8 Brustkrebserkrankungen mehr, 5 Schenkelhalsfrakturen weniger pro 10000 Behandlungsjahre), so ist eine generelle Sekundärprävention durch eine Hormonersatz-Therapie für alle Frauen nach der Menopause jetzt begründet abzulehnen. Für Risikopatientinnen (Frauen mit erniedrigter KD < 2,5 SD und zusätzlichen Risikofaktoren) sollte jedoch eine individuelle Entscheidung getroffen werden. Entsprechendes gilt für die frühe Osteoporose mit Frakturen in der Postmenopause.

Raloxifen (Evista®) ist ein selektiver Östrogen-Rezeptor-Modulator (SERM), der im Knochen- und Fettstoffwechsel Östrogen-agonistisch (antiresorptiv und cholesterinsenkend) und in Brustdrüse und Uterus Östrogen-antagonistisch wirksam ist. In der MORE-Studie (18) wurden 7705 Frauen (mittleres Alter 67 Jahre) mit Osteoporose mit und ohne Frakturen in 3 Gruppen randomisiert: Raloxifen 60 mg/d, Raloxifen 120 mg/d bzw. Plazebo. Nach 3 Jahren betrug die Rate neu aufgetretener Wirbelfrakturen 6,6% vs. 5,4% vs. 10,1%. Als Mangel dieser Studie wird die fehlende Dosisabhängigkeit der Wirkung angesehen. Außerdem hat enttäuscht, daß Frakturen außerhalb der Wirbelsäule nicht signifikant beeinflußt wurden. Potenzielle Vorteile sind die reduzierte Brustkrebs-Inzidenz in der Behandlungsgruppe sowie das verminderte Risiko kardiovaskulärer Ereignisse und niedrigere Gesamt- und LDL-Cholesterinwerte. Klimakterische Beschwerden wurden nicht vermindert, im Gegenteil, die Substanz kann zu Hitzewallungen und Wadenkrämpfen führen. Als bedrohliche unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) wurden vermehrt Thromboembolien festgestellt (RR: 3,1; 95%-CI: 1,5-6,2). Patientinnen mit entsprechender Vorgeschichte sollten von der Behandlung ausgeschlossen werden. Raloxifen ist in Deutschland zur Behandlung der postmenopausalen Osteoporose zugelassen.

Bisphosphonate sind nur antiresorptiv wirksam und in den letzten Jahren gut untersucht worden. Die Zunahme der KD und die Abnahme von Frakturen sind in zahlreichen Studien belegt. Es zeigte sich jedoch, daß nicht alle Substanzen für alle Frakturarten und Schweregrade der postmenopausalen Osteoporose gleichermaßen wirksam sind. Tab. 4 und 5 zeigen die in Deutschland zugelassenen Substanzen, die Frakturraten in randomisierten kontrollierten Studien (RCT), aufgeschlüsselt nach Indikation (Osteoporose und schwere Osteoporose), sowie die Frakturlokalisationen. Danach reduzieren Bisphosphonate die Zahl von Wirbelfrakturen deutlicher als die von Schenkelhalsfrakturen. Bei schwerer Osteoporose sind Bisphosphonate wirksamer in der Verhinderung von Folgefrakturen als bei Osteoporose ohne vorbestehende Frakturen. Es kann davon ausgegangen werden, daß bei geringer Minderung oder bei noch normaler KD die Wirksamkeit von Bisphosphonaten in der Frakturprävention noch geringer ist. In der HIP-Studie (21) wurde speziell nach Schenkelhalsfrakturen bei Frauen mit Osteoporose und Risiken für Schenkelhalsfrakturen gefragt. Es zeigte sich, daß Risedronat (Actonel®; 5 mg/d) bei Frauen mit schwerer Osteoporose (Alter 70-79 Jahre) die Rate an Schenkelhalsfrakturen gegenüber Plazebo signifikant vermindern konnte (2,3% vs. 5,7%; p = 0,003). Bei Frauen ohne vorbestehende Frakturen bzw. über 80 Jahren mit lediglich klinischen Risikofaktoren war Risedronat nicht wirksamer als Plazebo hinsichtlich konsekutiver Schenkelhalsfrakturen. Eine Sekundärprävention hochbetagter, sturzgefährdeter Frauen mit Bisphosphonaten erscheint deshalb nicht gerechtfertigt.

Zur Wirksamkeit von Bisphosphonaten in der Sekundärprävention bei Frauen in der frühen Postmenopause mit normaler KD gibt es lediglich RCT, in denen die KD als primärer Endpunkt angeben wird (27, 28). Dieses Studiendesign würde heute nicht mehr akzeptiert werden. Alendronat (Fosamax®; 5-20 mg/d) 3 Jahre lang gegeben konnte die KD an verschiedenen Skelettabschnitten um 1-4% steigern, während es unter Plazebo zu einem KD-Verlust von 2-4% kam. Dieser Effekt war nach Absetzen der Medikation rasch rückläufig. Aussagen über die Anzahl verhinderter Frakturen waren wegen der kurzen Studiendauer nicht möglich.

Calcitonin ist ein natürliches Peptid, das gentechnologisch als rekombinantes Lachs-Calcitonin produziert wird. Es wirkt hemmend auf die Osteoklasten und kann s.c. und intranasal appliziert werden. In der PROOF-Studie (29) wurden 1255 Frauen mit Osteoporose mit und ohne vorbestehende Wirbelfrakturen eingeschlossen; nur 511 beendeten die Studie nach 5 Jahren. Die Randomisierung erfolgte in 4 Gruppen: Calcitonin-Nasen-Spray 100 I.U./d bzw. 200 I.U./d bzw. 400 I.U./d bzw. Kontrollen (Kalzium plus Vitamin D). In der 200 IU-Gruppe waren Wirbelfrakturen signifikant seltener gegenüber den Kontrollen (RR: 0,67; 95% CI: 0,47-0,97). Die Häufigkeit nicht-vertebraler Frakturen wurde nicht beeinflußt. Die Aussagekraft der Studie wurde wegen hoher Abbruchrate und fehlender Dosisabhängigkeit (mit 400 I.U. keine signifikante Frakturreduktion) kritisiert und ist deshalb nicht wie eine RCT zu bewerten. Weitere RCT gibt es nicht. Calcitonin wird deshalb als „Second-line“-Medikament zur Behandlung der vertebralen Osteoporose klassifiziert. Die analgetische Wirkung bei frischen Wirbelfrakturen ist belegt (30). Unerwünschte Wirkungen sind Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Flush-Symptome.

Die Daten zum Einsatz von Fluoriden bei postmenopausaler Osteoporose sind nach heutigen Kriterien unzureichend. Es wurden unterschiedliche pharmazeutische Präparationen in unterschiedlichen Dosierungen verwendet. Trotz deutlicher Steigerung der KD findet sich keine signifikante Abnahme an Wirbelfrakturen. Zudem bestehen, vor allem bei höheren Dosierungen, erhebliche UAW sowohl gastrointestinal wie auch am Skelett (Osteosklerose, Mikrofrakturen). Fluoride können heute nicht mehr empfohlen werden.

Anabolika wirken auch osteoanabol, sollten aber wegen erheblicher UAW (Hepatotoxizität, Atherogenität, Virilisierung) und fehlendem Nachweis, Frakturen zu reduzieren, ausschließlich beim männlichem Hypogonadismus eingesetzt werden. Bei älteren Männern können Prostatakarzinome provoziert werden.

Parathormon hat bei intermittierender s.c. Gabe – als intaktes PTH (1-84) oder als Fragment PTH (1-34) – osteoanabole Effekte besonders am trabekulären Knochen. In einer RCT an 1637 Frauen mit schwerer Osteoporose, in der zwei Dosierungen (20 μg und 40 μg/d) gegen Plazebo 21 Monate lang untersucht wurden, konnte eine geringere Rate neuer WK-Frakturen nachgewiesen werden (4% vs. 5% vs.14%; NNT bei 40 μg/d: 10). Hinsichtlich nicht-vertebraler Frakturen war der Effekt von PTH geringer (31). Zwei kürzlich veröffentlichte Studien fanden, daß die Kombination von PTH mit dem Bisphosphonat Alendronat keinen zusätzlichen Effekt auf die KD gegenüber PTH alleine hat (32, 33). PTH wird in den USA bei Nicht-Ansprechen auf Bisphosphonate bei schwerer Osteoporose eingesetzt. Nachteil sind die s.c. Applikationsform und der hohe Preis. In Deutschland sind beide PTH-Formen derzeit noch nicht zugelassen.

Vorgehensweisen bei der Therapie der postmenopausalen Osteoporose:

1. Frauen mit schwerer postmenopausaler Osteoporose (präexistente Frakturen) sollten heute eine Basistherapie (Kalzium 500-1000 mg/d plus Vitamin D3 800-1000 I.U./d) sowie ein Bisphosphonat als „First-line“-Therapie erhalten (Etidronat 400 mg für 14 Tage, danach für 10 Wochen Kalzium 500-1000 mg/d alleine, danach Wiederholung des Zyklus; Alendronat 10 mg/d oder 70 mg/Woche; Risedronat 5 mg/d oder 35 mg/Woche).

2. Bei Unverträglichkeit kommen als Alternativen („Second-line“-Therapie) Raloxifen 60 mg/d (Kontraindikation: Thromboembolien) oder Östrogen-Gestagen-Kombinationen in Frage.

3. Die Kombination von Raloxifen oder Östrogen-Gestagen-Kombinationen mit Bisphosphonaten ist als Einzelfallentscheidung möglich. Ein additiver Effekt auf die Frakturraten ist aber nicht belegt.

4. Calcitonin kann bei Schmerzen durch frische Wirbelkörperfrakturen eingesetzt werden. Als Osteoporose-Therapeutikum tritt Calcitonin wegen schwacher resorptionshemmender Wirkung, UAW und mangelhaften Daten in die dritte Reihe zurück.

5. Fluoride können wegen inkonsistenter Daten zu Frakturen an der Wirbelsäule nicht mehr empfohlen werden.

6. Vor Beginn einer Therapie mit Bisphosphonaten muß ein manifester Vitamin-D-Mangel (mit sekundärem Hyperparathyreoidismus) ausgeglichen werden. Dies ist besonders für Frauen über 70 Jahre mit erhöhtem Risiko für Schenkelhalsfrakturen relevant.

Offene Fragen bzw. Empfehlungen mit geringerer Evidenz:

1. Welche Frau mit Osteoporose (ohne Frakturen) sollte intensiver als mit einer Basistherapie allein behandelt werden? Hinter dieser Frage steht die Einschätzung des individuellen Frakturrisikos. Für große Kollektive ist gut belegt, daß die KD ein selbständiger Risikofaktor für künftige Frakturen ist. Es ließ sich aber zeigen, daß eine verminderte KD im Einzelfall nicht zwangsläufig zu Frakturen führen muß (34). Zusätzliche Risikofaktoren (z.B. Familienanamnese, Ernährungsstatus, Alkohol, Rauchen, Begleiterkrankungen, Faktoren, die zu einer gesteigerten Sturzneigung führen) beeinflussen stark die Wahrscheinlichkeit für Frakturen. Das Lebensalter hat sich als ein prognostisch wichtiger Risikofaktor für osteoporotische Schenkelhalsfrakturen herausgestellt, weil mit zunehmendem Lebensalter die KD ab- und die Sturzneigung aus vielfältigen Gründen zunimmt. Es kann dennoch nicht sinnvoll sein, z.B. alle Frauen über 70 Jahre mit Bisphosphonaten zu behandeln. Es wird also eine abwägende Einzelfallentscheidung nötig sein, einer postmenopausalen Frau mit Osteoporose – bevor Frakturen aufgetreten sind – zu einer Therapie, z.B. mit Bisphosphonaten, zu raten. Das Erfassen und die Bewertung der Risikofaktoren ist Aufgabe des behandelnden Arztes, die Entscheidung zur Therapie muß nach Aufklärung mit der Patientin gemeinsam fallen. Die KD ist dabei ein Risikofaktor unter vielen. Die Indikation zur Osteodensitometrie soll z.B. nach der Leitlinie der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gestellt werden, wenn zur Menopause ein oder mehrere relevante Risikofaktoren vorhanden sind, die bei allen Frauen in der Postmenopause durch Anamnese und körperliche Untersuchung erfaßt werden sollen. Danach gibt es ohne Knochendichtemessung keine Prophylaxe. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht evidenzbasiert, d.h. nicht vergleichend untersucht mit einer Strategie, in der die Behandlungsindikation ohne Knochendichtemessung und nur nach Risikofaktoren, den Symptomen und dem Frakturnachweis im Röntgenbild gestellt wird. Wird eine individuelle Präventions- bzw. Behandlungsindikation gestellt, so sollten Bisphosphonate, Raloxifen oder Östrogen-Gestagen-Kombinationen nach Verträglichkeit und Spektrum der Begleiterkrankungen eingesetzt werden. Eine Kontrolle der Knochendichte unter der Therapie hat sich als nicht unbedingt erforderlich erwiesen (9).

2. Wie lange sollte bei schwerer Osteoporose oder in der Sekundärprävention behandelt werden? Die meisten RCT zu Bisphosphonaten und Raloxifen erstrecken sich über 2-4, im Mittel 3 Jahre. Da bekannt ist, daß der Effekt auf die KD nach dem Absetzen rasch abnimmt, andererseits Bisphosphonate – abgesehen von Ösphagusläsionen bei falscher Einnahmetechnik – gut toleriert werden, können längere Behandlungszeiten sinnvoll sein. Erfahrungen bestehen für die Anwendung von Alendronat (5 und 10 mg/d) für 7 Jahre (35).

3. Spielen Alter und Pathogenese für die Therapiestrategie bei postmenopausaler Osteoporose eine Rolle? Bisphosphonate wurden überwiegend in Studien untersucht, die Frauen von der frühen Postmenopause bis ins hohe Alter (80-85 Jahre) eingeschlossen haben. In der MORE-Studie (Raloxifen) betrug das mittlere Lebensalter 67 Jahre, im Mittel 19 Jahre nach der Menopause. Es kann davon ausgegangen werden, daß in allen Studien eine unterschiedliche Verteilung von Frauen mit Typ-I- und Typ-II-Osteoporose vorgelegen hat. Differenzialtherapeutische Aussagen lassen die meisten Studien mit Bisphosphonaten aus diesem Grund nicht zu. Nur in der Arbeit von McClung (21) konnte bei Frauen über 80 Jahren mit gesteigertem Sturzrisiko, aber ohne Kenntnis der KD kein Einfluß von Risedronat auf die Rate von Schenkelhalsfrakturen nachgewiesen werden. Berücksichtigt man weiter, daß bei Frauen und Männern über 65 Jahren allein die Gabe von Kalzium und Vitamin D3 zu einer Abnahme nicht-vertebraler Frakturen von 13% auf 6% (NNT: 14) führt (14), so könnte es möglich sein, daß bei hochbetagten Frauen (und Männern) eine solche Basistherapie verbunden mit einer gezielten Sturz- und Fraktur-Prophylaxe effektiver sein könnte als eine weitere Pharmakotherapie. Klinische Studien zu dieser Frage sind erforderlich.

4. Welche Bedeutung haben nicht-pharmakologische Interventionen? In einer aktuellen europäischen Beobachtungsstudie an über 6500 Frauen und Männern (Alter 50-79 Jahre) hatten nur das Körpergewicht, ein später Beginn der Menarche (> 16 Jahre) und die Anwendung einer Hormonersatz-Therapie einen protektiven Einfluß auf die Häufigkeit von Wirbelfrakturen bei einer mittleren Beobachtungszeit von 3,8 Jahren, späte Menarche (> 16 Jahre) erhöhte die Frakturwahrscheinlichkeit (36). Für Rauchen, Alkoholkonsum und körperliche Aktivität ließ sich kein Effekt nachweisen. In kleineren Studien konnte für Rauchen (37), Bewegung (38) und Eiweiß-Supplementation (39) eine Wirkung zumindest auf die KD belegt werden.

Glukokortikoid-induzierte Osteoporose (GIO): Steroide steigern ab einer Prednisolon-Äquivalenz-Dosis über 2,5 mg/d das Risiko für eine Schenkelhalsfraktur; das Wirbelfraktur-Risiko ist bereits bei Dosen < 2,5 mg/d erhöht (40). Das Frakturrisiko steigt mit der Steroiddosis. Für viele Osteoporose-Therapeutika (Kalzium, Vitamin D, Östrogene, Testosteron, Calcitonin, Bisphosphonate, Parathormon) konnte bei Patienten unter Steroidmedikation ein positiver Effekt auf die KD gezeigt werden. So steigerten 5 bzw. 10 mg/d Alendronat oral die KD in 48 Wochen um 2,1% bzw. 2,9% gegenüber Plazebo (Abnahme von 0,4%; p < 0,001; 41). Die Frakturraten der 477 Patienten unterschieden sich in diesem kurzen Zeitraum nicht. Es gibt zur Zeit keine plazebokontrollierten Studien, in denen die Frakturraten als primärer Studienendpunkt untersucht wurden. Eine Zunahme der KD nach Absetzen von Steroiden oder erfolgreicher Behandlung eines M. Cushing ist gut belegt. Aus diesem Grund ist die kritische Prüfung der Indikation einer langdauernden Steroidtherapie sowie der Steroiddosis die beste Prävention der GIO. Kalzium und Vitamin D sind auch für die GIO die adäquate Basistherapie. Bisphosphonate sollten in der Therapie der schweren GIO mit Frakturen eingesetzt werden. Zur Sekundärprävention können sie bei Risikopatienten mit Indikation zur langfristigen Steroidgabe (> 5 mg/d Prednisolon) verordnet werden.

Osteoporose bei Männern: Die meisten Daten zur Osteoporose-Therapie stammen aus Studien an Frauen in der Postmenopause. Männer haben ein anderes Risikoprofil; Alkoholismus und Hypogonadismus sind eigenständige Risikofaktoren. Große kontrollierte Studien mit Abnahme der Häufigkeit von Frakturen als primärem Endpunkt gibt es bisher nicht. Eine zwei Jahre dauernde Studie an 241 Männern (mittleres Alter 63 Jahre) mit primärer Osteoporose ergab, daß die KD an der Wirbelsäule durch 10 mg/d Alendronat gegenüber Plazebo um 7,1% vs. 1,8% anstieg. Wirbelfrakturen (sekundärer Endpunkt) waren in der Behandlungsgruppe signifikant seltener (0,8% vs. 7,1%; p = 0,02); die Häufigkeit anderer Frakturen wurde nicht beeinflußt (42).

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