Dr. J.S. aus
Berlin schreibt: >> Eine 54-jährige polytoxikomane Patientin kollabierte
auf dem U-Bahnhof und wurde wegen anhaltender Bewußtseinsstörung auf die
Intensivstation gebracht. Hier zeigten sich in den folgenden Stunden mehrere
Episoden mit Torsade-de-Pointes-Tachykardien und Kammerflimmern, die insgesamt
achtmal Defibrillationen erforderlich machten. Die QT-Dauer in den ersten EKG
betrug 617 msec (QTc = 666 msec; normal = 420 msec). Die Patientin konnte mit
Magnesiuminfusionen und einem passageren Schrittmacher stabilisiert werden. Als
einzige Dauermedikation wurde Methadon angegeben. Der Serumspiegel bei Aufnahme
betrug 1,1 µg/ml (therapeutischer Bereich 0,1-0,4 µg/ml). Der Rhythmus
stabilisierte sich unter Methadonkarenz. Ihr wurde empfohlen, sich einen
Defibrillator implantieren zu lassen. Das lehnte sie ab. Mit Metoprolol als
Dauermedikation und organisatorischen Vorbereitungen zu einem Total-Entzug
wurde sie entlassen. Müssen sich alle Patienten mit Methadonsubstitution
regelmäßig ein EKG schreiben lassen? <<
Antwort: >> Ja! Auch bei
Methadon-Substitution oder -Schmerztherapie kann es zur Verlängerung der
QT-Zeit und Torsaden kommen (1). M.J. Krantz und andere haben im Jahre 2002 in
den Ann. Intern. Med. über 17 Patienten mit dieser Komplikation berichtet (2).
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hatte im Ärzteblatt darauf
aufmerksam gemacht (3). Die Mitteilung war damals mit Interesse aufgenommen worden,
weil zwei Jahre zuvor Levacetylmethadol (Orlaam®) wegen
QT-Zeit-Verlängerung auf Beschluß der EMEA auch in Deutschland aus dem Handel
genommen werden mußte (4). Methadon hatte sich zur Substitutionsbehandlung bei
Opiatabhängigkeit mit guten Ergebnissen durchgesetzt. Eine Häufung von
Rhythmusstörungen als Nebenwirkung der Therapie war bis dahin nicht beobachtet
oder jedenfalls nicht gemeldet worden. Abhängige können aus vielen Gründen eine
verlängerte QT-Zeit haben: Leber- oder Herzerkrankungen, Polytoxikomanie. Daher
kann die Methadon-Nebenwirkung leicht untergehen. S.B. Leavitt meint allerdings
in einer Übersicht (5) nach einer Metaanalyse der Literatur und eigenen
Dosis/Wirkungs-Untersuchungen, daß Methadon sicher sei, wenn die oben genannten
Risikofaktoren beachtet würden. Die Glaubwürdigkeit dieser Aussage ist dadurch
gemindert, daß sie sich in einer Zeitschrift der Herstellerfirma Mallinckrodt
findet. Es gibt aber sowohl in Deutschland (9) als auch in der Schweiz (6)
entsprechende Nebenwirkungsmeldungen, die dazu geführt haben, daß bei der
Pharmakovigilanz-Arbeitsgruppe der EMEA alle eingegangenen Meldungen zur Zeit
erneut und intensiv gesichtet werden. Eine abschließende Stellungnahme steht
aus. Besonders bei sehr hohen Methadon-Dosierungen (> 60 mg/d) scheint es
gefährlich zu werden. Solche Dosierungen kommen in der Praxis nicht selten vor
(> 10%; 7). Es handelt sich also um ein Problem, das durchaus eine Rolle
spielt und beachtet werden muß. Kenner der Materie (8) vertreten die Meinung,
daß man das Kind trotzdem nicht mit dem Bade ausschütten sollte und Methadon
nicht auch aus diesem Grunde verteufeln dürfe. Vielmehr komme es darauf an, die
Indikation präzise zu stellen, die UAW und ihre Risikofaktoren zu kennen, die
Patienten darüber zu informieren, ein Ausgangs-EKG zu registrieren und
zusätzlich auch nach Dosissteigerungen. Dem schließen wir uns an. <<
Literatur
-
AMB 2004, 38, 49.
-
Krantz, M.J., et al.:
Ann. Intern. Med. 2002, 137, 501.
-
Arzneimittelkommission
der deutschen Ärzteschaft: Deutsches Ärzteblatt 2002, 99, A 3363.
-
www.EMEA.eu.int/8776/01.
-
Addiction
Treatment Forum 2001, 5, 1.
-
Violand, C., und
Piguett, V.: Schweizerische Ärztezeitung 2004, 85, 95.
-
Keup, W.:
Frühwarnsystem-Bericht 2003, 139.
-
Gerlach, R.: Institut
zur Förderung qualitativer Drogenforschung, Münster. Persönliche Mitteilung.
-
Arzneimittelkommission
der deutschen Ärzteschaft. Recherche im Spontanerfassungssystem vom 18.5.2004.
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