In der VALUE-Studie (1) wurde die Wirkung von Amlodipin
und Valsartan auf kardiovaskuläre Folgeerkrankungen hypertoner Patienten verglichen.
In beiden Behandlungsgruppen sollte der Blutdruck auf Normalwerte gesenkt
werden, gegebenenfalls mit zusätzlichen Kombinationspartnern, z.B. Diuretika
oder Betablockern. Am Ende der etwa vierjährigen Beobachtung erhielt nur noch ein
Viertel der Patienten eine Monotherapie; alle anderen wurden mit mehreren
Substanzen behandelt. Auch in den anderen großen neueren Vergleichsuntersuchungen,
z.B. ALLHAT (2), LIFE (3), CONVINCE (4), INVEST (5), ANBP2 (6), war der Anteil
der Patienten, die kombiniert behandelt wurden, ähnlich hoch.
M.R. Law et al., Experten für Präventive Medizin in
London, haben im vorigen Jahr eine Metaanalyse der Kombinationstherapie der
Hypertonie vorgenommen (7). Sie bezog sich auf Blutdruckreduktion, UAW, Risikoreduktion
für Schlaganfall und ischämische Herzerkrankung bei Behandlung mit
unterschiedlichen Dosierungen und Kombinationen von fünf antihypertensiven
Substanzgruppen (Diuretika, Betablocker, Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer,
Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker). 354 Studien mit insgesamt 56000 Patienten
wurden eingeschlossen. Es ergab sich, daß alle Antihypertensiva in der
Standarddosierung etwa dieselbe Wirkung hatten. Sie senkten den arteriellen
Blutdruck um 10 mm Hg und bei halber Standarddosis um etwa 8 mm Hg. Mit der
Halbierung der Standarddosis verschwinden aber die UAW, speziell der Diuretika,
fast völlig.
Die Kombinationsbehandlung der Hypertonie, meist mit
einem Diuretikum, wird daher in den aktuellen Behandlungsleitlinien (8-10) bei
mittelschweren und schweren Formen schon als initiale Therapie empfohlen oder
wenn die initiale Monotherapie nicht ausreichend wirksam ist.
Das größte Problem bei der Risikoreduktion durch
antihypertensive Therapie ist jedoch nicht, den Blutdruck zu senken, sondern
die Menschen mit insgesamt erhöhtem Risiko vollständig zu erfassen und ausreichend
zu behandeln. Epidemiologische Erhebungen haben gezeigt, daß nur etwa 50%
der Betroffenen erkannt, 20% behandelt und 10% erfolgreich behandelt werden (11).
Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für andere Risikofaktoren, z.B. Hypercholesterinämie,
Thrombozytenaggregation und Hyperhomozysteinämie.
N.J. Wald und M.R. Law schlugen daher im Brit. Med.
J. (12) ein radikales Konzept vor: Alle Menschen über 55 Jahre, zumindest die
mit Zustand nach Herzinfarkt oder Schlaganfall, sollten eine Tablette einnehmen,
die drei Antihypertensiva in niedriger Dosierung, ein Statin, niedrig dosierte
ASS und Folsäure enthalten, die „Polypill”. Sie begründen ihren Vorschlag
damit, daß die Wirksamkeit aller genannten Substanzen evidenzbasiert und
addierbar sei. Nach kritischer quantitativer Betrachtung der vorliegenden
Metaanalysen kommen sie zu dem Schluß, daß sich die Inzidenz von Herzinfarkt
und Schlaganfall um mindestens 80% reduzieren lassen müßte. Eine vorherige
Messung der Risikofaktoren sei nicht erforderlich, da die Medikamente in jedem
Bereich wirksam seien. Der wichtigste Risikofaktor sei ohnehin das Alter, und
das sei bei der Indikation berücksichtigt. Das Konzept habe den Vorteil, daß es
einfach und daher leicht effektiv umzusetzen sei. UAW seien zu berücksichtigen
aber unbedeutend, da alle Medikamente niedrig dosiert seien. Trotzdem seien die
Kontraindikationen (z.B. für Betablocker oder ACE-Hemmer) zu berücksichtigen.
Das Konzept sei sehr kostengünstig, weil nur preiswerte Substanzen in der „Polypill”
verwendet würden und viele Untersuchungen wegfielen, niedrigere
Krankheitskosten nicht gerechnet (weniger Schlaganfälle, weniger Herzinfarkte).
Ein Editorial im selben Heft unterstrich die wegweisende Bedeutung der
Berechnungen (13).
Die Arbeit hat eine Flut von Leserbriefen und
wissenschaftlichen Diskussionen ausgelöst; 150 werden im Brit. Med. J. bis Mai
2004 erwähnt. Skepsis und Ablehnung überwogen: Das Wirkungs- und UAW-Spektrum
der „Polypill” sei in keiner randomisierten Studie untersucht; sie sei das Ende
der Individualmedizin; die Ableitung der Häufigkeiten von Wirkungen und UAW aus
Metaanalysen sei unzulässig und in einzelnen Fällen falsch; das Journal habe
seinem Ruf mit dieser Veröffentlichung geschadet. Es gab aber auch Diskutanden,
die von der Arbeit ebenso fasziniert waren wie die Autoren. Sie wolle
provozieren, darüber nachzudenken, wie man das epidemiologisch nachgewiesene
Behandlungsdefizit (s.o.) verringern und wie man besser in die Praxis umsetzen
könne, was aus den großen Studien bekannt sei. Die Industrie würde keinen
Gefallen an dem Vorschlag finden, aber die Ärzte hätten mehr Zeit (und Geld),
sich den edukativen Aspekten ihres Berufs zu widmen.
Fazit: Bei
der Kombinationsbehandlung der arteriellen Hypertonie mit niedriger Dosierung
der Kombinationspartner ist die Addition der Wirkungen deutlicher und bedeutender
als die der UAW. Sie wird daher in den neueren Leitlinien aufgewertet. Ob die
kombinierte Behandlung aller wichtigen Risikofaktoren durch eine Tablette, die
mehrere entsprechende Wirkstoffe enthält („Polypill”), eine Zukunft hat, wird
sich zeigen. Manches spricht sogar dafür, denn die Risikofaktoren kommen häufig
kombiniert vor und sollten jeweils behandelt werden.
Literatur
-
Julius, S., et al. (VALUE = Valsartan Antihypertensive
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- ALLHAT (= Antihypertensive
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-
Dahlöf, B., et al.
(LIFE = Losartan Intervention For Endpoints
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Black,
H.R., et al. (CONVINCE = Controlled-ONset
Verapamil INvestigation of Cardiovascular Endpoints):
JAMA 2003, 289, 2073; s.a. AMB 2003, 37, 51.
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Wing, L.M.H., et al. (ANBP2
= Second Australian National Blood Pressure study):
N. Engl. J. Med. 2003, 348, 583.
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Law, M.R., et al.: Brit. Med. J.
2003, 326, 1427.
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The Seventh Report of
the Joint National Committee on Prevention, Detection, Evaluation, and
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AMB 2003, 37, 51.
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Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft. Therapieempfehlung Arterielle Hypertonie, 2. Aufl. 2004.
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Williams, B., et al.: Brit.
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disease): J. Hum. Hypertens. 2001, 15, 27.
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Wald, N.J., und Law,
M.R.: Brit. Med. J. 2003, 326, 1419.
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Rodgers, A.: Brit.
Med. J. 2003, 326, 1407.
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