Die Sequenzierung des humanen Genoms und die
Identifizierung von etwa 90 Proteinen mit Tyrosinkinase-Domäne sind ein
wichtiger Fortschritt für die Entwicklung gezielter molekularer Therapieansätze
bei Tumorerkrankungen (1). Über die erfolgreiche Therapie der chronischen
myeloischen Leukämie mit Imatinib (Glivec®) haben wir wiederholt
berichtet (2-4). Bei dieser Erkrankung reicht vermutlich die unkontrollierte
Tyrosinkinaseaktivität von BCR-ABL für die Leukämieentstehung aus. Sie ist
somit eine ideale therapeutische Zielstruktur für Imatinib, einen Inhibitor
dieser Tyrosinkinase. Demgegenüber sind die bisher bekannten Ergebnisse mit
Therapiestrategien, die bei soliden Tumoren gegen den „Epidermal Growth Factor
Receptor” (EGFR) bzw. EGFR-assoziierte Signalwege gerichtet sind, eher
enttäuschend (5-7). Mit neuen, sehr teuren Wirkstoffen wie Gefitinib oder
Cetuximab konnten in größeren Studien nur Ansprechraten von 10-20% bei
Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom bzw. metastasiertem
kolorektalem Karzinom erreicht werden (7). Zellbiologische Erkenntnisse über
die Korrelation zwischen z.B. somatischen Mutationen des EGFR bzw. Aktivierung
der in Tumorzellen häufig gestörten Signaltransduktionswege und dem
therapeutischen Ansprechen auf monoklonale Antikörper gegen den EGFR oder auf
Inhibitoren von Tyrosinkinasen sind deshalb sehr wichtig, um solche Patienten
besser und frühzeitiger zu erkennen, die von derartigen innovativen
Therapiestrategien tatsächlich profitieren (8).
Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse klinischer
Phase-II-Studien mit Cetuximab, einem monoklonalen Antikörper gegen EGFR, bei
Patienten mit Irinotecan-refraktären metastasierten kolorektalen Karzinomen zu
interpretieren. In einer offenen, multizentrischen unkontrollierten
Phase-II-Studie wurde bei Patienten mit Chemotherapie-refraktären kolorektalen
Karzinomen und Expression des EGFR auf den Tumorzellen die antitumoröse
Aktivität und Toxizität einer Monotherapie mit Cetuximab untersucht (9). Alle
Patienten hatten zuvor Irinotecan (Campto®; 10) entweder allein oder
im Rahmen einer Kombinationschemotherapie erhalten und auf diese Therapie nicht
mehr angesprochen. Cetuximab wurde wöchentlich als intravenöse Kurzinfusion
verabreicht (400 mg/m2 bei der ersten Applikation, 250 mg/m2
bei den folgenden Applikationen). Insgesamt wurden 57 Patienten behandelt, von
denen nur fünf Patienten ein partielles Ansprechen und 21 Patienten eine
stabile Erkrankung zeigten. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) waren
vorwiegend Hautreaktionen (akneiforme Hautveränderungen) und unspezifische
Symptome, wie körperliche Schwäche, Abgeschlagenheit oder Lethargie.
Im Juli 2004 wurden die vollständigen Ergebnisse einer
von Merck finanziell unterstützten, inhaltlich konzipierten und medizinisch
bzw. statistisch ausgewerteten europäischen randomisierten, multizentrischen
Studie publiziert (11). Patienten mit EGFR-positiven, Irinotecan-refraktären
metastasierten kolorektalen Karzinomen wurden entweder mit der Kombination von
Irinotecan plus Cetuximab oder nur mit Cetuximab behandelt. Auf das Design
dieser Studie, das untersuchte Patientenkollektiv, primäre bzw. sekundäre
Endpunkte, Ergebnisse und UAW sind wir bereits ausführlich eingegangen (6). Die
wesentlichen Ergebnisse sind in Tab. 1 zusammengefaßt. Sie verdeutlichen, daß
sich die Ansprechrate und die mediane Zeit bis zum Progreß der Erkrankung
signifikant zugunsten der mit der Kombinationstherapie behandelten Gruppe unterscheiden.
Ein Unterschied im medianen Überleben ergab sich jedoch nicht. Cetuximab
(Erbitux®) wurde am 30. Juni 2004 von der europäischen
Arzneimittelagentur (EMEA) zur Behandlung von Patienten mit
EGFR-exprimierendem, metastasiertem kolorektalem Karzinom in Kombination mit
Irinotecan zugelassen, die zuvor auf eine Chemotherapie mit Irinotecan nicht
mehr angesprochen haben. Diese rasche Zulassung wirft zahlreiche Fragen auf.
Angesichts der fehlenden Korrelation zwischen der Expression von EGFR in den Tumorzellen
und dem klinischen Ansprechen stellt sich das Problem, ob möglicherweise
Mutationen im EGFR bzw. Aktivierung spezieller
„Downstream”-Signaltransduktionswege zu einer besseren Identifizierung der von
Cetuximab profitierenden Patienten führen können. Leider liegen hierzu bisher
keine aussagekräftigen wissenschaftlichen Ergebnisse vor. Die von
DakoCytomation in Zusammenarbeit mit Merck propagierte Diagnostik des
EGFR-Status anhand eines immunhistochemischen Tests mag zwar als
Einschlußkriterium für klinische Studien geeignet sein, verteuert jedoch die
Therapie und ist nicht geeignet, das Ansprechen auf Cetuximab vorherzusagen.
Auch sind die Gründe für das bessere Ansprechen von Patienten mit deutlichen
Hautreaktionen bisher unklar. Ob die von den Autoren der Studie diskutierte
individualisierte Dosistitration von Cetuximab, basierend auf dem Auftreten
bzw. dem Schweregrad der Hautveränderungen, geeignet ist, die Wirksamkeit zu
verbessern, erscheint sehr fraglich.
Zu der Studie von D. Cunningham et al. sind im N.
Engl. J. Med. zwei sehr lesenswerte Editorials erschienen, in denen die Kosten
neuer Wirkstoffe zur Behandlung kolorektaler Karzinome kritisch diskutiert und
die Schwächen dieser als randomisierte Phase-II-, aber nicht als
Phase-III-Studie zu bezeichnenden klinischen Prüfung dargestellt werden (12,
13).
Fazit:
Cetuximab ist ein neuer chimärer monoklonaler IgG1-Antikörper, der
gegen den epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGFR) gerichtet ist. Die
Wirksamkeit von Cetuximab in der Behandlung von Patienten mit
Chemotherapie-refraktärem kolorektalem Karzinom als Monotherapie ist gering
(Ansprechraten um 10%). Auch in der Kombination mit Irinotecan werden nur
Ansprechraten von 23% bzw. eine Verlängerung der medianen Zeit bis zum Progreß
der Erkrankung von 2,6 Monaten, nicht aber eine signifikante Verlängerung des
medianen Überlebens durch Cetuximab erreicht. Zukünftige Studien müssen sich
verstärkt mit molekularen Parametern befassen, mit denen valide und frühzeitig
die Patienten identifiziert werden können, die auf Cetuximab ansprechen. Die
Indikation für Cetuximab außerhalb klinischer Studien sollte aufgrund der
geringen Wirksamkeit und der sehr hohen Kosten (bei einer Körperoberfläche von
1,8 m2 ca. 31320 EUR für eine Monotherapie und ca. 50088 EUR für die
Kombination mit Irinotecan über 24 Wochen) sehr kritisch geprüft und
Alternativen überlegt werden. Der Stellenwert von Cetuximab in Kombination mit
Irinotecan oder 5-FU bzw. Oxaliplatin-haltigen Therapiestrategien in der
primären Therapie metastasierter kolorektaler Karzinome ist unklar.
Literatur
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Baselga, J., und Arribas, J.:
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Saltz, L.B., et al.: J.
Clin. Oncol. 2004, 22, 1201.
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AMB 2002, 36, 3.
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Cunningham, D., et
al.: N. Engl. J. Med. 2004, 351, 337.
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Schrag, D.: N. Engl. J. Med.
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Erlichman, C., und Sargent, D.J.:
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