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Coxibe: Europäisches Bewertungsverfahren abgeschlossen mit Anordnung aktualisierter Informationen zu gastrointestinalen, kardiovaskulären und dermalen Nebenwirkungen

Mit einer Entscheidung der Europäischen Kommission vom 30. April 2004 wurde ein Risikobewertungsverfahren abgeschlossen, in das die nachfolgend aufgeführten in der EU verfügbaren Coxibe – Rofecoxib, Celecoxib, Etoricoxib, Valdecoxib und Parecoxib – eingeschlossen waren. Vor allem zu den gastrointestinalen und kardiovaskulären Risiken der Coxibe wurden die Angaben in allen relevanten Abschnitten der Produktinformationen aktualisiert und weitgehend vereinheitlicht. Das Nutzen/Risiko-Verhältnis der Coxibe wurde weiterhin als positiv bewertet.

Die Coxibe sind mit der Annahme entwickelt worden, die Häufigkeit und Schwere der bekannten gastrointestinalen Nebenwirkungen konventioneller NSAIDs vor allem bei der Behandlung chronischer rheumatischer Erkrankungen senken zu können. Die COX-2-Selektivität kann bei der Behandlung chronischer rheumatischer Erkrankungen von Vorteil sein, weil eine COX-1-Hemmung, die bei den herkömmlichen, nicht-COX-2-selektiven NSAID als eine Ursache gastrointestinaler Schädigungen und Komplikationen angesehen wird, nur gering ausgeprägt ist oder fehlt.

Klinische und epidemiologische Studien, deren Ergebnisse nach der Zulassung von Rofecoxib oder Celecoxib veröffentlicht wurden, sowie Einzelfallberichte zu den Coxiben haben den Verdacht aufkommen lassen, daß der gastrointestinale Sicherheitsvorteil der Coxibe geringer ist als zunächst angenommen und daß zusätzlich ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Nebenwirkungen, einschließlich Herzinfarkten und Schlaganfällen, besteht. Außerdem wurden Einzelfälle von schweren Hautreaktionen bekannt. Wegen der inzwischen hohen Anwendungshäufigkeit der Coxibe, des Schweregrads der möglichen gastrointestinalen und kardiovaskulären Schädigungen und Komplikationen und der daraus resultierenden Bedeutung für die öffentliche Gesundheit bestand ein hohes Interesse an einer umfassenden Neubewertung von Nutzen und Risiken aller Coxibe-haltigen Arzneimittel (zu unserer klinischen Einschätzung s.a. 1-5). Diese wurde in den letzten zwei Jahren unter Federführung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf europäischer Ebene in Kooperation mit allen damaligen EU-Mitgliedstaaten vorgenommen.

In die Bewertung wurden die verfügbaren Daten aus präklinischen Untersuchungen mit allen genannten Coxiben und Ergebnisse aus veröffentlichten und unveröffentlichten klinischen oder epidemiologischen Studien einbezogen, welche vor allem für Rofecoxib und Celecoxib vorliegen. Einzelfallberichte aus den bestehenden Spontanmeldesystemen ergaben für die zugelassenen Coxibe zusätzliche Informationen zu Schweregrad und Risikofaktoren gastrointestinaler und kardiovaskulärer Nebenwirkungen sowie zu den schweren Hautreaktionen. Die wissenschaftliche Neubewertung fand ihren Abschluß in einem Gutachten des Arzneispezialitätenausschusses (CPMP) der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMEA), das dieser im November 2003 als Empfehlung an die Europäische Kommission abgegeben hat.

· Die Anwendung aller Coxibe ist mit einem für die Mehrzahl der Coxibe dosisabhängigen Risiko für das Auftreten von gastrointestinalen Nebenwirkungen, einschließlich solcher mit schwerem, auch tödlichem Verlauf verbunden. Das relative Risiko hierfür ist niedriger als bei Anwendung einiger herkömmlicher NSAID. Die Risikounterschiede fallen bei einem Vergleich mit NSAID mit bekannt hohem Potenzial für gastrointestinale Komplikationen (z.B. Naproxen) deutlich und zu Gunsten der Coxibe aus. Im Vergleich mit anderen NSAID (z.B. Diclofenac, Ibuprofen) sind sie jedoch geringer ausgeprägt bzw. ist das Risiko für schwere gastrointestinale Schädigungen (Perforationen, Ulzera, Blutungen) vergleichbar. Patienten mit Risikofaktoren für das Auftreten gastrointestinaler Komplikationen (z.B. höheres Lebensalter, frühere gastrointestinale Schädigung) sind mehr gefährdet, und die Anwendung von Coxiben sollte, wie die von konventionellen NSAID, bei diesen Patienten mit Vorsicht erfolgen. Dies gilt auch für Patienten, die Azetylsalizylsäure (ASS) in niedriger Dosis zur Herzinfarktprophylaxe oder die sonst zusätzlich konventionelle NSAID anwenden.

· Die Ergebnisse aus klinischen Studien haben erkennen lassen, daß die Anwendung von einigen Coxiben im Vergleich zu konventionellen NSAID (Rofecoxib oder Etoricoxib vs. Naproxen bzw. tendenziell Celecoxib vs. Naproxen oder Diclofenac) mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten von Herzinfarkten verbunden sein kann. Das Risiko für eine Blutdruckerhöhung scheint dem der konventionellen NSAID zu entsprechen. Deshalb ist bei der Anwendung selektiver COX-2-Hemmer, insbesondere bei Patienten mit ischämischer Herzkrankheit in der Vorgeschichte, Vorsicht geboten. Eine Verschlechterung der spezifischen klinischen Symptome bei solchen Patienten kann entsprechende Maßnahmen oder ein Absetzen der Behandlung mit Coxiben erforderlich machen.

· Sehr selten treten bei Anwendung der Coxibe schwere Hautreaktionen auf (toxische epidermale Nekrolyse, Stevens-Johnson-Syndrom, Erythema exsudativum multiforme). Nach Anwendung aller Coxibe wurden schwere Überempfindlichkeitsreaktionen (z.B. Anaphylaxie, Angioödem) beobachtet. Da Celecoxib, Valdecoxib und Parecoxib in ihrem Molekül eine Sulfonamidstruktur aufweisen, sind Patienten mit Sulfonamidallergie einem erhöhten Risiko für Überempfindlichkeitsreaktionen ausgesetzt.

Das BfArM macht auf die Ergebnisse der Nutzen/Risiko-Bewertung für die Coxibe und die daraus resultierenden neuen Produktinformationen aufmerksam. Es ist wichtig, daß die Fachkreise die Hinweise bei der Verordnung oder Abgabe von Coxiben berücksichtigen. Obwohl mit der Umsetzung der nunmehr abgeschlossenen Neubewertung ein aktueller Kenntnisstand in den Zulassungen der einbezogenen Arzneimittel abgebildet ist, ist die Beurteilung des Stellenwertes der Coxibe in der Behandlung chronischer rheumatischer Erkrankungen bzw. von Schmerzzuständen weiterhin nicht abgeschlossen.

Das BfArM und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft bitten nach wie vor um Berichte über Verdachtsfälle unerwünschter Wirkungen, vor allem über solche am Gastrointestinaltrakt, im Herz-Kreislauf-System, an der Niere und an der Haut. Dabei sind Schweregrad und Risikofaktoren, die im Einzelfall bestanden haben, von besonderem Interesse und sollten so gut wie möglich dokumentiert werden. Warenzeichen: Celecoxib = Celebrex®; Etoricoxib = Arcoxia®; Parecoxib = Dynastat®; Rofecoxib = Vioxx®; Valdecoxib = Bextra®.

Anmerkung der Redaktion: Diese behördliche Risikoanalyse ist kurz vor der Marktrücknahme von Rofecoxib veröffentlicht worden. Sie behält trotzdem ihre Bedeutung, denn sie kommt zu dem Schluß, daß das Profil der UAW bei allen Coxiben ähnlich ist. Wenn eine Substanz aus dem Handel gezogen wird, weil sie wegen UAW aufgefallen ist, darf sie nach unserer Meinung nicht vorbehaltlos durch eine andere, weniger lang erprobte aus der selben Gruppe ersetzt werden, wie jetzt von MSD Sharp & Dohme angekündigt. Nicht oberflächliche Hysterie bezüglich einer Substanz ist angezeigt, sondern tiefgreifende Skepsis gegenüber allen Coxiben.

Literatur

  1. AMB 2000, 34, 73.
  2. AMB 2001, 35, 38a.
  3. AMB 2002, 36, 41.
  4. AMB 2003, 37, 1.
  5. AMB 2004, 38, 62