Zusammenfassung: Im Jahre 2003 sind 17 Medikamente
neu zugelassen worden. Es handelt sich um sieben innovative Substanzen mit
therapeutischer Relevanz (als Antiemetikum, zur Therapie von Speicherkrankheiten,
der Akromegalie, der komplizierten Tibiafraktur, der fortgeschrittenen
Osteoporose und von AIDS). Fünf Substanzen haben zumindest eine verbesserte
Pharmakodynamik oder Pharmakokinetik. Fünf weitere Substanzen sind
Molekülvariationen und als Analogpräparate ohne zusätzlichen Nutzen anzusehen.
Der insgesamt geringe Anstieg des gesamten Umsatzvolumens ist auf deutliche
Anstiege bei der Verordnung teurer Spezialmedikamente und Analogpräparate
zurückzuführen. Präzise Indikationen und der kritische Vergleich der
Preis/Leistungs-Verhältnisse können und müssen zu einer Entlastung des
Arzneimittelbudgets führen. Nur so können die Kosten der Polymorbidität in
höherem Lebensalter aufgefangen werden.
Im Oktober ist der Arzneiverordnungs-Report 2004
erschienen (1), der den Arzneimittelmarkt und das Verordnungsverhalten der
Vertragsärzte der gesetzlichen Krankenversicherungen im Jahr 2003 zeigt und
analysiert. Mit 749 Mio. Verordnungen wurde ein Arzneimittelumsatz von 24,1
Mrd. EUR erzeugt. Das ist erneut ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr von etwa 6%,
obwohl mehr Generika verordnet wurden und umstrittene Arzneimittel eine immer
geringere Rolle spielen. Der Zuwachs kommt durch ein Umsatzplus von 14,2% bei
den Spezialpräparaten und von etwa 20% bei den Analogpräparaten zu Stande.
Spezialpräparate sind meist teuer und werden für besondere Therapieverfahren
zunächst in Kliniken eingesetzt und von dort in die Ambulanz empfohlen
(Transplantationsmedizin, Onkologie, AIDS-Therapie, Reproduktionsmedizin).
Analogpräparate sind patentfähige Molekülvarianten meist ohne zusätzlichen
Nutzen, die am Ende des Patentschutzes der Muttersubstanz auf den Markt
gebracht werden. Im Folgenden wollen wir kurz die Arzneimittel vorstellen bzw.
ins Gedächtnis rufen, die 2003 neu auf den Markt gekommen sind und werden
sehen, dass es sich dabei meist um Spezial- oder Analogpräparate handelt.
Neue Medikamente 2003 (Tab. 1): Adalimumab (Humira®) ist ein
neuartiger Antagonist des Tumor-Nekrose-Faktors alpha (TNF), der dem humanen
Immunglobulin (IgG1) völlig entspricht und der in speziellen Situationen zur
Behandlung der Rheumatoiden Arthritis zugelassen ist. Er hat eine im Vergleich
zu Etanercept (Enbrel®) und Infliximab (Remicade®)
deutlich verlängerte Halbwertszeit von 15-19 Tagen und muss daher nur alle 14
Tage injiziert werden. Trotzdem sind die Tagestherapiekosten höher als bei den
beiden Vergleichssubstanzen. Einen Wirksamkeitsunterschied scheint es nicht zu
geben. Die Substanzen sind aber nicht vergleichend getestet worden.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) sind bei allen: Aktivierung von
Tuberkulose, Sepsis, Lymphome. Deswegen gilt für die ganze Gruppe der
TNF-Antagonisten, was wir schon für Etanercept gesagt haben (2): Sie sollten
als Basistherapeutikum nur bei unzureichender Wirkung von Methotrexat
eingesetzt werden und nur im Rahmen von prospektiven Studien oder Registern.
Adefovirdipivoxil (Hepsera®) steht seit 2003 als drittes Medikament neben
Interferon alfa und Lamivudin (Epivir®, Zeffix®; 3) zur
Behandlung der Hepatitis B zur Verfügung. Es ist als Nukleosidanalogon
nephrotoxisch und wurde daher - in höherer Dosierung - als HIV-Therapeutikum
nicht weiter getestet. Zur Behandlung der Hepatitis B kommt es bei
Lamivudin-Resistenz in Frage, denn Adefovir-Resistenz gibt es (noch) nicht. Die
Kosten sind fünfmal höher als die von Lamivudin. Langzeitergebnisse zu
Viruseradikation sowie Zirrhose- und Karzinomhäufigkeit fehlen. Das Präparat
ist aber für einen kleinen Patientenkreis in der Hand des Spezialisten eine
Bereicherung.
Aprepitant
(Emend®) ist ein Arzneimittel mit neuartigem Wirkprinzip
(Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonist). Es ist zur Prävention von Übelkeit und
Erbrechen, akut oder verzögert eintretend, bei hoch-emetogener Chemotherapie
mit Cisplatin zugelassen. Aprepitant blockiert nach Bindung an
Neurokinin-1-Rezeptoren die Wirkung des Neuropeptids (Neurotransmitters)
Substanz P, die an der neuronalen Steuerung zahlreicher physiologischer
Vorgänge, u.a. in Nerven und im Gehirn, beteiligt ist. Ihr wird in der
Pathophysiologie des verzögert einsetzenden Erbrechens eine große Rolle
zugeschrieben. In randomisierten klinischen Studien (meistens Vergleich 5-HT3-Rezeptor-Antagonist
plus Dexamethason mit/ohne Aprepitant) konnte die antiemetische Wirksamkeit von
Aprepitant vor allem beim verzögert einsetzenden Erbrechen nachgewiesen werden
(5). Alleine oder in Kombination mit Dexamethason ist Aprepitant bei akutem
Erbrechen deutlich weniger wirksam als die 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten.
Randomisierte klinische Studien, in denen die Wirksamkeit von Aprepitant mit
der Standardtherapie des verzögerten Erbrechens (Dexamethason plus
Metoclopramid oder Dexamethason plus 5-HT3-Rezeptor-Antagonist)
verglichen wurden, liegen bisher nicht vor. Die Kombinationstherapie des
Cisplatin-induzierten Erbrechens mit 5-HT3-Rezeptor-Antagonist (Tag
1), Dexamethason (Tage 1-4) und Aprepitant (Tage 1-3) wird durch Aprepitant um
etwa 86 EUR/Chemotherapie-Zyklus verteuert. Die Indikation der neuen Substanz
Aprepitant muss deshalb vor Verordnung streng geprüft werden. Aus der
hepatischen Metabolisierung von Aprepitant (vorwiegend über CYP3A4) resultiert
eine Vielzahl klinisch bedeutsamer Wechselwirkungen (siehe Fachinformation).
Insgesamt ist Aprepitant eine interessante, wenn auch teure Bereicherung in der
supportiven Therapie bei hoch-emetogenen, Cisplatin-haltigen
Chemotherapie-Schemata.
Dutasterid
(Avodart®) ist als Analogpräparat zu Finasterid (Propecia®,
Proscar®) anzusehen. Finasterid hemmt die 5-alpha-Reduktase Typ 2,
während Dutasterid zusätzlich das Isoenzym Typ 1 hemmt. Dadurch wird die
Reduktion von Testosteron zu Dihydrotestosteron in der Prostata und in anderen
Organen stark reduziert. Das Prostata-Volumen nimmt ab. Über Finasterid haben
wir mehrfach berichtet (6). Dutasterid wurde nicht gegen Finasterid getestet,
sondern gegen Plazebo. Die Ergebnisse mit 0,5 mg Dutasterid sind offenbar ganz
ähnlich wie mit Finasterid. Dutasterid ist allerdings etwas billiger und hat
sich daher zur Behandlung der stark hypertrophierten Prostata rasch
durchgesetzt.
Emtricitabin
(Emtriva®) ist ein Analogpräparat aus der Gruppe der
Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren für die HIV-Therapie. Es
unterscheidet sich von den gängigen Substanzen Lamivudin, Tenofovir (Viread®)
und Didanosin (Videx®) nur wenig, auch nicht im Preis.
Über die einführungsrelevanten Studien von Enfuvirtid
(Fuzeon®) haben wir eingehend berichtet (7). Es handelt sich um
einen sogenannten Fusionsinhibitor, der bei HIV-infizierten Patienten mit
„Multidrug resistance” eingesetzt werden kann. Die Häufigkeit resistenter Viren
nimmt zu. Enfuvirtid ist daher eine sehr erwünschte Innovation, deren Preis vom
Hersteller allerdings so hoch kalkuliert ist, dass sie nicht überall eingesetzt
werden kann, wo sie gebraucht wird.
Escitalopram
(Cipralex®) ist das aktive, linksdrehende Enantiomer des seit Jahren
verkauften Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmers und Antidepressivums Citalopram
(z.B. Cipramil®). Hier wird ein häufig erfolgreicher Trick erneut
angewandt, nämlich das aktive Enantiomer auf den Markt zu bringen, wenn der
Patentschutz der razemischen Muttersubstanz ausläuft, z.B. Nexium®
für Antra® (vgl. 8). Beide Substanzen sind nach der Meinung
sorgfältiger Analysten therapeutisch gleichwertig (9). Die Tagesdosis von
Citalopram als Generikum kostet etwa 0,90 EUR, die Tagesdosis von Cipralex®
1,28 EUR. Wir wundern uns, dass Cipralex® trotzdem in Deutschland
27000mal zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet worden ist.
Laronidase
(Aldurazyme®) ist ein Enzymersatz zur Therapie der Mukopolysaccharid-Speicherkrankheit
(Hurler-Syndrom, Ullrich-Scheie-Syndrom). Jahrestherapiekosten 185000-600000
EUR. Miglustat (Zavesca®) hemmt ein Enzym, das den Substratanfall
beim M. Gaucher vermindert. Jahrestherapiekosten 117000 EUR. Die Preise dieser
Substanzen werfen spezielle ethische Probleme auf, deren Betrachtung den Rahmen
dieser Übersicht sprengt.
Norelgestromin ist ein neuartiges Gestagen, das zusammen mit Ethinylestradiol erstmals
eine hormonale Kontrazeption mit Hilfe eines Pflasters möglich macht (Evra®).
Diese Methode ist zwar sicher, aber nicht sicherer als die Kontrazeption durch
Tabletteneinnahme. Auch die UAW dürften ähnlich sein. Norelgestromin ist der
aktive Metabolit von Norgestimat, das als Gestagenkomponente z.B. in dem
hormonalen Kontrazeptivum Cilest® enthalten ist.
Langzeitbeobachtungen fehlen. Ein vermindertes Thromboembolie-Risiko ist
unwahrscheinlich (15). Ethinylestradiol ist chemisch sehr stabil, wird kaum
abgebaut und führt daher zu Umweltbelastungen. Die Kosten von Evra®
sind fast doppelt so hoch wie die einer niedrig dosierten oralen Kontrazeption,
z.B. Leios®.
Pegfilgrastim (Neulasta®) ist ein kovalentes Konjugat des rekombinanten
humanen Granulozyten-Kolonien stimulierenden Faktors (G-CSF) mit
hochmolekularem Polyethylenglykol (PEG). Durch die „Pegylierung” wird die
Halbwertszeit verzehnfacht im Vergleich zum Filgrastim (Neupogen®).
Pegfilgrastim wird daher bei Chemotherapie-Schemata mit zeitlich begrenzter
Dauer der Neutropenie nur einmal als s.c. Injektion ca. 24 Stunden nach der
zytotoxischen Chemotherapie angewendet. In einer randomisierten, doppeltblinden
kontrollierten klinischen Studie bei Patientinnen mit Hochrisiko-Mammakarzinom,
die zum Teil mit Zytostatika vorbehandelt waren, war eine einmalige Injektion
von Pegfilgrastim 100 µg/kg pro Chemotherapiezyklus bei vergleichbarem
Nebenwirkungsprofil ebenso wirksam (primärer Endpunkt: Dauer der schweren
Neutropenie Grad 4) wie Filgrastim (tägliche Injektionen von 5 µg/kg/d).
Überzeugende Ergebnisse, dass Pegfilgrastim signifikant seltener mit febriler
Neutropenie assoziiert ist als Filgastrim, liegen bisher nicht vor. Auch ein
Vergleich der Therapiekosten von Pegfilgrastim und Filgrastim ist anhand der
bisher durchgeführten klinischen Studien nicht sicher möglich, da Filgrastim in
diesen Studien länger als klinisch notwendig (für 12-14 Tage oder bis zu einem
Anstieg der absoluten Neutrophilenzahlen ≥ 10 x 109/l)
verabreicht wurde. Die Kosten der einmaligen Gabe von Pegfilgrastim (1524 EUR)
entsprechen etwa den Kosten für zehn Dosen Filgrastim 300 µg. Ob durch
Pegfilgrastim eine Kostenreduktion erreicht werden kann, hängt somit von dem
Ausmaß der Myelosuppression der Chemotherapie und den benötigten
Filgrastim-Dosen ab. Aufgrund der vereinfachten Therapie und dem weitgehenden
Ausschluss von Dosierungsfehlern ist das langwirkende Pegfilgrastim als
Fortschritt in der Behandlung Zytostatika-bedingter Neutropenien bei bestimmten
Chemotherapie-Schemata anzusehen. Zur Indikationsproblematik vgl. (10).
Aufgrund unzureichender Daten wird Filgrastim bei Kindern und Jugendlichen
unter 18 Jahren nicht empfohlen.
Pegvisomant
(Somavert®), ein neuer Wachstumshormon-Rezeptor-Antagonist,
korrigiert die erhöhten Plasmakonzentrationen von IGF I (dem eigentlichen
Wachstumsfaktor) bei Akromegalie mit großer Zuverlässigkeit. In der Therapie
ist Somavert aber zunächst, z.B. wegen des ungeklärten Einflusses auf die Größe
des Hypophysentumors, nur ein Reservemedikament hinter Operation, Bestrahlung
der Hypophyse und Somatostatin-Analoga (11).
Tadalafil
(Cialis®) und Vardenafil (Levitra®) wurden zu
Sildenafil (Viagra®) als zwei weitere Phosphodiesterase-5-Hemmer zur
Behandlung der erektilen Dysfunktion eingeführt. Sie unterscheiden sich nicht
im Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil und in auffälliger Weise auch nicht im
Preis pro Dosis. Sie unterscheiden sich im Wirkungsablauf. Die Wirkung von
Tadalafil tritt erst nach vier Stunden ein, hält aber 36 Stunden an. Das ist
kein Vorteil, wenn man die möglichen Nebenwirkungen bedenkt (z.B.
Blutdruckabfall, Priapismus u.s.w.). Vardenafil entspricht dem Sildenafil.
Teriparatid
(Forsteo®) ist ein synthetisches Fragment des humanen Parathormons
(PTH) mit den N-terminalen Aminosäuren 1-34. PTH hat bei intermittierender s.c.
Gabe - als intaktes PTH (1-84) oder als PTH-Fragment (1-34) - osteoanabole
Effekte, besonders am trabekulären Knochen. In einer Studie fand sich im
Vergleich zu Plazebo eine deutliche Reduktion neuer WK-Frakturen. Hinsichtlich
nicht-vertebraler Frakturen war der Effekt von PTH geringer. In zwei kürzlich veröffentlichten
Studien zeigte sich, dass die Kombination von PTH mit dem Bisphosphonat und
Knochenresorptions-Hemmer Alendronat keinen zusätzlichen Effekt auf die
Knochendichte gegenüber PTH alleine hat. In der Tier-Toxikologie sind bei
Ratten Osteosarkome aufgefallen. Die Herstellerfirma hat die klinischen Studien
abgebrochen. Die Anwendungsdauer ist auf 18 Monate begrenzt. Ein weiterer
Nachteil ist der sehr hohe Preis. Als ultima ratio kann aber PTH bei einigen
Patienten angezeigt sein (12).
Auch bei Valdecoxib (Bextra®), dem
vierten Vertreter der selektiven COX-2-Inhibitoren, stehen wie bei Rofecoxib
den Wirkungen ernste UAW gegenüber. In zwei randomisierten
plazebokontrollierten Studien wurden nach koronaren Bypass-Operationen unter
Valdecoxib dreimal mehr kardiovaskuläre Komplikationen beobachtet (16).
Darüberhinaus fielen in Post-marketing-Beobachtungen andere schwere UAW auf
(Angioödem, anaphylaktischer Schock), die ebenso wie die kardiovaskulären jetzt
in der Fachinformation aufgeführt sind. Die EMEA will nach der Marktrücknahme
von Vioxx® jetzt alle Coxibe erneut auf ihre kardiovaskuläre
Sicherheit überprüfen. Bis dahin sollten sie bei Patienten mit Arteriosklerose
nicht verordnet werden, sondern nur bei jüngeren Menschen mit Unverträglichkeit
für andere nicht-steroidale Antiphlogistika. Über die auch im Jahr 2003
anhaltend häufigen Verordnungen kann man sich allein angesichts des
vergleichsweise hohen Preises auch im Nachhinein nur wundern.
Dibotermin alfa (Inductos®) ist ein Knochen-Wachstumsfaktor, der nach
Bindung an Oberflächenrezeptoren von Mesenchymzellen die Neubildung von Knochen
induziert. Er wurde zur Unterstützung der Heilung offener Tibiafrakturen
zugelassen. Er wird während der Operation in einer Matrix direkt auf die
Frakturlinie aufgebracht. In einer Einfachblindstudie an 450 Patienten fanden
sich eine verkürzte Heilungsdauer der Frakturen und seltener
Sekundärinfektionen. Bei geblindeter, radiographischer Beurteilung der
Heilungsdauer ergab sich aber kein überzeugender Unterschied. Vor dem Einsatz
von Dibotermin alfa in der traumatologischen Routine müssen wohl weitere
Studien abgewartet werden.
Verordnung neuer Medikamente im Jahr 2003: Valdecoxib ist das im Jahre 2003 zugelassenene
Medikament, das mit 430000 Verordnungen und einem Umsatz von 18,2 Mio. EUR
wirtschaftlich am erfolgreichsten war. Cipralex (273000 Verordnungen) und
Avodart (232000 Verordnungen) machten ebenfalls schon im ersten Jahr hohe
Umsätze, nämlich 2,3 bzw. 2,9 Mio. EUR. Bei allen dreien handelt es sich um
Analogpräparate, für die es preiswerte Alternativen gegeben hätte. Auch auf der
Liste der umsatzstärksten Neuzulassungen der letzten zehn Jahre finden sich
überwiegend Analogpräparate (s. Tab. 2), die ganz überwiegend ohne
therapeutischen Nachteil hätten ausgetauscht werden könnten. So wurde im Jahre
2003 Simvastatin als Generikum verfügbar. Das hätte sich wie ein Erdrutsch auf
die Verordnungshäufigkeit der übrigen Statine auswirken können. Er ist jedoch
ausgeblieben. Atorvastatin hatte dagegen 2003 weltweit einen Umsatzzuwachs von
14% auf 10,3 Mrd. US $.
Die neu auf den Markt gekommenen und „erfolgreichen”
Arzneimittel sind überwiegend Analogpräparate (Tab. 2). Sie entwickelten sich
mit einer Steigerung des Umsatzes von 21,5% stärker als der übrige Markt (plus
6%; 1). Würden Ärzte (und Partienten) nicht pharmakoökonomisch unsinnige
Neueinführungen einsetzen, sondern die in Wissenschaft und Erfahrung bewährten
„Muttersubstanzen”, hätten 2 Mrd. EUR eingespart werden können. Das Marketing
der Firmen ist offenbar erfolgreich und darf daher auch teuer sein. Wichtige
Informationsträger sind die Pharmareferenten, die Information, Werbung und
anderes in die Praxen bringen, um das Verordnungsverhalten zu beeinflussen.
Allein die Referenten von Pfizer, MSD und AstraZeneca machten während des
Jahres 2003 insgesamt 25 Mio. Besuche. Dabei wurde sicher nicht nur über die
Analogpräparate gesprochen. Die Besuche kosteten 2 Mrd. EUR (13) und dürften
sich gelohnt haben. Vielleicht würde dem Aberglauben an neue Substanzen
entgegengewirkt, wäre auf den Packungen - wie von vielen oft gefordert und in
Großbritannien üblich - ein Warnhinweis gedruckt, der daran erinnert, dass über
die UAW und damit das Preis/Leistungs-Verhältnis neuer Substanzen noch wenig
bekannt ist.
Folgende Substanzen sind im Jahre 2003 als Generika
neu auf den Markt gekommen: Lovastatin, Simvastatin, Cefixim, Gabapentin,
Fluconazol, Moxonidin und Opipramol. 54% aller Verordnungen im Jahre 2003
betrafen Generika; das sind 2% mehr als im Vorjahr. Der Umsatz auf dem
Generikamarkt ist allerdings seit 1993 nicht gewachsen, sondern hat von 32% auf
30% abgenommen. Die Teuerung fand bei den neuen Arzneimitteln statt. Durch die
Verordnung von Generika sind im Jahre 2003 3,4 Mrd. EUR eingespart worden. Das
Einsparvolumen hätte noch wesentlich größer sein können, wäre das jeweils
preiswerteste Generikum verordnet worden. In manchen Praxen wird Software
eingesetzt, die von Herstellern der Generika kostenlos zu Verfügung gestellt
wird. Die Programme sind manipuliert: Für den Ausdruck der Rezepte wird das
Präparat der eigenen Firma als erstes empfohlen. Die Kassenärztliche
Bundesvereinigung will sich nach den Worten des 2. Vorsitzenden, Dr. L.R. Hansen,
mit Priorität diesem Übel widmen (13).
Entwicklungen im Jahre 2004: Verschiedene Krankenkassen haben über die
Auswirkungen des GKV -Modernisierungsgesetzes (GMG) auf die Verordnungen von
Arzneimitteln berichtet. Die Barmer Ersatzkasse veranstaltete im Dezember 2004
ein Symposion zu diesem Thema (13). Folgende Punkte wurden herausgestellt: Die
Verordnung nicht-rezeptpflichtiger Arzneimittel ist um 67% zurückgegangen
(Packungen und Tagesdosierungen) seitdem sie - bis auf Ausnahmen - nicht mehr
erstattungsfähig sind. Die Verordnung rezeptpflichtiger Packungen ist um 3,5%
zurückgegangen, die der Tagesdosierungen hat um 3,6% zugenommen. Es werden also
größere Packungen verordnet. Eine Substitution rezeptfreier Arzneimittel durch
verordnungspflichtige und damit erstattungsfähige hat es nicht in nennenswertem
Ausmaß gegeben. So hat sich z.B. zwar Dutasterid, wie oben gezeigt, stark
entwickelt, aber nicht in demselben Ausmaß wie pflanzliche Prostatamittel nicht
mehr verordnet werden können. Das Verordnungsverhalten ist also rationaler
gewesen als manche Auguren befürchtet hatten. Eine Ausnahme sind die
Antiallergika. Für die Molekülvarianten Desloratadin und Levocetirizin wurden
2,8 Mio. EUR ausgegeben, obwohl Loratadin und Cetirizin als Generika für die
Hälfte des Preises zur Verfügung stehen (14). Auch die Coxibe hatten im Jahre
2004 bis zur Marktrücknahme von Vioxx noch einen erheblichen Umsatzzuwachs, der
der Effektivität des Marketings und der kritiklosen Gutgläubigkeit vieler Ärzte
zuzuschreiben ist. Denn zumindest die unabhängigen Arzneimittelzeitungen in
aller Welt hatten seit der Einführung dieser Präparate darauf hingewiesen, dass
diese sich von anderen nicht-steroidalen Antiphlogistika insgesamt und im
Wesentlichen durch einen viel höheren Preis unterschieden, und dass daher der
kometenhafte Aufstieg nicht nachvollziehbar sei. Auch bei
Protonenpumpen-Hemmern und bei Statinen hat sich im Jahre 2004 trotz aller
Information die Werbung durchgesetzt und den endgültigen Übergang von den
Originalpräparaten zu Generika verhindert. Die Millionenbeträge könnten an
anderer Stelle sinnvoller ausgegeben werden. Vor diesem Hintergrund ist es
nicht verwunderlich, dass z.B. auf dem schon genannten Symposion der Barmer
Ersatzkasse (13) die Wirksamkeit von Steuerungsinstrumenten diskutiert wurde,
nämlich:
·
Festbetragsregelungen,
·
Preiskorrekturen, die an
vergleichende Bewertung des Nutzens gebunden sind,
·
wirtschaftliche
Arzneimittelversorgung bei Hausarztmodellen und anderen integrierten
Versorgungen,
·
intensivere Wirtschaftlichkeitsprüfungen
in den Praxen,
·
Verbot manipulierender
Praxissoftware.
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