Die orale Mukositis nach intensiver Chemotherapie
bzw. Bestrahlung von Kopf- oder Halstumoren ist Folge der Schädigung des
Epithels und der Submukosa. Sie führt häufig zu unerträglichen Schmerzen, einem
erhöhten Risiko lokaler und systemischer Infektionen und zu einer Verlängerung
des Krankenhausaufenthaltes. Eine Standardtherapie der durch Zytostatika
und/oder Bestrahlung ausgelösten oralen Mukositis ist nicht bekannt. Klinische
Studien mit neuen Therapiestrategien wie TGF beta (Transforming Growth Factor
beta), Interleukin-11, Glutamin und topische Kryotherapie verliefen wenig
erfolgreich (1).
Vor diesem Hintergrund sind die kürzlich im N. Engl.
J. Med. publizierten Ergebnisse einer plazebokontrollierten, doppeltblinden
Phase-III-Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Palifermin, einem
rekombinanten Keratinozyten-Wachstumsfaktor, von klinischer Bedeutung (2). In
dieser von Amgen und den Leitern der klinischen Prüfung geplanten,
ausgewerteten und publizierten klinischen Studie wurden insgesamt 212 Patienten
eingeschlossen, bei denen wegen maligner Lymphome (85-90%), eines Plasmozytoms
(8-10%) oder akuter Leukämien (2-5%) eine autologe Stammzelltransplantation
nach Konditionierungsbehandlung mit intensiver Chemo-/Radiotherapie
durchgeführt wurde. Die Konditionierungsbehandlung bestand aus einer
Ganzkörperbestrahlung (Gesamtdosis 1200 cGy) und einer intensiven Chemotherapie
mit Etoposid sowie Cyclophosphamid. Nach Randomisierung erhielten jeweils 106
Patienten Plazebo oder Palifermin (60 µg/kg Körpergewicht/d an drei aufeinander
folgenden Tagen unmittelbar vor Beginn der Konditionierungsbehandlung sowie an
den Tagen 0, 1 und 2 nach der autologen Stammzelltransplantation). Zusätzlich
erhielten alle Patienten Filgrastim (Neupogen®, 5 µg/kg/d), und bei
den meisten Patienten wurde Aciclovir zur Prophylaxe einer
Schleimhautschädigung durch Herpes-simplex-Virus Typ 1 verabreicht. Genaue
Angaben zu den weiteren Maßnahmen der prophylaktischen Mundpflege unter
Chemo-/Radiotherapie finden sich in der Arbeit nicht. Der primäre Endpunkt
dieser kontrollierten klinischen Studie war die Dauer der oralen Mukositis mit
WHO-Schweregrad 3 (Unfähigkeit, feste Nahrungsmittel zu schlucken) oder 4
(keine orale Nahrungszufuhr möglich); sekundäre Endpunkte betrafen u.a. die
Inzidenz der oralen Mukositis mit WHO-Grad 3 oder 4, die von Patienten
berichteten Auswirkungen der Mund-/Halsentzündung und Schluckbeschwerden, die
Gesamtdosis und Dauer der parenteralen oder transdermalen Gabe stark wirksamer
Opioide und die Häufigkeit einer totalen parenteralen Ernährung.
Die Inzidenz einer oralen Mukositis (Grad 3 oder 4)
betrug in der mit Palifermin behandelten Gruppe 63% und in der Plazebo-Gruppe
98% (p < 0,001). Auch die mediane Dauer der oralen Mukositis (Grad 3 oder 4)
unterschied sich signifikant zugunsten der mit Palifermin behandelten Gruppe (6
Tage vs. 9 Tage; p < 0,001). Eine orale Mukositis Grad 4 trat bei 20% der
Patienten in der Palifermin- und bei 62% in der Plazebo-Gruppe auf (p <
0,001). Dementsprechend benötigten die mit Palifermin behandelten Patienten signifikant
weniger stark wirksame Opioide und seltener eine totale parenterale Ernährung.
Interessanterweise traten in der Palifermin-Gruppe auch seltener febrile
Neutropenien als in der Plazebo-Gruppe auf (75% vs. 92%; p < 0,001). Dieses
Ergebnis unterstreicht die wichtige Rolle der oralen Mukosa als Barriere gegen Septikämien.
Genaue Angaben zu mikrobiologischen Kulturen aus der Mundhöhle bzw. zur
Identifizierung der für die febrilen Neutropenien verantwortlichen Erreger
finden sich in der Arbeit jedoch nicht.
In der Palifermin-Gruppe traten verschiedene
unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) häufiger auf, die auf die Substanz zurückgeführt
werden können, z.B. Hautausschlag, Juckreiz, Erythem, Parästhesien,
Geschmackstörungen. Diese UAW waren nicht schwerwiegend, dauerten meistens
nicht länger als drei Tage nach Absetzen von Palifermin und führten nicht zur
vorzeitigen Beendigung der Gabe des Studienmedikaments.
Fazit: Palifermin
reduziert in dieser vom Hersteller stark unterstützten Studie bei Patienten
nach intensiver Konditionierungsbehandlung mit Chemo-/Radiotherapie und
autologer hämatopoetischer Stammzelltransplantation Dauer und Schweregrad der
oralen Mukositis. Trotz Gabe dieses in Deutschland noch nicht zugelassenen
Keratinozyten-Wachstumsfaktors trat jedoch bei etwa zwei Dritteln der Patienten
weiterhin eine schwere orale Mukositis auf, so dass weitere Therapiestrategien nötig
sind, um die orale Mukositis zu vermeiden oder abzuschwächen. Darüber hinaus
müssen größere Studien die Wirksamkeit von Palifermin bestätigen.
Literatur
-
Garfunkel, A.A.: N. Engl. J. Med.
2004, 351, 2649.
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Spiegelberger, R., et al.: N.
Engl. J. Med. 2004, 351, 2590.
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