SSRI haben ein anderes und
bei einigen Patientengruppen günstigeres Nebenwirkungsprofil als nicht
selektive Monoamin-Rückaufnahme-Hemmer (NSMRI = trizyklische Antidepressiva)
und werden deshalb mitunter zu leichtfertig verordnet. Auch depressive
Schwangere werden häufig mit SSRI behandelt, obwohl für viele seit langem
verordnete NSMRI die Datenlage für die Sicherheit in der Schwangerschaft recht
günstig ist. Seit 1995 erregten Verdachtsfälle von SSRI-Entzugssyndrom
(Krämpfe, vermehrte Reizbarkeit, abnormes Schreien, Tremor) bei Neugeborenen
von Müttern, die bis zur Entbindung SSRI eingenommen hatten, Aufmerksamkeit.
E.J. Sanz et al. aus Teneriffa und Uppsala veröffentlichten im Lancet (1) eine
systematische Auswertung von Daten des WHO Collaborating Center for
International Drug Monitoring in Uppsala, Schweden, in dem bisher über drei
Millionen Verdachtsfälle von UAW aus mehr als 70 Ländern gespeichert sind. Sie
erläutern zunächst, wie aus den Verdachtsmeldungen bei Häufung verschiedener
Kombinationen von Medikamenten mit vermuteten UAW eine Information Component
(IC) gebildet wird. Nehmen ähnliche Meldungen zu, dann wird auch IC numerisch
größer. Hiervon wird, um blinden Alarm zu vermeiden, zunächst eine Zahl im Wert
von zwei Standardabweichungen (SD) subtrahiert. Ein Wert für IC-2SD deutlich
größer als 0 ist ein „Signal”, aufgrund dessen ein Problem genauer untersucht
wird. 1999 wurde zuerst für Paroxetin in der Schwangerschaft und neonatale
Entzugssymptome das Signal signifikant, in den folgenden Jahren auch für
Fluoxetin, Sertralin und Citalopram. Von 93 gemeldeten Fällen, in denen eine
Ko-Medikation mit großer Wahrscheinlichkeit keine Rolle spielte, waren 64 mit
Paroxetin assoziiert, 14 mit Fluoxetin, 9 mit Sertralin und 7 mit Citalopram.
Die Autoren empfehlen, neue Verdachtsfälle den nationalen Behörden zu melden
und insbesondere Paroxetin nicht oder nur in sehr kleiner Dosis Schwangeren zu
verschreiben.
In einem ausführlichen
Editorial zu dieser Veröffentlichung mit dem Titel „SSRIs and the developing
brain” behandeln V. Ruchkin und A. Martin aus New Haven, USA (2) darüber hinaus
auch andere Probleme, die sich bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen
mit SSRI ergeben. So neigen Kinder und Jugendliche, die wegen Depressionen oder
Angstsymptomen mit SSRI, besonders mit Paroxetin, behandelt werden, vermehrt zu
suizidalen Gedanken, vermutlich auch zu vermehrten suizidalen Handlungen. Da
SSRI heute auch häufig von Nicht-Psychiatern verordnet werden, empfehlen sie
generell, die Indikation zur Behandlung mit diesen Antidepressiva eng zu
stellen und in leichteren Fällen die guten therapeutischen Möglichkeiten einer
Gesprächstherapie oder einer fachärztlichen Psychotherapie auszuschöpfen.
Fazit: Die Einnahme von SSRI, besonders Paroxetin, durch
Schwangere bis zur Geburt kann beim Neugeborenen zu einem
Serotonin-Entzugssyndrom führen. Die Anwendung von Sertalin und Fluoxetin bei
Kindern und Jugendlichen wird in den Fachinformationen daher nicht empfohlen
und die von Paroxetin ist kontraindiziert.
Literatur
- Sanz, E.J., et al.: Lancet 2005, 365, 482.
- Ruchkin, V., und Martin, A.: Lancet 2005, 365, 451.
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