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Kardiovaskuläre Komplikationen bei der Therapie mit Coxiben: Schwachpunkte im System zur Überwachung der Arzneimittelsicherheit

Die Berliner Deklaration zur Pharmakovigilanz hat Vorschläge zur Verbesserung des Systems zur Überwachung der Arzneimittelsicherheit gemacht (1). Es werden z.B. für die Zeit nach der Zulassung von Medikamenten Studien zur Häufigkeit von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) gefordert und Gesetze, die unab

hängige Zulassungsbehörden in die Lage versetzen, solche Studien auch zwingend zu fordern. Es wird freier Zugang zu den Informationen über UAW gefordert und mehr kritische und mitarbeitende Aufmerksamkeit der verordnenden, verkaufenden oder verbrauchenden Ärzte, Apotheker und Patienten.

Im N. Engl. J. Med. vom 17. März des Jahres werden jetzt die drei Studien veröffentlicht, die die Zunahme der kardiovaskulären Komplikationen bei Therapie mit Coxiben endgültig belegen (2, 3, 4) und zusätzlich zwei Kommentare, die ähnlich wie die Deklaration, die Schwachpunkte des Arzneimittel-Sicherheitssystems benennen. Die Vorgänge werden zum Skandal.

In der APC-Studie (2) wurden 2035 Patienten nach Entfernung von Dickdarmpolypen eingeschlossen und mit Plazebo, zweimal 200 mg/d Celecoxib (Celebrex®) oder zweimal 400 mg/d Celecoxib etwa drei Jahre lang behandelt. Der Hintergrund dieses Ansatzes war, dass durch die Gabe von COX-2-Inhibitoren das Wachstum von Kolonpolypen möglicherweise unterdrückt werden kann. Die Studie musste abgebrochen werden, weil der kombinierte kardiovaskuläre Endpunkt in der Verum-Gruppe signifikant (p = 0,01) häufiger erreicht wurde (Plazebo: 1%; Celecoxib zweimal 200 mg/d: 2,3% und Celecoxib zweimal 400 mg/d: 3,4%).

Nancy A. Nussmeier et al. untersuchten die Häufigkeit kardiovaskulärer Komplikationen bei 1671 Patienten, die als Schmerztherapie nach aortokoronarem Bypass zusätzlich zu Opiaten entweder oral Valdecoxib (Bextra®) oder Valdecoxib plus initial i.v. Parecoxib (Dynastat®) oder Plazebo über 10 Tage erhalten hatten. Die Anzahl kardiovaskulärer Endpunkte nach 40 Tagen war auch hier signifikant unterschiedlich: Plazebo: 0,5%; Valdecoxib: 1,1% und Valdecoxib plus Parecoxib: 2,0%.

Schließlich wurde die APPROVe-Studie veröffentlicht, deren Ergebnisse die Firma Merck (MSD) im vergangenen Jahr veranlasst hatten, Rofecoxib (Vioxx®) nicht mehr zu verkaufen (4). 2586 Patienten mit Zustand nach Resektion eines Darmpolypen wurden randomisiert über etwa drei Jahre entweder mit 25 mg/d Rofecoxib behandelt oder mit Plazebo. In der behandelten Gruppe kam es zu 1,5 kardiovaskulären Ereignissen pro 100 Patientenjahren, in der Plazebo-Gruppe zu 0,78 Ereignissen. Auch dieser Unterschied war mit p = 0,008 statistisch signifikant. Er begann erst spät deutlich zu werden, nämlich 18 Monate nach Beginn der Therapie.

Die Kommentatoren (5, 6) machen auf folgende Punkte aufmerksam: Bei Hemmung von COX-2 konnte man nach den Voruntersuchungen hoffen, dass Magenkomplikationen mit dem analgetischen und antientzündlichen Effekt der Coxibe seltener vergesellschaftet waren; aber man musste wegen Zunahme der Plättchenaggregation auch mit mehr thromboembolischen Komplikationen rechnen. Der Verdacht bestätigte sich bereits in einer Zulassungsstudie (7).

Der kausale Zusammenhang wurde aber lange bestritten, und neue Hinweise darauf wurden zurückgehalten (8); gezielte Studien wurden nicht veranlasst. Dabei können häufige Ereignisse, hier Thromboembolien, nur mit gezielten Studien festgestellt werden, nicht mit dem Spontanerfassungssystem. Weil diese Studien aber fehlten, konnten die Firmen den Zusammenhang bestreiten und erstaunlicherweise eine weltweit überaus erfolgreiche Werbekampagne führen. Durch die massenhafte Verordnung der Coxibe sind sehr viele Patienten schwer geschädigt worden. Die Zulassungsbehörden müssten daher, auch nach Meinung von Psaty und Furberg (6), durch Gesetzesänderung in die Lage versetzt werden autonom

1. Packungsbeilagen zu ändern,

2. Ärzte und Patienten unabhängig zu informieren,

3. Werbung zu beschränken,

4. anerkannte Indikationen zu modifizieren,

5. die Anwendung auf bestimmte Patientengruppen zu beschränken,

6. bei der Zulassung und bei Bedarf im weiteren Verlauf Anwendungsstudien zu fordern und durchzusetzen.

In Kenntnis der zitierten Ergebnisse fand im Februar 2005 eine Sitzung des Beratergremiums der Food and Drug Administration (FDA) in den USA statt. Es hatte 32 Mitglieder. Zehn davon hatten Verbindungen mit den Pharmafirmen, die die in Frage stehenden Coxibe vermarkten. Es wurde nach eingehender Würdigung der Risiken mit 31 zu 1 Stimmen entschieden, dass Celecoxib weiter verkauft werden könnte. Das Votum für Rofecoxib war knapper mit 17 zu 15 Stimmen, ebenso das für Valdecoxib mit 17 zu 13 mit zwei Enthaltungen. Dabei zeigte sich nicht ganz überraschend, dass die zehn Gremium-Mitglieder mit Verbindungen zu den betreffenden Pharmafirmen ganz überwiegend für den weiteren Vertrieb votierten. Die Werbung für die Coxibe direkt bei den Patienten – eine in den USA verbreitete und wirtschaftlich sehr erfolgreiche Werbestrategie – soll allerdings verboten und auf den Verpackungen auf das besondere Risiko hingewiesen werden (9). Die Firmenvertreter hatten übrigens mit zum Teil „lächerlich” einseitiger Auswahl der Argumente für die Medikamente Stellung genommen (10). Die Firma Merck trägt sich nun mit dem Gedanken, Vioxx® wieder zu verkaufen. Die FDA ist allerdings an die Entscheidung ihrer Berater nicht gebunden. Mittlerweise ist auch Valdecoxib vom Markt genommen.

Fazit: Dieser Arzneimittel-Skandal muss dazu führen, dass sich Ärzte und Apotheker kritischer als bisher um ein von Werbung und öffentlichen Verlautbarungen unabhängiges Urteil über den Wert eines Arzneimittels bemühen. Der Wert ist gegeben durch den Quotienten von Wirksamkeit/UAW x Preis. Bei dieser Betrachtungsweise hätten es die Coxibe schon immer schwer haben müssen, häufig verordnet zu werden. Jetzt kann es wirklich jeder wissen.

Literatur

  1. AMB 2003, 37, 95b; s.a. www.der-arzneimittelbrief.de (news)
  2. Solomon, S.D., et al. (APC = Adenoma Prevention with Celecoxib study): N. Engl. J. Med. 2005, 352, 1071.
  3. Nussmeier, N.A., et al.: N. Engl. J. Med. 2005, 352, 1081.
  4. Bresalier, R.S., et al. (APPROVe = Adenomatous Polyp Prevention On Vioxx): N. Engl. J. Med 2005, 352, 1092.
  5. Drazen, J.M.: N. Engl. J. Med. 2005, 352, 1131.
  6. Psaty, B.M., und Furberg, C.D.: N. Engl. J. Med. 2005, 352, 1133.
  7. Bombardier, C., et al. (VIGOR = VIoxx Gastrointestinal Outcome Research): N. Engl. J. Med. 2000, 343, 1520; s.a. AMB 2000, 34, 73.
  8. Pfizer: www.clinicalstudyresults.org/documents/company-study_76_0.pdf
  9. Okie, S.: N. Engl. J. Med. 2005, 343, 1283.
  10. Harris, G.: New York Times 25. Februar 2005.