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Pharmakogenetik – aktueller Wissensstand und klinische Anwendbarkeit

Zusammenfassung: Pharmakogenetik ist ein Teilgebiet der klinischen Pharmakologie. Sie untersucht erbliche Besonderheiten von Pharmakokinetik und Pharmakodynamik. Mit ihren Forschungsergebnissen soll die Arzneimitteltherapie entsprechend der genetischen Ausstattung eines Patienten optimiert werden. In den letzten Jahren hat die Pharmakogenetik deutliche Fortschritte in Richtung klinischer Anwendbarkeit getan, wobei über die Kosten/Nutzen-Relation noch keine Aussagen gemacht werden können. In der pharmazeutischen Industrie werden pharmakogenetische Aspekte verstärkt in die Arzneimittelentwicklung eingebunden. Zukünftig werden Ergebnisse aus pharmakogenetischen Untersuchungen auch häufiger als wichtige Sicherheitskriterien für die Zulassung neuer Arzneistoffe herangezogen.

Was ist Pharmakogenetik? Die Pharmakogenetik untersucht, inwieweit angeborene genetische Merkmale, z.B. Polymorphismen oder seltene genetische Varianten, die die pharmakokinetischen und -dynamischen Prozesse eines Arzneimittels kontrollieren, für die interindividuellen Unterschiede in Wirksamkeit und Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) verantwortlich sind (1-6). Die relativ neue Disziplin Pharmakogenetik vereint demzufolge Methoden der klinischen Pharmakologie mit denen der modernen molekularen Genetik. Von der Pharmakogenetik sollten solche genetischen Untersuchungen abgegrenzt werden, die Mutationen in Genen analysieren, die als prädiktive bzw. kausale Faktoren für das Auftreten von oder die Anfälligkeit für spezielle Erkrankungen gelten (1). Ziel der Pharmakogenetik ist es, eine für den einzelnen Patienten entsprechend seiner genetischen Ausstattung bzw. den genetischen Merkmalen seiner Erkrankung maßgeschneiderte Arzneimitteltherapie („Right medicine for the right patient”; 1) bereitzustellen und dadurch ihre Wirksamkeit und Sicherheit zu verbessern. Neben Umwelteinflüssen, Zusammensetzung der Nahrung, Lebensstil und leicht ersichtlichen Unterschieden in Körpergewicht, Alter, Leber- und Nierenfunktion, die heute als wichtige nicht-genetische Faktoren für die Wirksamkeit von Arzneimitteln bzw. UAW gelten, ist in den letzten Jahren die Bedeutung vererbter, oft verborgener genetischer Merkmale besser verständlich geworden, die für Variabilität pharmakokinetischer Eigenschaften und Unterschiede in der Wirksamkeit eines Arzneimittels verantwortlich sind (2, 5, 6). Der Pharmakogenetik bzw. der Pharmakogenomik als systematischer Analyse aller menschlichen Gene, die das Ansprechen auf ein Arzneimittel bestimmen, kommt deshalb in Zukunft eine Schlüsselrolle in der individualisierten Pharmakotherapie zu (2, 5, 6). Grundlage der Pharmakogenetik sind so genannte vererbte Polymorphismen oder seltene genetische Varianten. Unter Polymorphismen versteht man häufig vorkommende monogen vererbte Merkmale, die in der Bevölkerung in mindestens zwei Phäno- bzw. Genotypen auftreten und deren Allelhäufigkeit bei mindestens 1% der Bevölkerung vorkommt (4). Bei einer Allelfrequenz von < 1% spricht man von seltenen genetischen Varianten. Polymorphismen wurden zunächst in Arzneimittel-metabolisierenden Enzymen identifiziert und hinsichtlich ihrer klinischen Relevanz untersucht. Inzwischen ist jedoch deutlich geworden, dass auch andere für die Serumkonzentration, Halbwertszeit und Wirksamkeit eines Arzneimittels wesentliche Vorgänge (z.B. Absorption, Verteilung, Elimination sowie Transportproteine und therapeutische Zielstrukturen für Arzneimittel) von Polymorphismen oder genetischen Varianten betroffen sein können (2, 5-7). Dementsprechend können diese genetischen Veränderungen sowohl Pharmakokinetik als auch Pharmakodynamik zahlreicher Arzneimittel beeinflussen.

Klinische Bedeutung der Pharmakogenetik: Eine Vielzahl neuer Arzneimittel ist in den vergangenen 30 bis 40 Jahren entwickelt worden, bei denen die Ursachen für interindividuelle Unterschiede im therapeutischen Ansprechen und/oder UAW weiterhin ungelöst sind. Die heute eingesetzten wichtigen Arzneimittel (z.B. Betarezeptoren-Blocker, Beta2-Sympathomimetika, Statine, Antidepressiva) sind in der Regel nur bei 25%-60% der Patienten wirksam (7). Darüber hinaus können schwere UAW auftreten, die trotz guter Wirksamkeit eines Arzneimittels zum Absetzen führen und nicht selten Anlass für Krankenhausaufnahmen, Verlängerung stationärer Aufenthalte oder sogar Arzneimittel-bedingte Todesfälle sind (8). Für eine Individualisierung der Arzneimitteltherapie sind deshalb neben der Beachtung nicht genetisch bedingter Faktoren (s.o.) insbesondere pharmakogenetische Analysen zunehmend wichtig. Ziel dieser Untersuchungen ist es, die pharmakogenetischen Ursachen für interindividuelle Unterschiede in Wirksamkeit und Toxizität von Arzneimitteln besser zu verstehen und dadurch geeignete Arzneimittel in der richtigen Dosierung rational auszuwählen (5, 6).

Anstelle der heute üblichen Dosierung von Arzneimitteln nach Körperoberfläche, Körpergewicht und Lebensalter werden die auf pharmakogenetischen Ergebnissen basierenden, individualisierten Dosierungsempfehlungen voraussichtlich deutliche Vorteile bringen, insbesondere für Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite, wie z.B. Zytostatika (2, 5, 6, 9). Neben den bei einigen Arzneimitteln bereits heute analysierten Polymorphismen in Arzneimittel abbauenden Enzymen werden pharmakogenetische Untersuchungen von Transportproteinen und/oder therapeutischen Zielstrukturen hoffentlich bald bessere Voraussagen über Wirksamkeit und Risiken einer Über- oder Unterdosierung von Arzneimitteln erlauben.

Verschiedene, kürzlich erschienene Übersichtsarbeiten beschäftigen sich ausführlich mit der potentiellen klinischen Anwendung pharmakogenetischer Ergebnisse und den Fortschritten in der Entwicklung neuer molekulargenetischer Methoden zum Nachweis von Polymorphismen, seltenen genetischen Varianten und molekularen Veränderungen von Zielstrukturen für Arzneimittel (1, 5-7, 9). Gleichzeitig warnen diese Autoren jedoch vor unrealistischen Erwartungen an den routinemäßigen klinischen Einsatz einer Genotyp-basierten, individualisierten Arzneimitteltherapie, da eine klinische Relevanz bisher nur für sehr wenige genetische Veränderungen eindeutig belegt ist (3, 6). Im Folgenden sollen deshalb zunächst an ausgewählten Beispielen klinische Einsatzmöglichkeiten der Pharmakogenetik dargestellt und anschließend Probleme diskutiert werden, die der Umsetzung dieser Ergebnisse in die klinische Praxis derzeit noch im Wege stehen.

Ausgewählte pharmakogenetische Beispiele: Die Auswirkungen von Polymorphismen in Arzneimittel-metabolisierenden Enzymen sind bisher am längsten und intensivsten untersucht. Die Genvarianten der Zytochrom-P450-Enzyme sind als häufigste Ursachen interindividuell unterschiedlicher Arzneimittelreaktionen identifiziert worden.

CYP2D6: Dieses Enzym ist am Metabolismus von ca. 25% aller Arzneistoffe beteiligt. Vor allem Neuroleptika und Antidepressiva gehören zu den typischen Substraten. Es sind CYP2D6-Allele bekannt, bei denen die Enzymaktivität vermindert ist, vollständig fehlt oder sogar gesteigert ist. Etwa 7% der weißen Bevölkerung sind homozygote Träger des defizienten CYP2D6-Allels (13), besitzen also keine entsprechende Enzymaktivität und werden deshalb als schlechte Metabolisierer bezeichnet (PM = poor metabolizer). Übliche Dosierungen verursachen bei diesen Patienten deutlich gesteigerte Arzneimittelreaktionen bis hin zur Toxizität. Auf der anderen Seite haben 1,5%-5% der Bevölkerung eine Genduplikation des CYP2D6. Individuen dieses Genotyps besitzen drei aktive Allele und haben dementsprechend eine deutlich gesteigerte Enzymaktivität (ultraschnelle Metabolisierer = UM; 14). Um einen therapeutischen Effekt zu erzielen, muss bei UM die Dosierung einiger Pharmaka drastisch erhöht werden. Heterozygote Träger nur eines Defektallels werden als intermediäre Metabolisierer (IM) und homozygote Wildtypallel-Träger als extensive Metabolisierer (EM) bezeichnet. Kürzlich konnten die Erkenntnisse einiger klinischer Studien zu CYP2D6-Genotyp-basierten Dosisempfehlungen zusammengefasst werden (15; Abb. 1). Am Beispiel der Antidepressiva zeigt sich für Imipramin ein Unterschied in der für therapeutische Plasmakonzentrationen benötigten Dosierung zwischen langsamen und ultraschnellen Metabolisierern um etwa den Faktor 6. Angesichts der allgemein geringen therapeutischen Breite und der Kardiotoxizität von Antidepressiva bieten sich hier gute Möglichkeiten für pharmakogenetisch-basierte Dosierungen.

CYP2C19: Protonenpumpen-Inhibitoren werden in der aktuellen Therapie gastroduodenaler Ulzera häufig eingesetzt. Der Protonenpumpen-Inhibitor Omeprazol wird zu etwa 80% über CYP2C19 metabolisiert (16). Individuen mit dem defizienten CYP2C19 *2-Allel metabolisieren Omeprazol wesentlich langsamer über den alternativen CYP3A4-Stoffwechselweg. Dadurch erhöht sich die Bioverfügbarkeit dieses Protonenpumpen-Inhibitors um bis zu 10-fach im Vergleich mit homozygoten Trägern des Wildtyp CYP2C19 *1-Allels (17; Abb. 2). Da die Toxizität von Omeprazol auch bei diesen hohen Plasmakonzentrationen anscheinend gering ist, sind bei Patienten mit CYP2C19 *2-Allel UAW nicht gehäuft beobachtet worden (18). Mehrere klinische Studien aus Japan und Korea haben jedoch ergeben, dass die Heilungsraten von Helicobacter-pylori-Infektionen bei homozygoten Trägern des stoffwechseldefizienten CYP2C19 *2 höher sind, als bei Patienten mit mindestens einem stoffwechselaktiven CYP2C19 *1-Wildtyp-Allel (19, 20, 21). Die CYP2C19-Defizienz kommt in der asiatischen Bevölkerung, in der die Studien durchgeführt wurden, mit 15-25% besonders oft vor und ist damit etwa fünfmal häufiger als bei Europäern oder Nordamerikanern. Bei Kenntnis des CYP2C19-Genotyps könnte die Dosierung von Omeprazol bei homozygoten Wildtyp-Trägern entsprechend höher gewählt und damit die Eradikation von Helicobacter pylori verbessert werden.

Genetische Varianten Zytostatika-metabolisierender Enzyme bzw. Zielstrukturen neuer Therapiestrategien: Auch bei medikamentöser Therapie von Tumorpatienten wurden pharmakogenetische Untersuchungen bisher nur selten eingesetzt. Verschiedene Studien haben jedoch verdeutlicht, dass sowohl genetische Polymorphismen in Enzymen, die eine wichtige Rolle in der Metabolisierung von Zytostatika spielen, als auch molekulargenetische Ergebnisse von Zielstrukturen neuer Therapien klinisch wichtige Informationen für eine individualisierte Tumortherapie und diagnostische Vorselektion von Patienten-Subgruppen liefern. Dies soll im Folgenden an einigen Beispielen illustriert werden.

Die Thiopurin-Methyltransferase (TPMT) spielt eine Schlüsselrolle beim Abbau der Thiopurine Azathioprin, 6-Mercaptopurin (6-MP) und Thioguanin. Diese Arzneimittel werden heute zur Prophylaxe von Abstoßungsreaktionen nach Organtransplantationen und z.B. bei der Behandlung autoimmuner Erkrankungen sowie akuter lymphatischer (ALL) und myeloischer Leukämien eingesetzt. Die TPMT-Aktivität ist von genetischen Polymorphismen abhängig (22). Etwa 10% der Patienten sind heterozygote Träger eines defekten Allels mit einer mittleren Enzymaktivität, während 0,3% homozygote Defektallel-Träger sind mit sehr geringer bis nicht messbarer Enzymaktivität (2, 5). Am Beispiel von 6-MP, einem Purin-Analogon, das sowohl in der Induktions- als auch in der Erhaltungstherapie der ALL eingesetzt wird, konnte gezeigt werden, dass Unterschiede in der Aktivität der TPMT die therapeutische Wirksamkeit sowie die Toxizität von 6-MP beeinflussen. Patienten mit ALL und nicht nachweisbarer oder verminderter TPMT-Aktivität (homozygote Defektallel-Träger) hatten ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von z.T. lebensbedrohlicher Myelosuppression, zeigten aber auch ein besseres Ansprechen auf die Chemotherapie (2, 5). Demgegenüber war die Wirksamkeit von Thiopurinen bei Patienten mit hoher TPMT-Aktivität, vermutlich auf Grund eines schnelleren Abbaus zu inaktiven Metaboliten, vermindert. Die Assoziation zwischen TPMT-Genotyp und klinischer Wirksamkeit von 6-MP konnte kürzlich auch anhand molekularer Untersuchungen zum Nachweis minimaler Resterkrankung bei Kindern mit ALL gezeigt werden. Bei heterozygoten Trägern eines defekten Allels (mittlere TPMT-Enzymaktivität) wurde in einer großen prospektiven klinischen Studie aus Deutschland eine signifikant bessere Reduktion der minimalen Resterkrankung nachgewiesen als bei Kindern mit hoher TPMT-Aktivität (homozygoter Wildtyp; 10). Die Tatsache, dass TPMT in klinisch leicht zugänglichen Zellen (z.B. Erythrozyten, lymphatischen Leukämiezellen) exprimiert wird, hat die Einführung dieser pharmakogenetischen Bestimmung in die klinische Praxis erleichtert. Darüber hinaus stehen heute bereits kommerziell erhältliche pharmakogenetische Assays zur Verfügung, die die wichtigsten genetischen TPMT-Defektvarianten erfassen (TPMT *2, *3A, *3C). Auch für andere Zytostatika-metabolisierende Enzyme (z.B. Glutathion-S-Transferase, Thymidilat-Synthetase) wurden inzwischen genetische Polymorphismen nachgewiesen, die das Ansprechen auf die antileukämische Therapie beeinflussen und in Zukunft möglicherweise eine individualisierte Dosierung entsprechender Zytostatika ermöglichen (2, 9). Auch bei Gabe neuer Substanzen mit molekular definierten Angriffspunkten („Targeted therapy”) zeichnet sich in der Onkologie inzwischen ein wichtiges Einsatzgebiet für pharmakogenetische Untersuchungen ab. Für einen oral verabreichbaren Tyrosinkinase-Inhibitor (Gefitinib), der gegen den Rezeptor des Epidermal Growth Factor (EGFR) gerichtet ist, wurden signifikante Korrelationen zwischen dem Nachweis heterozygoter somatischer Mutationen innerhalb der Tyrosinkinase-Domäne des Gens für den EGFR, die zu einer Zunahme der Funktion dieses Rezeptors führen, und einem besseren Ansprechen beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom beschrieben (11). Für weitere Fortschritte in der „Targeted therapy” von Tumorerkrankungen werden deshalb dringend Wirkstoff-spezifische molekulare Techniken benötigt, die in prospektiven klinischen Studien parallel zur klinischen Wirksamkeit und Sicherheit auch genetische Veränderungen mit Einfluss auf die Pharmakodynamik analysieren. Nur anhand dieser pharmakogenetischen Analysen von Zielstrukturen für Arzneimittel wird es möglich sein, charakteristische molekulare Merkmale, die mit dem Ansprechen auf eine neue Substanz korrelieren, in Tumorzellen von Patienten frühzeitig zu identifizieren. Dadurch könnte ein ungezielter, häufig sehr kostenintensiver und möglicherweise auch toxischer Einsatz von neuen Wirkstoffen in der Onkologie vermieden werden (12).

Transmembran-Transporter: Nicht nur Enzyme können die Pharmakokinetik eines Arzneistoffes beeinflussen. Die meisten Arzneimittel überwinden zelluläre Barrieren, um an ihren Wirkort zu gelangen. Häufig geschieht dies nicht nur durch passive Diffusion, sondern durch aktive Prozesse, die durch Transportproteine, die integrale Bestandteile der Zellmembran sind, vermittelt werden. Vor allem für die Gene (MDR1, auch ABCB1 genannt, und organic anion transporting polypeptide C = OATP-C) der Transportproteine P-Glycoprotein (PGP) und SLCO1B1 sind zahlreiche Polymorphismen beschrieben worden, die einen Einfluss auf die Arzneimitteltherapie haben könnten. MDR1 ist hauptsächlich als wichtiger Auslöser der so genannten Multiresistenz gegen Zytostatika in der Tumortherapie bekannt geworden (23), wird jedoch auch in vielen normalen Geweben, wie z.B. Leber, Niere und Darm exprimiert (24). MDR1 hat ein extrem breites Substratspektrum, das von Digitalisglykosiden bis zu Röntgenkontrastmitteln reicht (25). Ob Polymorphismen im MDR1-Gen tatsächlich therapeutisch relevant sind, wird gegenwärtig uneinheitlich bewertet. Für einen nicht-kodierenden single-nucleotide polymorphism (SNP) im Exon 26 an der Nukleotidposition 3435 ergaben sich Hinweise, dass homozygote Träger des T-Allels im Vergleich zu Wildtypallel-Trägern signifikant höhere Digoxin-Plasmaspiegel hatten (26). Einige Studien, in denen auch andere Wirkstoffe verwendet wurden, ergaben jedoch diskrepante Ergebnisse. Deshalb sind weitere Untersuchungen zur Klärung notwendig. Eindeutiger ist die Datenlage zu dem in der Leber lokalisierten Transportprotein des OATP-C-Gens. Kürzlich veröffentlichte klinische Studien haben gezeigt, dass genetische Varianten dieses Transporters einen Einfluss auf die hepatische Clearance des Cholesterinsenkers Pravastatin haben (27-29). Individuen mit OATP-C *5 und *15 zeigten eine verzögerte Aufnahme von Pravastatin aus dem portalvenösen Blut in die Leberzelle (27, 28), während bei Trägern des OATP-C *1b-Allels die Aufnahme beschleunigt war (28). Da Pravastatin nahezu ausschließlich die Cholesterinsynthese in den Hepatozyten hemmt, dürfte der Cholesterin-senkende Effekt bei Individuen mit OATP-C *5 und *15-Allel vermindert sein, obwohl für die Pravastatin-Plasmakonzentrationen genau das Gegenteil gilt. Für Auswirkungen dieses pharmakogenetischen Effekts auf die Cholesterinsenkung bei Patienten gibt es erste Hinweise (29, 30).

Grenzen der Pharmakogenetik und Perspektiven für die Entwicklung neuer Wirkstoffe: Im Genom des Menschen, das ca. drei Milliarden Nukleotide umfasst, treten alle 100 bis 300 Nukleotide sogenannte SNPs („Snips” genannt) auf. Das bedeutet, dass Hunderttausende bis Millionen von SNPs identifiziert und analysiert werden müssten, um ein umfassendes Bild zu erhalten, welche SNPs pharmakotherapeutische Relevanz besitzen. Dadurch kann der Aufwand für molekulargenetische Analysen, bioinformatische Auswertung und Studiendesign sehr groß werden. Um die Arbeiten einzugrenzen, ist es für die Pharmakogenetik außerordentlich wichtig, zunächst diejenigen Gene zu identifizieren, die für Arzneimittelreaktionen überhaupt wichtig sind. Hier gibt es noch ein großes Entwicklungspotenzial für die pharmakogenetische Forschung.

Neben der großen Zahl an SNPs gibt es zahlreiche weitere Hindernisse für die Umsetzung pharmakogenetischer Forschungsergebnisse in die klinische Praxis (3, 6). So ist inzwischen deutlich geworden, dass für die meisten Wirkungen von Arzneimitteln nicht einzelne Polymorphismen, sondern Wechselspiele verschiedener Genprodukte mit Beeinflussung pharmakokinetischer- und -dynamischer Eigenschaften von Arzneimitteln verantwortlich sind (6). Weitere Schwierigkeiten betreffen die häufig noch unvollständigen Kenntnisse über pharmakokinetische Eigenschaften und Wirkungsmechanismen einzelner Arzneimittel. Nur in prospektiven klinischen Studien an gut charakterisierten und einheitlich behandelten Patienten, die hinsichtlich pharmakogenetischer Varianten systematisch analysiert werden, können in Zukunft genetische Determinanten für das Ansprechen von Arzneimitteln und Auftreten von UAW zuverlässig ermittelt werden (3, 6). In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, dass die klinische Bedeutung pharmakogenetischer Veränderungen auch von der Zugehörigkeit zu verschiedenen Bevölkerungsgruppen (Ethnien) beeinflusst wird (6).

Die pharmazeutische Industrie konzentriert sich seit Jahren auf umsatzstarke Präparate für Massenmärkte, die so genannten Blockbuster. Deshalb wäre eine möglichst frühzeitige Überprüfung der Wirksamkeit und der Sicherheit neuer Wirkstoffe im Hinblick auf die z.T. sehr hohen Entwicklungskosten innovativer Arzneimittel wünschenswert. Unklar ist, ob bei der pharmazeutischen Industrie die Bereitschaft besteht, das Konzept der Blockbuster zugunsten der Entwicklung von alternativen Arzneistoffen für kleinere Patientengruppen zu ändern. Da Blockbuster jedoch für die Hersteller immer wieder dramatische Auswirkungen haben, wie in den letzten Jahren anhand einiger Marktrücknahmen beobachtet werden konnte, bietet die Pharmakogenetik eine zukunftsweisende Strategie. Pharmakogenetische Analysen könnten z.B. klären, ob bestimmte Patientengruppen erhöhte Risiken für UAW haben. Eine entsprechend eingegrenzte Zulassung bzw. bessere Überwachung der UAW nach Zulassung der teuren Blockbuster reduziert auch das Risiko einer späteren Marktrücknahme. Auch die Arzneimittelentwicklung in der pharmazeutischen Industrie profitiert von der Pharmakogenetik. Substanzen, die vormals nicht zugelassen werden konnten oder die vom Markt genommen werden mussten, könnten besser solchen Patienten zugeordnet werden, für die das Arzneimittel geeignet ist. Darüber hinaus sollte es möglich sein, das Zulassungsverfahren für Wirkstoffe mit pharmakogenetisch definierter Patienten-Subgruppe zu vereinfachen. Kosten und Risiken in der Arzneimittelentwicklung könnten möglicherweise reduziert werden. Eine anhand gezielter pharmakogenetischer Untersuchungen erreichbare Verminderung von UAW, kürzere Behandlungsdauer und möglicherweise Reduktion der für die Behandlung spezieller Krankheiten notwendigen Zahl von Arzneimitteln wäre ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Arzneimitteltherapie, Senkung der Kosten bzw. Förderung der Kosteneffizienz im Gesundheitswesen.

Die zunehmende Anwendung der Pharmakogenetik im klinischen Alltag bedeutet aber auch, dass die Verordnung von Arzneimitteln noch verantwortungsvoller wird. Der Kliniker muss demnächst vor der Auswahl der Medikation ggf. eine teure pharmakogenetische Diagnostik veranlassen, deren Ergebnisse richtig interpretiert werden müssen. Es ist bereits ein DNA-Chip auf dem Markt, mit dessen Hilfe Polymorphismen zweier wichtiger Zytochrom-P450-Enzyme erfasst werden können. Für den gezielten Einsatz dieses DNA-Chips und für die daraus abgeleitete Dosierung individuell geeigneter Arzneimittel ist neben Kenntnissen der Pharmakokinetik bzw. -dynamik auch pharmakogenetisches Wissen nötig. Dieses muss Ärzten während ihrer Aus- und Weiterbildung besser als heute vermittelt werden.

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