Im September 2004 haben wir über das Konzept der
„Polypille” zur Sekundär- und Primärprophylaxe kardiovaskulärer Komplikationen
referiert und Stellung genommen (1). Im British Medical Journal erschien
kürzlich ein Artikel von J. Hippisley-Cox und C. Coupland (2) mit Kommentar von
T. Fahey et al. (3), alle aus Großbritannien, zu diesem Thema. Die Autoren
untersuchten die allgemeine Letalität (all cause mortality) von 13029 neu mit
KHK diagnostizierten Patienten (zwischen Januar 1996 und Dezember 2003) aus 89
Allgemeinpraxen des National Health Service in Abhängigkeit von der
kardiovaskulären Medikation in der Zeit vor dem Tod. 2266 Verstorbene („cases”)
wurden mit 9064 nicht verstorbenen Kontrollpatienten („controls”) verglichen,
die hinsichtlich mittleren Alters (80 Jahre) und Geschlechterverteilung (55,7%
Männer in beiden Kollektiven) weitgehend übereinstimmten.
Ermittelt wurde die Einnahme von Statinen, ASS, ACE-Hemmern
und Betablockern. Die niedrigste Letalität war mit der Einnahme von Statin, ASS
und Betablocker assoziiert („Reduktion der Letalität” um 83%; 95%-Konfidenz-Intervall
= CI: 77-88%), gefolgt von der gleichen Kombination plus ACE-Hemmer („Reduktion”
um 75%; CI: 65-82%), Statin, ASS und ACE-Hemmer („Reduktion” um 71%; CI: 59-79%)
und Statin und ACE-Hemmer („Reduktion um 31%; CI: -57% bis +12%). Betablocker
als Monotherapie bewirkten nur eine „Reduktion” der Letalität um 19% (CI: -37
bis +4%). Die Autoren sprechen von einer „Reduktion der Letalität” durch
bestimmte Medikamentenkombinationen, obwohl eine Ursache-Wirkungs-Beziehung
nicht bewiesen ist. Die Vergleichsgröße, gegenüber welcher die Reduktion
ermittelt wurde, war die Letalität bei Einnahme keines der angegebenen
Medikamente. Von den Verstorbenen (cases) hatten 16,2% einen Diabetes mellitus
im Vergleich mit nur 11,3% bei den nicht verstorbenen Patienten (controls).
Hinsichtlich Herzinsuffizienz war das Verhältnis 31,6% zu 15,5%, zu früherem
Herzinfarkt 39,4% zu 27,9% und zur Hypertonie 37,1% zu 40,8%.
Die Autoren betonen, dass es sich um eine
Beobachtungsstudie handelt, in der unterschiedliche Indikationen für die
Verschreibung der untersuchten Medikamente nicht berücksichtigt werden konnten.
Auch ließen sich in einer solchen Studie nicht alle möglicherweise bedeutenden Störfaktoren
(„confounders”) eliminieren. Die Kommentatoren (3) halten die Studie für
wichtig. Sie unterstütze andere, zum Teil prospektive Studien, die eine
Reduktion des Letalitätsrisikos durch eine pathophysiologisch sinnvolle
Kombination protektiv wirkender Medikamente bei KHK-Patienten belegen. Der Idee
der Verordnung einer „Polypille” an alle Menschen über 55, unabhängig vom
KHK-Risiko entsprechend dem Vorschlag von Wald und Law (4), erteilen die
Autoren des Kommentars jedoch eine Absage, da sehr viele Menschen die Pille
unnötigerweise nähmen und deren UAW zu erleiden hätten.
Fazit: Die
referierte Studie (2) zeigt, dass KHK-Patienten, die bestimmte von behandelnden
Ärzten ausgewählte kardioprotektiv wirkende Medikamente in Kombination einnehmen,
ein geringeres Letalitätsrisiko haben als medikamentös unbehandelte
KHK-Patienten. Dieses Ergebnis ist nicht überraschend. Es ist kein Argument für
die Entwicklung einer „Polypille” mit festgelegter Kombination und Dosierung
von Medikamenten für die Sekundärprophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse,
geschweige denn für die Primärprophylaxe. Nur eine kontrollierte Studie kann
weiterhelfen.
Literatur
-
AMB 2004, 38, 68a.
-
Hippisley-Cox, J.H., und
Coupland, C.: Brit. Med. J. 2005, 330, 1059.
-
Fahey, T., et al.: Brit.
Med. J. 2005, 330, 1035.
-
Wald, N.J., und Law,
M.R.: Brit. Med. J. 2003, 326, 1419.
|