Das ist das Ergebnis der PROactive-Studie, die
kürzlich im Lancet unter Federführung von J.A. Dormandy aus London publiziert
wurde (1). Es handelt sich um eine prospektive, randomisierte europäische
Multicenter-Studie an 5283 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, die in
einigem Abstand vor der Randomisierung bereits einen Herzinfarkt oder einen
Schlaganfall erlitten hatten oder bei denen eine hämodynamisch signifikante
Koronar- oder Beinarteriosklerose vorlag. Die Patienten zwischen 35 und 75
Jahren (im Mittel ca. 62 Jahre; ca. 66% Männer) hatten ein HbA1C >
6,5% und wurden zuvor mit Diät allein (4%) oder mit Sulfonylharnstoffen,
Metformin, Kombinationen beider oder plus Insulin behandelt. Patienten, die nur
Insulin erhielten, wurden nicht rekrutiert. Die Basistherapie wurde
beibehalten, und nach Randomisierung erhielten die Patienten zusätzlich täglich
15 mg (1. Monat), 30 mg (2. Monat) und später, wenn indiziert, 45 mg
Pioglitazon (Pio; Actos®) oder gleich aussehende Plazebo-Tabletten.
Zu jedem Zeitpunkt der für 48 Monate Intervention geplanten Studie konnten die
Dosen von Pioglitazon oder der anderen Antidiabetika im Interesse einer
optimalen Einstellung des Stoffwechsels angepasst werden.
Der primäre Studienendpunkt war kompliziert
zusammengesetzt: Letalität; nicht-tödliche einschließlich klinisch stumme Herzinfarkte;
Schlaganfall; akutes Koronarsyndrom; endovaskuläre oder offene Intervention an
Koronararterien oder Beinarterien und Beinamputationen oberhalb des
Sprunggelenks. Sekundäre Endpunkte waren die Zeiten von der Randomisierung bis
zum (ersten) Ereignis von Tod; Herzinfarkt (ohne klinisch stummem Infarkt);
Schlaganfall; kardiovaskulärer Tod; und die Zeit bis zu den Einzelkomponenten
des primären Endpunkts. Da sich die Endpunkte schon vor Ablauf von 48 Monaten
in einiger Hinsicht zwischen den Gruppen signifikant unterschieden, wurde die
Studie nach im Mittel 34,5 Monaten abgebrochen, d.h. die Dauer der Studie war
„end point-driven”.
Zunächst einmal ist es kein Wunder, dass in der
Verum-Gruppe, die ein weiteres Antidiabetikum erhielt, signifikant weniger Patienten
im Laufe der Studie neu mit Insulin behandelt wurden als in der Plazebo-Gruppe.
HbA1C fiel mit Pioglitazon aber nur um 0,8%-Punkte, mit Plazebo um 0,3%-Punkte
gegenüber dem Ausgangswert ab. Dafür hatten 28% der Pio-Gruppe vs. 20% unter
Plazebo Hypoglykämien. Die Pio-Patienten nahmen um 3,6 kg zu, die
Plazebo-Patienten um 0,4 kg ab (obwohl sie häufiger Insulin erhielten). LDL-
und HDL-Cholesterin nahmen unter Pio signifikant stärker zu und Triglyzeride
und der LDL/HDL-Quotient nahmen signifikant stärker ab als unter Plazebo.
Endpunkte: 514 von 2605 Pio und 572 von 2633 Plazebo-Patienten
hatten wenigstens ein Ereignis des primären Endpunkts (Hazard ratio = HR: 0,90;
CI: 0,80-1,02; p = 0,095, d.h. nicht signifikant). In den Hauptkriterien des
sekundären Endpunkts (Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall) war das Ergebnis mit
einer HR von 0,84 (CI: 0,72-0,98; p = 0,027) signifikant zu Gunsten von Pio.
Der Unterschied bei kardiovaskulären Todesfällen war mit 127 vs. 136 minimal.
Pio-Patienten hatten signifikant häufiger Pneumonien
(53 vs. 35 Patienten). Bei 417 vs. 302 Patienten (Pio vs. Plazebo) wurde eine
Herzinsuffizienz diagnostiziert, die bei 209 vs. 153 Patienten zur
Hospitalisierung führte. Bei 562 vs. 341 Patienten wurden Ödeme ohne
Herzinsuffizienz diagnostiziert.
Die Arbeit ist tendenziös abgefasst. Vorteile von Pio
werden überbetont und unerwünschte Wirkungen heruntergespielt. Implizit wird
den regionalen Studienleitern unterstellt, sie könnten eine Herzinsuffizienz
nicht von den bei der Glitazon-Therapie oft auftretenden Ödemen unterscheiden.
Die protektive Wirkung von Pio hinsichtlich arteriosklerotischer Komplikationen
(deren Mechanismus die Autoren zugegebenermaßen nicht kennen) sei
generalisierbar, d.h. auch für Patienten anzunehmen, die die
Einschlusskriterien dieser Studie nicht erfüllen. Das ist Marketing, nicht
Wissenschaft. Der frühe Studienabbruch hat auch der Klarheit der Ergebnisse
Abbruch getan.
Erfreulicherweise ist der PROactive-Studie im
gleichen Heft ein sehr kritischer Kommentar von Frau H. Yki-Järvinen beigefügt (2).
Die Autorin fragt, ob 58 Ereignisse weniger im primären Endpunkt unter Pio auf
der positiven Seite mehr wiegen als 115 mehr Fälle von kardialer Dekompensation
auf der negativen Seite, davon 56 mehr mit Krankenhausaufnahme bei fehlendem
signifikanten Unterschied in der Gesamtletalität (177 vs. 186 Patienten). Zum
Stellenwert der Therapie mit Pio haben auch wir uns in der Vergangenheit
mehrfach kritisch geäußert (3).
Fazit: Die
Autoren der PROactive-Studie stellen ihre Ergebnisse wenig überzeugend dar. Wir
würden hiernach keinen Patienten mit Pio behandeln, für den wir diese Zusatztherapie
auch bisher für nicht indiziert gehalten hätten. Bezeichnend ist die Resonanz
in mehreren von der Pharmaindustrie den Ärzten zugeschickten Gratisblättern,
z.B. dem „Ärztlichen Journal Reise und Medizin” (4). Hier wird die Senkung des
kardiovaskulären Risikos ohne Erwähnung unerwünschter Wirkungen herausposaunt.
Prof. Erdmann aus Köln, einer der Koautoren der Studie, wird mit der sehr
positiv anmutenden Number needed to treat (NNT) zur Verhinderung eines
kardiovaskulären Ereignisses von 48 zitiert. Andere Zeitschriften, wie der „Diabetes-Congress-Report”
berichten erfreulich kritisch über die Präsentation der PROactive-Studie auf
dem Europäischen Diabetes-Kongress durch Erdmann (5). So kann man wenigstens
hoffen, dass die Mehrheit der Diabetologen zwischen den Marketing-Aspekten
dieser Publikation und den in der Publikation nicht einfach zu erkennenden
positiven Fakten zu unterscheiden weiß.
Literatur
-
Dormandy, J.A., et al. (PROactive = PROspective pioglitAzone
Clinical Trial In macroVascular Events): Lancet
2005, 366, 1279.
-
Yki-Järvinen, H.: Lancet 2005, 366,
1241.
-
AMB 2002, 36, 17; 73; 79b.
-
Ärztliches Journal Reise und
Medizin 2005, 29, 54.
-
Willms, B.: Diabetes-Congress-Report
2005, Heft 5, S. 4.
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