Viele Patienten mit akutem Myokardinfarkt werden fibrinolytisch
behandelt, um den Thrombus im Koronargefäß aufzulösen. Andererseits erhalten
einige bei einer später eventuell notwendigen koronaren Bypass-Operation
Antifibrinolytika, um den Blutverlust zu minimieren. Der auch aus Tierversuchen
abgeleitete Verdacht, dass diese hämostyptische antifibrinolytische Therapie zu
intravasaler Thrombenbildung und ischämischen Komplikationen führen könnte, bestätigte
sich aber in den Zulassungsstudien und späteren Nachuntersuchungen bisher nicht.
Aprotinin (Trasylol®) wurde für diese Indikation zugelassen und in
den Leitlinien empfohlen. Eine randomisierte kontrollierte Studie mit einer
Patientengruppe ohne Aprotinin war nicht mehr möglich.
In dieser Situation können Register weiterhelfen, in
denen Patientendaten zu Diagnose, Therapie und Ergebnis gesammelt und
ausgewertet werden. Ein solches internationales, streng kontrolliertes, ohne
industrielle Drittmittel finanziertes Register hat die Multicenter Study of
Perioperative Ischemia Research Group aufgebaut und über die sehr
bemerkenswerten und erstaunlichen Ergebnisse zu den Risiken der Therapie mit
Antifibrinolytika im N. Engl. J. Med. berichtet (1).
In das international geführte Register wurde jeder
50. Patient eingeschlossen, der sich in einer der teilnehmenden Kliniken einer
Bypass-Operation unterziehen musste. 1374 Patienten erhielten keine Antifibrinolytika
(Kontroll-Gruppe), 1295 Patienten erhielten Aprotinin, 883 Patienten Aminocapronsäure
und 822 Patienten Tranexamsäure. Der Blutverlust in der Kontroll-Gruppe war 827
± 573 ml, nach Aprotinin 753 ± 660 ml, nach Tranexamsäure (Cyclokapron®)
676 ± 741 ml und nach Aminocapronsäure 719 ± 578 ml. Die Blutverluste waren bei
allen drei Substanzen geringer als in der Kontroll-Gruppe (p = 0,001). Die
antifibrinolytische Wirkung aller Medikamente war also gleich. Aprotinin
steigerte allerdings das Risiko, ein Nierenversagen zu erleiden, von 3%
(Kontroll-Gruppe) auf 8%. Unter Tranexamsäure bzw. Aminocapronsäure war das
Risiko 4% bzw. 3%. Diese Unterschiede waren auch nach einer komplizierten
multivariaten statistischen Analyse noch hochsignifikant. Diese spezielle
Analyse kann den Einfluss korrigieren, den der (mögliche) Unterschied des
Schweregrads der Erkrankung in den Gruppen auf den einfachen (univariaten)
Vergleich der Ergebnis-Mittelwerte haben kann. Auch postoperativer Herzinfarkt,
Herzinsuffizienz, Schlaganfall und Tod war nach der Therapie mit Aprotinin signifikant
häufiger als in allen anderen Gruppen. Besondere Interaktionen von Aprotinin
mit dem Endothel machen die im Vergleich mit den anderen Substanzen deutlichere
thrombogene Potenz plausibel.
Natürlich hat ein Register, in dem die Zuteilung der
Patienten zu einer Therapie nicht randomisiert ist, nicht dieselbe Aussagekraft
wie eine randomisierte Studie. Andererseits können mit den aus finanziellen Gründen
begrenzten Fallzahlen von randomisierten Studien in der Regel keine
signifikanten Unterschiede der Häufigkeiten von UAW verschiedener Medikamente
entdeckt werden. Die Autoren folgern jedenfalls aus ihren Registerdaten, dass
es nicht länger vertretbar ist, Aprotinin zur Eindämmung intraoperativer
Blutverluste zu verwenden, zumal es auch sehr viel teurer ist als die
Vergleichsubstanzen.
Nach Veröffentlichung dieser Ergebnisse wurde in
vielen kardiochirurgischen Abteilungen die weitverbreitete perioperative
antifibrinolytische Behandlung mit Aprotinin zu Gunsten anderer Antifibrinolytika
rasch aufgegeben.
Nach der Meinung des Verfassers eines Editorials in
derselben Ausgabe des N. Engl. J. Med. geht die Bedeutung dieser Untersuchung
zum UAW-Profil von Aprotinin weit über die Kardiochirurgie hinaus (2). Sie
zeigt, dass klinisch bedeutsame UAW lange unentdeckt bleiben, weil sich nach
der Zulassung normalerweise kaum jemand mehr dafür interessiert. Vor allem
fehlen direkte Präparatevergleiche.
Randomisierte Studien mit Fallzahlen, die auch für
die Analyse von UAW ausreichend sind, sind nach der Zulassung nicht mehr durchzusetzen
und zu finanzieren. Große, gut kontrollierte und öffentlich geförderte Register
sind nach der Zulassung von Medikamenten mit bedenklichem UAW-Profil eine
praktikable und dringend notwendige Alternative.
Eine Pressemitteilung der Food and Drug
Administration (FDA) vom 8. Februar 2006 macht warnend auf diese Arbeit
aufmerksam und fordert eine besondere Überwachung der herzchirurgischen
Patienten (3). Andere Antifibrinolytika sind in USA für diese Indikation nicht
zugelassen. Für das Jahr 2006 wird eine offizielle Untersuchung der Situation
in Aussicht gestellt. Dabei muss es auch um die spannende Frage gehen, wie
Register nach der Zulassung organisiert und finanziert werden können und unter
welchen Voraussetzungen Registerdaten zur Grundlage behördlicher Entscheidungen
gemacht werden können. Uns fallen viele Medikamentenvergleiche ein, die
dringend untersucht werden müssten. Ein weites Betätigungsfeld für die
Versorgungsforschung!
Fazit:
Aprotinin wird nach den Ergebnissen dieser Registerauswertung wegen ernster UAW
nicht mehr zur Eindämmung intraoperativer Blutverluste bei kardiochirurgischen
Eingriffen empfohlen.
Literatur
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Mangano, D.T., et al.:
N. Engl. J. Med. 2006, 354, 353.
-
Vlahakes, G.J.: N. Engl.
J. Med. 2006, 354, 413.
-
www.fda.gov/cder/drug/advisory/aprotinin.htm
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