In den vergangenen Jahren hat sich das
Konzept zur Behandlung des akuten Myokardinfarkts einige Male gewandelt. Von „möglichst
immer Thrombolyse” über „möglichst immer Akut-Dilatation” bis hin zu den
derzeitigen, zeitlich differenzierenden Empfehlungen. Demnach soll beim akuten
ST-Hebungsinfarkt (STEMI) innerhalb der ersten drei Stunden nach Beginn der
Symptome thrombolysiert werden, wenn der Patient nicht innerhalb von 60 Minuten
auf dem Kathetertisch liegen kann. In allen anderen Situationen soll eine
primäre Dilatation der Koronararterie (Primär-PCI) angestrebt werden, wobei
eventuell eine Verlegung in ein Krankenhaus mit der Möglichkeit der
Katheterintervention erforderlich ist (1).
Auf der Suche nach Strategien, das Überleben
nach akutem Myokardinfarkt weiter zu steigern, wurde das Konzept der „Facilitated-PCI”
vorgeschlagen. Darunter versteht man eine routinemäßige Vorbehandlung mit einem
Thrombolytikum vor der Primär-PCI. Es basiert auf der Vorstellung, dass die
koronare Verschlusszeit durch die medikamentöse Thrombolyse verkürzt und
dadurch die Größe des Infarkts reduziert werden kann. Wie so häufig in der
klinischen Medizin, muss aber nun dieses so plausibel klingende Konzept der
Facilitated-PCI nach den Ergebnissen der ASSENT-4-PCI-Studie (2) verworfen
werden.
Ziel der ASSENT-4-PCI-Studie war ein
Vergleich von Facilitated-PCI mit der Standard-Primär-PCI. Für diese
multizentrische, randomisierte, offene Studie sollten insgesamt 4000 Patienten mit
einem maximal sechs Stunden alten STEMI und geplanter Primär-PCI rekrutiert werden.
Nicht einzuschließen waren Patienten, die innerhalb von 60 Minuten im
Herzkatheter-Labor sein konnten oder länger als drei Stunden für einen Transfer
dorthin benötigten.
Die Patienten wurden in zwei Studienarme
randomisiert: In die Standard-PCI-Gruppe (n = 838). In dieser erhielten sie nur
Azetylsalizylsäure (ASS) und Heparin und wurden ins Katheterlabor verlegt. Nach
Ermessen der Interventionsärzte konnte zusätzlich ein GP-IIb/IIIa-Blocker
gegeben werden (ca. 50%). Patienten, die in die zweite Gruppe (Facilitated-Gruppe;
n = 829) randomisiert wurden, erhielten neben ASS und Heparin eine volle
Thrombolysebehandlung (Tenecteplase = Metalyse®; 30-50 mg Bolus je nach
Körpergewicht). Danach erfolgte die Verlegung ins Katheterlabor zur PCI.
Als primärer Studienendpunkt war eine
Kombination von Tod, Herzinsuffizienz oder Schock innerhalb von 90 Tagen
definiert. Weil dieser Endpunkt in der Facilitated-Gruppe signifikant häufiger
erreicht wurde, brach das Safety Committee die Studie bereits nach Einschluss
von 1667 Patienten im April 2005 vorzeitig ab.
Ergebnisse: Die klinischen Merkmale der Patienten waren in
beiden Gruppen gleich verteilt (Alter, Geschlecht, vorbestehende Herzinsuffizienz,
Infarktlokalisation, Symptomdauer, Diabetes etc.). Durch die
Thrombolysebehandlung kam es in der Facilitated-Gruppe nur zu einer geringen
Verzögerung des Intervalls zwischen Beginn der Symptome und Ballonaufdehnung
(263 vs. 255 Minuten). Der Effekt der Thrombolyse war in einer höheren „Offenheitsrate”
der Infarktarterie abzulesen: bei 64% in der Facilitated-Gruppe und bei 28% in
der Standard-PCI-Gruppe bestand zum Zeitpunkt der Koronarangiographie ein ausreichender
Blutfluss. Eine Koronardilatation erfolgte bei 91% in der Standard-PCI-Gruppe
und bei 87% in der Facilitated-Gruppe. Nicht alle Patienten benötigten eine
PCI, z.B. weil die Koronararterie nur ganz peripher betroffen oder weil eine
Bypass-OP sinnvoller war. Die Einlage eines Stents war in beiden Gruppen gleich
häufig erforderlich (94%). Die PCI verlief etwas erfolgreicher in der
Standard-PCI-Gruppe (98% vs. 96%).
Der kombinierte Endpunkt wurde signifikant
häufiger in der Facilitated-Gruppe erreicht (18,6% vs. 13,4%), und die 90-Tage-Letalität
war mit Thrombolyse höher (6,7% vs. 4,9%). Weiterhin traten in der
Facilitated-Gruppe unerwartet viele Reinfarkte auf mit der Notwendigkeit einer erneuten
Intervention am Zielgefäß. Dieses Ergebnis war in allen analysierten Subgruppen
konsistent. Die Autoren vermuten, dass dies auf eine nach der Thrombolyse
auftretende prothrombotische Gerinnungssituation zurückgeführt werden kann.
Zu den schlechteren Ergebnissen der
Facilitated-Gruppe trugen auch die durch Thrombolyse bedingten häufigeren Schlaganfälle
(8 vs. 0 tödliche neurologische Ereignisse) und die Blutungskomplikatonen (Bluttransfusionen
6,2% vs. 4,2%) bei.
Fazit: Durch eine routinemäßige thrombolytische Behandlung vor
Akut-PCI (Facilitated-PCI) kann beim akuten Myokardinfarkt zwar die infarzierte
Koronararterie häufiger wieder eröffnet werden, es resultiert aber kein Überlebensvorteil.
Im Gegenteil, es treten häufiger koronare Re-Verschlüsse, Blutungen und
Schlaganfälle mit Todesfolge auf. Daher sollte das Konzept der Facilitated-PCI
mit Thrombolytika nicht weiter verfolgt werden.
Literatur
-
Van de Werf, F., et
al.: Eur. Heart J. 2003, 24, 28.
-
ASSENT-4 PCI (= ASsessment
of the Safety and Efficacy of a New Thrombolytic agent
with Percutaneous Coronary Intervention): Lancet 2006, 367, 569.
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