Die Aminosäure Homozystein ist, das haben Studien
schon vor mehr als 20 Jahren belegt, toxisch, denn sie kann Zellen (z.B.
Endothelzellen) schädigen. Homozystein entsteht bei einem Stoffwechselschritt
von zentraler Bedeutung, der Übertragung von sog. C1- oder Methylgruppen durch
Methionin. Innerhalb kurzer Zeit wird Homozystein im Organismus wieder zu
Methionin remethyliert oder über Zystathionin und Zystein zu Glutathion weiter
verstoffwechselt; deshalb werden auch nur niedrige Serumkonzentrationen
gemessen. Somit ist Homozystein ein Intermediärprodukt, das physiologisch
vermutlich keine weitere Funktion hat (1). Die für den Katabolismus von
Homozystein zuständigen Enzyme (Zystathionin-Beta-Synthetase bzw.
Methylentetrahydrofolat-Reduktase = MTHFR) sind auf Pyridoxin (Vitamin B6)
und Cobalamin (Vitamin B12) als Koenzyme sowie auf Folsäure als
Methylgruppen-Donator angewiesen. Adäquate Konzentrationen von Folsäure und der
Vitamine B6/12 sind folglich für eine schnelle Remethylierung ebenso
essenziell wie eine gut funktionierende MTHFR (2, 3).
In vielen epidemiologischen Studien korreliert die
Homozysteinkonzentration im Serum mit dem Risiko für Herzinfarkt bzw.
Schlaganfall (s.a. 4). Ein um 25% niedrigeres Serum-Homozystein ist hierbei mit
einem etwa 10% niedrigeren Koronarrisiko und mit einem 20% niedrigeren
Schlaganfallrisiko verbunden. Die Daten der epidemiologischen Studien
etablierten Homozystein als potenziellen Risikofaktor. Dennoch lässt sich nicht
zuverlässig eine Kausalbeziehung herstellen, da andere ursächliche Faktoren
nicht ausgeschlossen werden können. Eine erweiterte Aussage erlauben
Metaanalysen, die auf der Basis von Kenngrößen durchgeführt werden, die weniger
störanfällig für Verzerrungen (Bias) oder vorgetäuschte Zusammenhänge
(Confounder) sind. Eine solche Variable ist der sog.
MTHFR-C677T-Polymorphismus. Das Enzym MTHFR katalysiert die Umwandlung
(Remethylierung) von Homozystein zu Methionin. Menschen mit homozygotem T-Allel
des C677T-Polymorphismus der MTHFR haben um etwa 20% (2 µmol/l) höhere
Homozysteinwerte als homozygote Träger des C-Allels. In einer aktuell
publizierten Metaanalyse von Casas et al. wurde die Konsistenz zwischen der
erhöhten Inzidenz von Schlaganfällen bei homozygoten Merkmalsträgern des Allels
TT analysiert (5). Hierzu wurden alle Studien zur Assoziation zwischen
Homozysteinkonzentration und MTHFR-Polymorphismus und alle Studien zur
Assoziation zwischen diesem Polymorphismus und dem Schlaganfallrisiko
zusammengefasst. Insgesamt 111 Studien wurden berücksichtigt. Aus den
berichteten Informationen über 15635 Personen ohne klinisch auffällige
kardiovaskuläre Erkrankung errechnete sich eine gewichtete mittlere Differenz
der Homozysteinspiegel zwischen homozygoten Trägern des TT- und des CC-Allels
von 1,93 µmol/l (95%-Konfidenzintervall = CI: 1,38-2,47). Die Odds ratio für
Schlaganfälle, die sich auf der Basis früherer Beobachtungsstudien für diese
unterschiedlichen mittleren Konzentrationen erwarten ließ, lag bei 1,2
(1,1-1,31). Bei der genetischen Metaanalyse von 13928 Personen lag nun die Odds
ratio für Schlaganfälle bei 1,26 (1,14-1,4) für TT- gegenüber CC-Trägern. Dies
ist eine statistische Übereinstimmung mit der erwarteten Odds ratio. Die
Autoren sahen die Erkenntnis ihrer Metaanalyse darin, dass die beobachtete
Risikozunahme bei homozygoten Trägern des MTHFR-T-Allels sehr ähnlich der
Risikozunahme ist, die sich bei einer entsprechend höheren
Homozysteinkonzentration erwarten ließ. Dies stützt indirekt zunächst die
Vermutung, dass es sich bei dem Phänomen der Assoziation zwischen
Homozysteinwerten im Blut und dem vaskulären Risiko (hier Schlaganfallrisiko)
doch um eine Kausalbeziehung handelt. Eine andere Meta-Analyse kommt jedoch zu
dem Schluss, dass keine Korrelation besteht zwischen dem
MTHFR-677C-T-Polymorphismus und dem Risiko für Koronare Herzkrankheit und dass
deshalb Zweifel bestehen, ob eine Senkung des Homozysteins durch Folsäure
präventiv wirkt (14).
Senkung des Serum-Homozysteins durch Vitamin B6/12
und Folsäure: Es konnte wiederholt
gezeigt werden, dass eine erhöhte Zufuhr von Folsäure und Vitamin B6
und B12 zuverlässig und rasch die Homozysteinkonzentration senkt.
Ein unklares Bild ergeben jedoch die Interventionsstudien zur Frage, ob eine
Senkung des Homozysteinspiegels durch Gabe von Vitamin B6, B12
und Folsäure auch das Risiko für arteriosklerotisch bedingte Erkrankungen
senkt. Hierzu werden weltweit derzeit mindestens 12 prospektive randomisierte
Interventionsstudien mit insgesamt mehr als 60000 Teilnehmern durchgeführt. Die
Studien werden in Ländern mit und ohne bereits bestehender Folsäurefortifikation
der Nahrung durchgeführt und untersuchen die Sekundärprävention von
Schlaganfällen und Koronarereignissen. Bislang liegen Ergebnisse von zwei
dieser Studien vor. Die VISP-Studie (6) untersuchte bei 3700 Patienten die
Wirksamkeit einer höher dosierten (täglich 25 mg Vitamin B6, 0,4 mg
Vitamin B12, 2,5 mg Folsäure) und einer niedrig dosierten (täglich
0,025 mg Vitamin B6; 0,006 mg Vitamin B12, 0,020 mg
Folsäure) Supplementierung auf das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit
zerebraler Ischämie. Die Ausgangswerte in der Studienpopulation waren
vergleichsweise niedrig (Lebensmittelfortifikation in den USA seit 1998). Es
zeigte sich aber im Verlauf ein konsistenter Zusammenhang zwischen den
Ausgangswerten der Homozystein-Serumkonzentration und dem Gefäßrisiko: Ein um 3
µmol/l niedrigerer Ausgangswert war mit einem 10% niedrigeren
Schlaganfallrisiko und 26% niedrigeren Herzinfarktrisiko verbunden. Durch die
höher dosierte Supplementierung in der Interventionsgruppe wurde der
Homozysteinspiegel um 2 µmol/l, also moderat, gesenkt. Es zeigte sich aber in
der zweijährigen Laufzeit der Studie kein Unterschied zwischen den Gruppen in
Bezug auf die kardiovaskuläre Ereignisrate.
Ähnlich negative Ergebnisse wurden auch aus der
NORVIT-Studie berichtet, die beim letzten Europäischen Kardiologenkongress in
Stockholm vorgestellt und kürzlich publiziert worden ist (7). Diese Studie war
randomisiert, doppeltblind, plazebokontrolliert mit einem 2 x 2 faktoriellen
Design und ging von der Hypothese aus, dass eine Behandlung mit Folsäure (plus
Vitamin B12) oder Vitamin B6 die Inzidenz von
Herzinfarkten und Schlaganfällen um 20% senkt. Es wurden 3700 Patienten nach
Myokardinfarkt eingeschlossen. Die Teilnehmer erhielten entweder Folsäure (0,8
mg/d) plus Vitamin B12 (0,4 mg/d) oder Vitamin B6 (40
mg/d) alleine oder Folsäure plus Vitamin B12 plus Vitamin B6
oder nur Plazebo. Ein Ausgangswert des Serum-Homozysteins von > 13 µmol/l
war auch hier im Verlauf in allen Gruppen mit einem höheren kardiovaskulären
Risiko assoziiert. In beiden Gruppen mit Folsäure/Vitamin-B12-Intervention
wurde der Homozysteinspiegel im Blut erwartungsgemäß (um 28%) gesenkt, in der
Plazebo- und in der Vitamin-B6-Gruppe blieb er unverändert. In der
durchschnittlichen Beobachtungsdauer von 3,5 Jahren zeigte sich ebenfalls kein
Nutzen hinsichtlich der primären Endpunkte Myokardinfarkt und Schlaganfall. In
der Gruppe mit beiden Vitaminen plus Folsäure wurden im Vergleich mit den zusammengefassten
anderen drei Gruppen sogar signifikant mehr Endpunktereignisse registriert. Die
Autoren der NORVIT-Studie folgerten aus ihren Ergebnissen, dass eine Senkung
der Homozysteinkonzentration keinen sekundärpräventiven Effekt hat. Sie vermuten,
dass Homozystein kein kausaler Risikofaktor, sondern nur ein Marker eines
erhöhten kardiovaskulären Risikos ist. Für das negative Ergebnis der
NORVIT-Studie war möglicherweise aber auch die hohe Verschreibungsrate
sekundärtherapeutisch (leitliniengerecht) eingesetzter Medikamente
verantwortlich, wie Statine (80%), ASS (90%) und Betablocker (90%). Die für die
Senkung des Homozysteins postulierten Angriffspunkte (Lipidperoxidation,
Endothelfunktion, Inflammation) sind auch Ziele dieser Medikamentengruppen, so
dass in der Primärprävention mögliche Effekte dadurch eventuell reduziert
wurden („ceiling oder floor effect”).
Auch die Ergebnisse einer anderen kürzlich
veröffentlichten Studie (15) mit 5522 Patienten, die eine Koronare
Herzkrankheit (82,8%), Hypertonie (55,9%) oder Diabetes mellitus (40,7%) hatten
und fünf Jahre lang mit einer Kombination von 2,5 mg/d Folsäure plus 50 mg/d
Vitamin B6 plus 1 mg/d Vitamin B12 behandelt wurden,
waren überwiegend negativ: Relatives Risiko (RR) für kardiovaskulären Tod 0,96
(CI: 0,81-1,13), für Myokardinfarkt 0,98 (CI: 0,85-1,14) und für
Krankenhausaufnahme wegen instabiler Angina pectoris 1,24 (CI: 1,04-1,49).
Schlaganfälle waren in der Verum-Gruppe allerdings etwas seltener (RR: 0,75;
CI: 0,59-0,97).
Während sich also in früheren ersten
Interventionsstudien eine Reihe günstiger Wirkungen durch Senkung der
Homozysteinkonzentration fanden (u.a geringere Progression von Koronar- und
Karotis-Arteriosklerose), sind die Resultate der ersten großen
Interventionsstudien negativ.
Darüber hinaus besteht eine kontroverse Datenlage für
die spezielle Indikation der Homozysteinsenkung nach Koronarangioplastie. In
zwei Studien der kardiologischen Universitätsklinik Bern mit 205 und mit 553
Patienten konnte durch die tägliche Gabe von Folsäure (1 mg/d), Vitamin B12
(0,4 mg/d) und Vitamin B6 (10 mg/d) die kardiovaskuläre Ereignis-
und Restenoserate nach sechs und nach 12 Monaten signifikant gegenüber Plazebo
reduziert werden (8, 9). Im Gegensatz hierzu fand sich in einer nachfolgenden
randomisierten Studie an 636 Patienten zur Homozysteinsenkung bei etwas
verändertem Dosierschema (Folsäure 1,2 mg/d, Vitamin B12 0,060 mg/d
und Vitamin B6 48 mg/d) kein Effekt auf die Restenoserate sechs
Monate nach Angioplastie. Es zeigte sich sogar eine leicht erhöhte Ereignisrate
unter der Vitaminsupplementierung (10). In einer Übersicht war bereits zuvor
die Schlussfolgerung gezogen worden, dass die günstigen Effekte der
Homozysteinsenkung nur bei alleiniger Ballonangioplastie, nicht aber bei
Stent-Implantation zu finden sind und bei zunehmender Häufigkeit primärer
Stent-Implantationen der günstige Effekt verschwindet (11).
Auch andere klinische Effekte der Homozysteinsenkung
sind für die Gesamtbeurteilung zu berücksichtigen. Die wirksame Prophylaxe von
Neuralrohr-Defekten (Spina bifida) führte maßgeblich dazu, dass Behörden
verschiedener Länder, allen voran die USA, die Anreicherung klassischer Grundnahrungsmittel
mit Folsäure und B-Vitaminen gesetzlich vorgeschrieben haben. Aus Japan wurde
kürzlich berichtet, dass Folsäure und Vitamin B12 bei
Schlaganfallpatienten, die bekanntlich ein zwei- bis vierfach erhöhtes Risiko
für Hüftgelenksfrakturen haben, dieses Risiko erheblich verringern: Pro 1000
Patientenjahre wurden in der Verum-Gruppe 10, in der Plazebo-Gruppe 43
Frakturen verzeichnet (12). Bei Errechnung der „Number needed to treat” ließe
sich durch die Gabe von B-Vitaminen bereits eine Fraktur bei 14 behandelten
Patienten verhindern (12).
Fazit:
Nach den bisher vorliegenden Daten können Vitamin B6, B12
und Folsäure nicht zur Sekundärprophylaxe nach Myokardinfarkt oder Schlaganfall
empfohlen werden. Die negativen Ergebnisse der ersten großen Interventionsstudien
können möglicherweise durch die bereits bestehende Nahrungs-Fortifikation
(VISP-Studie) und die intensive Begleittherapie (NORVIT-Studie) mitbedingt
sein. Erst nach Vorliegen der kompletten Ergebnisse der derzeit laufenden
Studien wird ein möglicher Nutzen der Homozysteinsenkung abzuschätzen sein. Bis
dahin sollte vor allem daran gedacht werden, dass sich auch durch geeignete
Nahrungsmittel Folsäure und B-Vitamine in ausreichender Menge zuführen lassen
(s. Tab. 1). Sollte dennoch bei Hochrisikopatienten (z.B. Schlaganfall und
Osteoporose) eine Homozysteinsenkung beabsichtigt sein, sollte bedacht werden:
Folsäure alleine gegeben, kann einen Vitamin-B12-Mangel kaschieren.
Deshalb ist es sinnvoll, beide Substanzen in Kombination zu geben, oder noch sinnvoller,
ergänzt durch Vitamin B6. Für eine optimale Homozysteinsenkung sind
Folsäuredosen von ≥ 0,8 mg/d erforderlich (13).
Literatur
-
Resch, K.L.: Homozystein und
Arteriosklerose. Gesellschaft für medizinische Information, München 1996.
-
Hankey, G.J., et al.:
Med. J. Aust. 2004, 181, 314.
-
Hankey, G.J., und
Eikelboom, J.W.: Lancet 2005, 365, 194.
-
AMB 2003, 37, 5.
-
Casas, J.P., et al.:
Lancet 2005, 365, 224.
-
Toole, J.F., et al. (VISP = Vitamin Intervention
for Stroke Prevention): JAMA 2004, 291, 565.
-
Bønaa, K.H., et al. (NORVIT = NORwegian VITamin
trial): N. Engl. J. Med. 2006, 354, 1578.
-
Schnyder, G., et al.: N.
Engl. J. Med. 2001, 345, 1593; s.a. AMB 2002, 36, 5.
-
Schnyder, G., et al. (Swiss Heart Study): JAMA 2002, 288,973.
-
Lange, H., et al.: N.
Engl. J. Med. 2004, 350, 2673.
-
Schnyder, G., und Rouvinez, G.:
Ann. Med. 2003, 35, 156.
-
Sato, Y., et al: JAMA
2005, 293, 1082.
-
Homocysteine Lowering
Trialists’ Collaboration. Am. J. Clin. Nutr. 2005, 82, 806.
-
Lewis, S.J., et al.:
Brit. Med. J. 2005, 331, 1053.
-
Lonn, E., et al. (HOPE = Heart Outcomes Prevention
Evaluation): N. Engl. J. Med. 2006, 354, 1567.
|