Zusammenfassung:
Insgesamt vier bis heute publizierte Phase-III-Studien mit unterschiedlichem
Design und noch kurzer Beobachtungsdauer an etwa 7000 Patientinnen haben
übereinstimmend eine signifikante Verlängerung des erkrankungs- bzw.
rezidivfreien Überlebens durch Trastuzumab (Herceptin®) in der
adjuvanten Therapie (Chemo- ± Hormontherapie) von Frauen mit HER-positivem Mammakarzinom
ergeben. In zwei dieser Studien, die gemeinsam ausgewertet wurden, zeigte sich
auch eine Verbesserung des Gesamtüberlebens um knapp 3% nach drei Jahren.
Trastuzumab wird nach der im Mai 2006 erfolgten Erweiterung der Zulassung in
Zukunft Bestandteil adjuvanter Therapiekonzepte bei Frauen mit HER-positivem
Mammakarzinom sein. Dabei sollte sich die Gabe am Design der HERA- bzw.
B31-Studie orientieren und aufgrund der langen Halbwertzeit eine
dreiwöchentliche Applikation gewählt werden. Die Therapie mit Trastuzumab
sollte spätestens 2-3 Monate nach Ende der Primärtherapie begonnen werden.
Ergebnisse zur Wirksamkeit von Trastuzumab, ergänzend zur Hormontherapie und
ohne vorausgegangene Chemotherapie, liegen für die adjuvante Situation nicht
vor. Angesichts der sehr hohen Kosten von Trastuzumab und zahlreicher offener
Fragen zur optimalen Gabe im Rahmen der adjuvanten Therapie sind unbedingt
weitere randomisierte klinische Studien nötig. Sie müssen insbesondere die am
besten geeignete Chemotherapie in Kombination mit Trastuzumab und die Dauer der
Trastuzumab-Therapie klären. Die unter Trastuzumab häufige Kardiotoxizität
erfordert vor, während und nach der Gabe gründliche kardiologische
Untersuchungen, einschließlich regelmäßiger Bestimmungen der linksventrikulären
Ejektionsfraktion. Die in den randomisierten klinischen Studien verwendeten
kardialen Ausschlusskriterien und die detaillierten Angaben in der
Fachinformation zur Kardiotoxizität von Herceptin® müssen unbedingt
beachtet werden.
Grundlagen und klinische
Situation: Der humane „Epidermal growth factor receptor 2” (HER2) gehört zur
Familie der epidermalen Rezeptoren für Wachstumsfaktoren, die als
transmembranäre Glykoproteine über Tyrosinkinase-Aktivität verfügen und
wichtige zelluläre Prozesse, wie Wachstum und Differenzierung, regulieren (1).
HER2 wird in ca. 25-30% der Mammakarzinome infolge Genamplifikation oder
vermehrter Produktion des Proteins verstärkt exprimiert (1, 2). Klinische
Studien haben gezeigt, dass eine Überexpression von HER2 mit aggressiverem
Verlauf des Mammakarzinoms sowie häufigeren Rezidiven und höherer Letalität bei
nodal-positiven Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom assoziiert
ist (2). Demgegenüber ist die klinische Bedeutung des HER2-positiven
Mammakarzinoms bei nodal-negativen Patientinnen weniger klar, zumal in
den klinischen Studien die Methoden zum Nachweis einer HER2-Überexpression
häufig variierten und Ergebnisse zum Teil auf retrospektiven Subgruppenanalysen
basierten (2). Wir haben 1999 auf den Einsatz von Trastuzumab, einem gegen die
extrazelluläre Domäne von HER2 gerichteten humanisierten monoklonalen
Antikörper als neue Behandlungsstrategie bei Patientinnen mit HER2-positivem,
metastasiertem Mammakarzinom hingewiesen (3). Inzwischen sind auch die Zwischenanalysen
von drei großen, randomisierten klinischen Studien zum Einsatz von Trastuzumab
in der adjuvanten Therapie bei Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom
publiziert worden (4, 5). An der Planung der Studien waren Genentech (San
Francisco, USA) bzw. Hoffmann-La Roche (Basel, Schweiz) beteiligt, und sie
wurden von diesen Firmen finanziell unterstützt. Wegen ihrer positiven
Ergebnisse haben diese Studien sowohl in der medizinischen Fachliteratur (1, 6)
als auch in der Laienpresse ein großes Echo gefunden. Gleichzeitig wurden diese
Studien aber aufgrund der z.T. noch sehr kurzen Beobachtungsdauer, methodischer
Mängel, zahlreicher offener Fragen zum optimalen Einsatz von Trastuzumab in der
adjuvanten Therapie und wegen der noch unklaren kardialen Sicherheit von
Trastuzumab auch kritisch kommentiert (7-12). Am 27. April 2006 wurde vom
„Committee for Medicinal Products for Human Use” (CHMP) der Europäischen
Arzneimittelagentur (EMEA) eine Änderung der Zulassung von Trastuzumab
empfohlen („Positive opinion”), und am 24. Mai 2006 hat die Europäische
Gemeinschaft der Erweiterung der Zulassung von Trastuzumab zugestimmt. Als
neues Anwendungsgebiet von Trastuzumab wurde die Behandlung von Patientinnen
mit HER2-positivem Mammakarzinom im Frühstadium nach Operation, Chemotherapie
(neoadjuvant oder adjuvant) und Strahlentherapie (soweit indiziert)
aufgenommen. Trastuzumab sollte nur bei Patientinnen angewendet werden, deren
Tumore eine mittels valider Untersuchungsmethoden nachgewiesene
HER2-Überexpression oder -Genamplifikation aufweisen.
Wir möchten im
Folgenden unsere Leser über die drei als Vollpublikationen vorliegenden, großen
randomisierten klinischen Phase-III-Studien (4, 5), auf die auch in der
geänderten Fachinformation zu Herceptin® (Stand: Mai 2006)
hingewiesen wird, sowie über eine kleinere finnische Phase-III-Studie (13) mit
interessantem Design informieren. Gleichzeitig möchten wir offene Fragen zur
adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms mit Trastuzumab und zur Verträglichkeit dieses
monoklonalen Antikörpers kurz diskutieren.
Studien: Am 20. Oktober 2005 wurden im N. Engl. J. Med.
geplante Zwischenanalysen sowohl der internationalen HERA-Studie als auch der
nordamerikanischen B-31- bzw. N9831-Studien publiziert, die im Rahmen des
National Surgical Adjuvant Breast and Bowel Project (NSABP) und North Central
Cancer Treatment Group (NCCTG) durchgeführt wurden (4, 5). Die beiden B-31- und
N9831- Studien wurden nach einer vom National Cancer Institute (NCI) und von
der Food and Drug Administration (FDA) gebilligten Protokolländerung gemeinsam
ausgewertet (5). Die wesentlichen Informationen zu den Patientencharakteristika
und dem primären Endpunkt dieser Studien sind in Tab. 1 und 2 zusammengefasst.
Die Patientinnenkollektive in den drei Studien unterschieden sich insbesondere
hinsichtlich der etablierten Risikokategorien beim Mammakarzinom, wobei der
Anteil der Patientinnen sowohl mit nodal-positivem Mammakarzinom als auch mit
einer Tumorgröße > 2 cm in den B-31- bzw. N9831-Studien höher war.
HERA-Studie: Die Ergebnisse der
internationalen HERA-Studie mit Beteiligung von Zentren in Europa, Nord- und
Südamerika sowie Japan basieren auf der Zwischenauswertung von 3387
Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom, die im Rahmen der neoadjuvanten
(etwa 10% der Patientinnen) oder adjuvanten Behandlung nach Randomisierung für
ein Jahr mit Trastuzumab behandelt oder nur beobachtet wurden (4). Diese Studie
umfasste auch eine dritte Gruppe (Behandlung mit Trastuzumab über zwei Jahre),
deren Ergebnisse aber vermutlich erst 2008 vorliegen werden. Alle Patientinnen
mit HER2-positivem Mammakarzinom erhielten mindestens vier Zyklen einer nicht
standardisierten Chemotherapie, entweder neoadjuvant oder nach lokoregionärer
Behandlung (operative Entfernung des Tumors, ggf. Nachbestrahlung). Die
Chemotherapie enthielt bei 94% der Patientinnen ein Anthrazyklin, aber nur bei
26% ein Taxan. Erst nach Abschluss der primären Therapie, die bei drei Vierteln
der Patientinnen auch eine Bestrahlung umfasste, wurden diese bei ausreichender
kardialer Funktion (linksventrikuläre Ejektionsfraktion = LVEF ≥ 55%) in
den Arm ein oder zwei Jahre Trastuzumab (initiale Dosis: 8 mg/kg;
Erhaltungsdosis: 6 mg/kg alle drei Wochen) bzw. Beobachtung randomisiert.
Zusätzlich erhielten die Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem
Mammakarzinom nach Abschluss der Chemotherapie eine adjuvante Hormontherapie
mit Tamoxifen bzw. nach Protokolländerung einen Aromatasehemmer. In der
Zwischenanalyse nach medianer Beobachtungsdauer von nur einem Jahr waren
hinsichtlich des primären Endpunkts „Erkrankungsfreies Überleben” (definiert
als Rezidiv des Mammakarzinoms, Auftreten eines kontralateralen Mammakarzinoms,
Zweitmalignom oder Tod) insgesamt 127 Ereignisse in der Trastuzumab- und 220 in
der Beobachtungsgruppe aufgetreten (Tab. 1). Die Hazard Ratio (HR) für ein
Ereignis in der Trastuzumab- versus Beobachtungsgruppe betrug 0,54
(Konfidenzintervall = CI: 0,43-0,67; p < 0,0001). Dies bedeutet eine
absolute Risikoreduktion hinsichtlich des erkrankungsfreien Überlebens nach
zwei Jahren von 8,4%. Das Gesamtüberleben der Patientinnen unterschied sich in
der Zwischenanalyse nicht signifikant. Die Analysen des erkrankungsfreien
Überlebens in explorativen Subgruppenanalysen ergaben für die HR mit 95%-CI für
die meisten, aber nicht für alle Subgruppen, einen eindeutigen Vorteil
zugunsten von Trastuzumab. So lag z.B. die HR für ältere Frauen (≥ 60
Jahre; n = 549) nur bei 0,70 (CI: 0,40-1,23) und in der Gruppe der
Patientinnen, die Taxane erhielten (n = 873), bei 0,77 (CI: 0,53-1,13).
B-31- und
N9831-Studie: In die beiden nordamerikanischen B-31- und N9831-Studien
mit ähnlichem Design der Protokolle wurden fast 5000 Patientinnen mit operablem
HER2-positivem Mammakarzinom aufgenommen (5). In der B-31-Studie erhielten die
Patientinnen nach operativer Entfernung des Mammakarzinoms eine adjuvante
Chemotherapie mit vier Zyklen AC (Doxorubicin plus Cyclophosphamid), gefolgt
von vier Zyklen Paclitaxel alle drei Wochen oder die selbe adjuvante
Chemotherapie plus Trastuzumab (initiale Dosis 4 mg/kg gleichzeitig mit der
ersten Dosis Paclitaxel, gefolgt von einer wöchentlichen Dosis von 2 mg/kg für
51 Wochen). In der dreiarmigen N9831-Studie wurden die selbe adjuvante
Chemotherapie mit vier Zyklen AC und anschließend zwölf wöchentliche Gaben von
Paclitaxel verabreicht. Gruppe A der N9831-Studie erhielt nach Randomisierung
kein Trastuzumab, Gruppe B erhielt Trastuzumab nach Abschluss der adjuvanten
Chemotherapie mit AC plus Paclitaxel und Gruppe C erhielt Trastuzumab parallel
zur ersten Dosis Paclitaxel. In beiden Studien wurden die Patientinnen mit
brusterhaltender Operation nach Abschluss der Chemotherapie bestrahlt, und
Frauen mit Hormonrezeptor-positivem Mammakarzinom erhielten eine adjuvante
Hormontherapie mit Tamoxifen für fünf Jahre bzw. nach Publikation der ersten
Ergebnisse der ATAC-Studie (14) mit einem Aromatasehemmer. Auch in diesen
Studien wurde Trastuzumab nur verabreicht, wenn unter der primären
Chemotherapie keine kardialen Symptome aufgetreten waren und eine normale
linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) bzw. Erniedrigung der LVEF < 16%
gegenüber dem Ausgangswert vorlag. In der geplanten Zwischenanalyse dieser
Studien waren nach einer medianen Beobachtungsdauer von 1,5 Jahren (N9831) bzw.
2,4 Jahren (B-31) hinsichtlich des primären Endpunkts „Erkrankungsfreies
Überleben” (definiert als Auftreten eines lokalen oder entfernten Rezidivs bzw.
eines kontralateralen Mammakarzinoms, Auftreten von Zweitmalignomen, Tod vor
Rezidiv oder Auftreten eines zweiten Malignoms) insgesamt 261 Ereignisse in der
Kontroll- und 133 Ereignisse in der Trastuzumab-Gruppe aufgetreten. Die HR für
ein erstes Ereignis in der Trastuzumab- versus Kontroll-Gruppe betrug 0,48 (CI:
0,39-0,59; p < 0,0001). Durch einjährige Gabe von Trastuzumab konnte nach
drei Jahren eine absolute Risikoreduktion von 11,7% hinsichtlich des
erkrankungsfreien Überlebens (75,4% in der Kontroll- und 87,1% in der
Trastuzumab-Gruppe) erreicht werden. Auch im Gesamtüberleben nach drei Jahren
(94,3% in der Trastuzumab- und 91,7% in der Kontroll-Gruppe) fand sich ein
Vorteil zugunsten der adjuvanten Gabe des monoklonalen Antikörpers (Tab. 2).
Für diese Auswertungen wurde Gruppe B der N9831-Studie wegen der sequenziellen
Gabe von Trastuzumab nach Abschluss der Chemotherapie mit AC plus
Paclitaxel nicht berücksichtigt. Eine vom „Data monitoring committee”
verlangte, vorab nicht geplante Zwischenanalyse zwischen Gruppe B und Gruppe C
der N9831-Studie ergab einen signifikanten Vorteil (erkrankungsfreies
Überleben) für die parallel mit Paclitaxel begonnene Gabe von Trastuzumab (53
versus 84 Ereignisse; HR 0,64), jedoch keinen signifikanten Unterschied
zwischen Gruppe A und B. Diese Ergebnisse wurden in der Publikation im N. Engl.
J. Med. aufgrund der kurzen Beobachtungsdauer nur kurz diskutiert, jedoch auf
dem letztjährigen Kongress der American Society of Oncology (ASCO) in einem
Vortrag präsentiert (15).
FinHER-Studie: In der finnischen,
nicht von der pharmazeutischen Industrie finanziell unterstützten,
multizentrischen FinHer-Studie wurde vor einer Polychemotherapie mit
5-Fluorouracil, Epirubicin und Cyclophosphamid (FEC) die Wirksamkeit von
Docetaxel mit Vinorelbin in der adjuvanten Therapie von Patientinnen im Alter
< 66 Jahre mit Mammakarzinom verglichen (13). In dieser Studie wurden
insgesamt 1010 Patientinnen behandelt, wobei Frauen mit HER2-positivem
Mammakarzinom (n = 232) nach Randomisierung mit Docetaxel ± Trastuzumab bzw.
Vinorelbin ± Trastuzumab und anschließend mit drei Zyklen FEC behandelt wurden.
Als Begründung für das Design dieser Studie nannten die Autoren
in-vitro-Ergebnisse, die für synergistische Wirkungen der Kombination von
Trastuzumab mit Taxanen oder Vinorelbin sprachen. Trastuzumab wurde zeitgleich
mit dem ersten Zyklus Docetaxel oder Vinorelbin begonnen (initiale Dosis 4
mg/kg und anschließend 2 mg/kg, insgesamt neun wöchentliche Gaben;
Trastuzumab-Infusion jeweils vor Docetaxel oder Vinorelbin). Nach Abschluss der
Chemotherapie wurden die Patientinnen mit brusterhaltender Operation bestrahlt
und Frauen mit Hormonrezeptor-positivem Mammakarzinom erhielten eine adjuvante
Hormontherapie mit Tamoxifen über fünf Jahre. Ausgeschlossen wurden u.a.
Patientinnen mit kardialer Erkrankung (z.B. mit Herzinsuffizienz, medikamentös
behandelten Herzrhythmusstörungen, Myokardinfarkt innerhalb der
vorausgegangenen 12 Monate). Nach einer medianen Beobachtungsdauer von etwa
drei Jahren waren hinsichtlich des primären Endpunkts „Rezidivfreies Überleben”
(definiert für den Zeitraum von der Randomisation bis zum Nachweis eines
lokalen, entfernten oder kontralateralen invasiven Mammakarzinoms oder Tod)
insgesamt 27 Ereignisse in der Kontroll- und 12 Ereignisse in der
Trastuzumab-Gruppe aufgetreten. Die HR für ein erstes Ereignis in der
Trastuzumab- versus Kontroll-Gruppe betrug 0,42 (CI: 0,21-0,82; p < 0,01).
Hinsichtlich des Gesamtüberlebens war ein Trend zugunsten von Trastuzumab (6
versus 14 Patientinnen in der Kontroll-Gruppe gestorben), jedoch kein
signifikanter Unterschied erkennbar. In der Gesamtgruppe der Patientinnen war
das rezidivfreie (91% versus 86%; p = 0,005), nicht jedoch das Gesamtüberleben
nach drei Jahren signifikant besser für Patientinnen, die mit Docetaxel
adjuvant behandelt wurden.
Kardiotoxizität: Bereits in den
Studien zur Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms mit Trastuzumab (als
Monotherapie oder in Kombination mit Zytostatika) war eine Kardiotoxizität
(Abnahme der LVEF, Auftreten einer Herzinsuffizienz und/oder ventrikulärer
Arrhythmien) als wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) aufgefallen
(3, 11, 16). Dies führte dazu, dass in den Studien mit Trastuzumab im Rahmen
der adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms strenge Kritierien zur Überwachung
der kardialen Funktion vor und unter Trastuzumab-Gabe (u.a. regelmäßige
Bestimmungen der LVEF) angelegt und Patientinnen mit eingeschränkter kardialer
Funktion bzw. vorbestehender Herzerkrankung ausgeschlossen wurden (4, 5, 13).
Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen wurde am 31. August 2005 ein Warnhinweis des
nordamerikanischen Spontanerfassungssystems für UAW (MedWatch) der FDA
veröffentlicht und auf die signifikante Zunahme der Kardiotoxizität unter
Trastuzumab im Vergleich zur Kontroll-Gruppe in der NSABP-B-31-Studie sowie auf
die ungewöhnlich häufigen Verzögerungen oder sogar Abbrüche der Therapie wegen
Verschlechterung der kardialen Funktion in der Trastuzumab-Gruppe hingewiesen
(17). In einer detaillierten Auswertung der kardialen UAW in der
NSABP-B-31-Studie zeigten sich bei 31 von 850 mit Trastuzumab behandelten
Patientinnen im Vergleich zu 5 von 814 Patientinnen in der Kontroll-Gruppe
kardiale Ereignisse (definiert als Tod oder Einschränkung der kardialen
Funktion, entsprechend Grad III oder IV nach der Klassifikation der New York
Heart Association; 18). Der Unterschied in der kumulativen Häufigkeit nach drei
Jahren betrug 3,3% (4,1% in der Trastuzumab- und 0,8% in der Kontroll-Gruppe).
Darüber hinaus beendeten 14% der Patientinnen wegen asymptomatischer
Erniedrigung der LVEF und 4% wegen symptomatischer Kardiotoxizität vorzeitig
die adjuvante Therapie mit Trastuzumab. In einer multivariaten Analyse wurden
als wichtige Risikofaktoren für das Auftreten einer kardialen Dysfunktion unter
Trastuzumab das Alter (neun von 48 Patientinnen im Alter ≥ 50
Jahren mit grenzwertiger LVEF, d.h. ≤ 54%, entwickelten unter Trastuzumab
eine Herzinsuffizienz) und die LVEF nach Abschluss der Chemotherapie mit AC,
überraschenderweise aber nicht die Thoraxbestrahlung identifiziert (11, 18).
Von insgesamt 102 auswertbaren Patientinnen, die Trastuzumab vorzeitig
absetzten, entwickelten 21 in der Folge kardiale Symptome. Die relativ kurze
Beobachtungsdauer in dieser Studie erlaubt keine endgültige Aussage zu den
langfristigen Auswirkungen der kardialen Funktionseinschränkung und der
klinischen Bedeutung einer asymptomatischen Abnahme der LVEF unter Trastuzumab.
Als Gründe für die geringere, aber statistisch hochsignifikante Kardiotoxizität
von Trastuzumab in der HERA-Studie werden ein weniger gründliches kardiales
Monitoring und die sequenzielle Gabe von Trastuzumab nach Abschluss der
Chemotherapie im Vergleich zur parallelen Gabe von Paclitaxel und
Trastuzumab in der NSABP-B-31-Studie vermutet (11). Interessanterweise führte
Trastuzumab, das in der FinHer-Studie nur über neun Wochen und vor der
adjuvanten Chemotherapie mit 60 mg/m2 Epirubicin (Standarddosis 90
mg/m2) verabreicht wurde, nicht zu einer Abnahme der LVEF oder zum
Auftreten einer Herzinsuffizienz (13). In einem lesenswerten Editorial im J.
Clin. Oncol. wurde kürzlich auf Unterschiede der kardialen Dysfunktion nach Anthrazyklinen
(Typ I) und Trastuzumab (Typ II) hingewiesen (19). Während sowohl die
klinischen als auch ultrastrukturellen Merkmale der durch Anthrazykline
ausgelösten, dosisabhängigen Kardiotoxizität aufgrund des langjährigen
Einsatzes dieser Substanzklasse gut bekannt sind, sollten jedoch die Aussagen
zur Kardiotoxizität von Trastuzumab (z.B. keine Dosisabhängigkeit,
unterschiedliche Schweregrade der kardialen Dysfunktion, Kardiotoxizität nach
Absetzen rasch reversibel und medikamentös gut beeinflussbar) aufgrund der
begrenzten Langzeiterfahrungen mit diesem monoklonalen Antikörper mit Vorsicht
interpretiert werden. Auch wichtige experimentelle Befunde, die auf eine
Bedeutung der Signalübertragung über HER2 für die normale Herzfunktion sowie
von HER2 und HER4 bzw. deren Ligand, Neuregulin-1, für die normale
Herzentwicklung hinweisen, mahnen zur Vorsicht und gründlichen Nachbeobachtung
der Patientinnen mit eingeschränkter LVEF und/oder kardialen Symptomen nach
Trastuzumab (19-21).
Offene Fragen zu
Therapiemodalitäten und zur Sicherheit von Trastuzumab: Die oben
dargestellten Ergebnisse von insgesamt vier randomisierten klinischen
Phase-III-Studien verdeutlichen die Wirksamkeit von Trastuzumab in der
adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms, werfen gleichzeitig aber zahlreiche
Fragen auf, die nur durch weitere randomisierte klinische Studien beantwortet
werden können (4, 5, 13). So sind der optimale Zeitpunkt für den Beginn der
Trastuzumab-Gabe, die am besten geeigneten zytostatischen Kombinationspartner
(z.B. Taxane, Vinorelbin, Platinverbindungen), das Applikationsintervall
(wöchentlich oder alle drei Wochen) und die Abfolge der Chemotherapie und Gabe
von Trastuzumab (simultan oder sequenziell) ebenso unklar wie die erforderliche
Dauer (1, 6-8, 22). Die Ergebnisse der finnischen Studie, allerdings an kleiner
Patientinnenzahl, sprechen dafür, dass durch eine sehr frühe und zeitlich auf
wenige Wochen begrenzte Gabe von Trastuzumab ähnliche Therapieergebnisse
erreicht werden können wie durch die einjährige Gabe in den großen
Phase-III-Studien (13). Angesichts der Kardiotoxizität von Trastuzumab, aber
auch der sehr hohen Kosten bei einjähriger Gabe alle drei Wochen (abhängig vom
Körpergewicht ca. 27800 EUR für Patientinnen < 50 kg bis ca. 54900 EUR für
Patientinnen > 75 kg; Grundlage: Lauer Taxe Apothekenverkaufspreis) sollte
die Frage nach der Dauer der Therapie vorrangig und möglichst unabhängig von
Firmeninteressen, z.B. im Rahmen der Versorgungsforschung, beantwortet werden.
Auf die erheblichen Kosten, die aus dem Verwurf von Trastuzumab bei derzeit nur
verfügbarer Durchstechflasche mit 150 mg resultieren (bis zu fünfstellige
Euro-Beträge/Patientin und Jahr), wurde kürzlich auch in einem Leserbrief an
das N. Engl. J. Med. kritisch hingewiesen (23). Pharmakokinetische
Untersuchungen sprechen dafür, dass die Halbwertzeit von Trastuzumab deutlich
länger ist (ca. 28 Tage) als ursprünglich angenommen wurde und deshalb ein
dreiwöchiges Applikationsintervall ausreicht (24). Die bisher vorliegenden
explorativen Subgruppenanalysen nach sehr kurzer Beobachtungsdauer erlauben
keine Aussage darüber, ob die Wirksamkeit von Trastuzumab tatsächlich für alle
Frauen mit HER2-positivem Mammakarzinom vergleichbar gut ist. Bei Frauen mit
kleinem (Tumorgröße ≤ 1 cm), nodal-negativem Mammakarzinom, die in der
HERA-Studie ausgeschlossen wurden, und bei älteren Patientinnen (≥ 60
Jahre) mit nodal-negativem, Hormonrezeptor-positivem Mammakarzinom ist die
Indikation für Trastuzumab sehr kritisch zu hinterfragen. Die langfristigen
Auswirkungen der Kardiotoxizität, aber auch anderer UAW nach Trastuzumab, z.B.
die bei wenigen Frauen in den B-31-/N9831-Studien beobachtete interstitielle
Pneumonitis (5), können erst in einigen Jahren sicher beurteilt werden.
Die Tatsache, dass
alle diese Fragen trotz des Einschlusses von inzwischen etwa 10300 Patientinnen
mit HER-positivem Mammakarzinom in z.T. noch unveröffentlichte, randomisierte
klinische Studien nicht sicher beantwortet werden können, verdeutlicht erneut,
wie wesentlich klinische Studienregister und eine gemeinsame, nicht vorwiegend
von Interessen der pharmazeutischen Industrie bestimmte Konzeption klinischer
Studien zu wichtigen Therapiestrategien bei onkologischen Patienten ist. Wie
bei den meisten heute in der Onkologie eingesetzten zielgerichteten
Therapiestrategien (25) fehlen leider auch noch gesicherte Erkenntnisse über
prädiktive biologische Merkmale der Tumorzellen bei HER2-positivem
Mammakarzinom, die ein Ansprechen auf bzw. eine Resistenz gegenüber Trastuzumab
zuverlässig voraussagen.
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