Am 13.3.2006 erhielten sechs gesunde Probanden in
London im Rahmen einer Phase-I-Studie in 2-5-minütigem Abstand eine
Kurzinfusion (Infusionsdauer: ca. vier Minuten) mit 0,1 mg/kg des humanisierten
anti-CD28 monoklonalen Antikörpers TGN1412 (SuperMAB®) und zwei
Probanden ein Plazebo. Dieser monoklonale Antikörper wurde von Wissenschaftlern
der Firma TeGenero AG (Würzburg) entwickelt und von Boehringer Ingelheim
produziert. Bei allen sechs Probanden in der Verum-Gruppe traten schwere, z.T.
lebensbedrohliche, unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) auf im Sinne eines
Toxic-shock-Syndroms mit schweren Kopf- und Gliederschmerzen, starkem
Blutdruckabfall, Bewusstseinseinschränkung und Multiorganversagen. Die
Probanden wurden umgehend auf die Intensivstation gebracht und konnten
erfolgreich behandelt werden. Inzwischen haben sie das Krankenhaus wieder
verlassen können, wobei jedoch Informationen zu etwaigen bleibenden Schäden
nicht vorliegen (1, 2).
Wissenschaftlicher Hintergrund: Das CD28-Molekül auf T-Lymphozyten spielt eine
wichtige Rolle sowohl bei der Aktivierung als auch bei der Regulation der
Immunantwort. Unser Immunsystem unterliegt einer ganzen Reihe von
Regulationsmechanismen, die bisher nur ansatzweise verstanden werden, und deren
Ziel es ist, einerseits überschießende Immunantworten zu verhindern,
andererseits aber eine konsequente und erfolgreiche Abwehr von
Krankheitserregern sicherzustellen. Einen solchen Regulationsmechanismus kennt
man auch bei der Aktivierung von T-Zellen über den CD28-Rezeptor (3).
Vereinfacht ausgedrückt: die T-Zelle kann normalerweise nicht alleine durch die
Stimulation über CD28 aktiviert werden, sondern es ist darüber hinaus ein
Kontakt der T-Zelle über den T-Zell-Rezeptor mit einem Antigen notwendig, das
auf dem MHC-Molekül einer Antigen-präsentierenden Zelle präsentiert wird (Abb.
1). Dies ist unter physiologischen Bedingungen auch sinnvoll, da die T-Zellen
nur spezifisch bei Kontakt mit Antigenen von Krankheitserregern aktiviert
werden sollen (3). Somit wird diese immunologische Waffe nur nach Entsicherung,
d.h. durch die Präsentation eines Antigens über das MHC-Molekül, scharf
gemacht.
Grundlagenwissenschaftlern der Universität Würzburg
ist es gelungen, monoklonale Antikörper (MAK) gegen CD28 in der Maus
herzustellen, die es möglich machen, die T-Zellen zu aktivieren, ohne dass ein
Kontakt zwischen Antigen-präsentierenden Zellen und T-Zellen stattgefunden hat
(Abb. 1). Damit wird ein physiologischer Kontrollschritt umgangen und die
Sicherung entfernt (4).
Neben der Aktivierung von T-Zellen bewirkt die
Stimulation von CD28 jedoch auch eine Hochregulation von Molekülen (z.B.
CTLA-4, CD152), welche die T-Zell-Aktivierung antagonisieren und dadurch die
Immunantwort regulieren können. Nach relativ neuen Erkenntnissen zur Regulation
der Immunantwort wird diese Funktion über CD4-positive T-Zellen vermittelt, die
auf ihrer Oberfläche in großer Dichte CD25 (Interleukin-2-Rezeptor)
exprimieren. Ein weiteres Merkmal dieser Zellen ist die Expression eines im
Zellkern lokalisierten Transskriptionsfaktors (Foxp3). Mäuse mit einer Mutation
dieses Transskriptionsfaktors sterben an einer inflammatorischen
Autoimmunerkrankung. Diese regulatorischen T-Zellen sind in der Lage,
immunologische Antworten herunter zu regulieren. Man kann also durch Zugabe
solcher Zellen die Immunantwort auf Antigene abschwächen. Zurzeit ist unklar,
ob diese Funktion Antigen-spezifisch oder -unspezifisch ist. Vieles spricht
jedoch dafür, dass diese Zellen eher Antigen-unspezifisch sind, und es
existieren erste Hinweise, dass solche Zellen nach einer T-Zell-Stimulation,
z.B. nach Infektionen, in den betroffenen Geweben vermehrt gefunden werden
(Übersicht und Originalzitate zu diesem Abschnitt bei 5).
Der SuperMAB® TGN1412: Es konnte beim Nagetier (Ratte, Maus) gezeigt
werden, dass durch die Behandlung mit TGN1412 eine Expansion regulatorischer
T-Zellen induziert wird, ohne dass diese Tiere Zeichen einer deutlichen
Aktivierung von T-Zellen aufweisen. Diese experimentellen Befunde führten dazu,
dass das ursprünglich geplante Anwendungsgebiet für TGN1412, Stimulation des
Immunsystems bei Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie, aufgegeben
und stattdessen die immunologische Aktivität des MAK zur Behandlung von
Autoimmunerkrankungen, wie Rheumatoider Arthritis und Multipler Sklerose,
genutzt werden sollte (4). Auch bei Affen wurden diese experimentellen Befunde
bestätigt, jedoch leider bis heute nicht publiziert. Mit diesem Wissen hat man
nach Humanisierung des MAK (FC-Fragment des Maus-MAK wurde
gentechnologisch durch humanes FC-Fragment ersetzt) dieses Prinzip
an freiwilligen, immunologisch gesunden Probanden getestet. Die schweren UAW
der Phase-I-Studie am Menschen waren unerwartet. Bisherige, allerdings
unvollständige Informationen deuten darauf hin, dass es offensichtlich zu einer
überschießenden Stimulation des Immunsystems mit Komplementaktivierung, massiver
Freisetzung proinflammatorischer Zytokine und Toxic-shock-ähnlichen Symptomen
gekommen ist. Die Probanden haben erfreulicherweise diese akute starke
Immunaktivierung überstanden. Eine genaue wissenschaftliche Aufarbeitung der
immunologischen Vorgänge muss jedoch noch erfolgen und veröffentlicht werden.
Möglicherweise wird bei den Probanden im weiteren Verlauf noch eine Expansion
regulatorischer T-Zellen auftreten, die evtl. auch die Anfälligkeit für
Infektionen erhöht. Wie lange eine solche Expansion regulatorischer T-Zellen
beim Menschen dann anhalten wird, ist bisher unbekannt.
Lehren für die Zukunft: Die Ereignisse im Rahmen der Phase-I-Studie mit
TGN1412 verdeutlichen, dass immunmodulatorische Ansätze zwar attraktiv, aber
auch sehr gefährlich sein können. Biotech-Firmen, insbesondere aber die
pharmazeutische Industrie, haben in den letzten Jahren enorme Profite durch die
Entwicklung und den Einsatz von ”Biological response modifiers” (BRM) bei
Autoimmunerkrankungen, wie Rheumatoider Arthritis und chronisch-entzündlichen
Darmerkrankungen, aber auch bei Tumorerkrankungen gemacht. Häufig wurden diese
Wirkstoffe in beschleunigten Zulassungsverfahren zugelassen, ohne dass ihre
genauen Wirkungsmechanismen und UAW ausreichend untersucht und verstanden worden
waren. Wie gefährlich aber der Eingriff ins menschliche Immunsystem ist, lässt
sich keineswegs durch Experimente an Nagetieren oder Affen vorhersagen. Die
sehr begrenzte Aussagekraft präklinischer Untersuchungen von BRM, u.a. auch
aufgrund Spezies-spezifischer biologischer Wirkungen, ist seit vielen Jahren
bekannt und durch unerwartete klinische Toxizität bei der Verabreichung von
Zytokinen und MAK bestätigt worden (6). So haben klinische Erfahrungen bei
Autoimmun- und Tumorerkrankungen gezeigt, dass akute
Unverträglichkeitsreaktionen aufgrund verstärkter Freisetzung inflammatorischer
Zytokine, lebensbedrohlicher Reaktivierung bakterieller oder viraler
Infektionen, aber auch Tumore, vor allem maligne Lymphome, durch MAK ausgelöst
werden können (7). Wir haben über das „Cytokine release syndrome” sowie
Parvovirus-B19-Infektionen unter Rituximab (MabThera®; 8, 9), über
lebensbedrohliche Reaktivierungen von Tuberkuloseerkrankungen unter dem
TNF-alpha-Antagonisten Infliximab (Remicade®; 10) und über die
Entwicklung tödlicher Infektionen mit dem JC-Virus unter Natalizumab (Tysabri®;
11) ausführlich berichtet. Der jetzige Vorfall ist für Experten
deshalb keineswegs überraschend, da die Aktivierung des Immunsystems durch
TGN1412 mit klinischen Symptomen auch eine der erwarteten UAW dieser
Phase-I-Studie sein musste (1-3). Das Ausmaß dieser Reaktion war allerdings
überraschend.
Verlautbarungen der Biotech-Firma TeGenero und der
englischen Arzneimittelbehörde MHRA (Medicines and Healthcare Products
Regulatory Agency), dass in der Phase-I-Studie keine Fehler (z.B. bei
Herstellung und Dosierung des MAK) von Seiten des Herstellers (TeGenero), der
mit der Durchführung der Studie beauftragten Firma (Parexel) oder des
Produzenten (Boehringer Ingelheim) gemacht wurden, werden nicht ausreichen, um
das Vertrauen von Probanden, Patienten und der Öffentlichkeit in
Phase-I-Studien wiederherzustellen (12). Gefordert werden müssen neben einer
unabhängigen Untersuchung und Publikation der Vorgänge in London insbesondere
regulatorische Maßnahmen, die die Phase-I-Studien mit neuen, immunologisch
aktiven Wirkstoffen in Zukunft sicherer machen.
Fazit: Man
sollte in Zukunft bei der Übertragung tierexperimenteller immunologischer
Ergebnisse auf den Menschen wesentlich vorsichtiger sein. Derartige Substanzen
dürfen bei ihrem ersten klinischen Einsatz nicht mehreren Personen
gleichzeitig, sondern zunächst nur einem Probanden verabreicht werden. Der
Proband, der ein neues immunmodulatorisches Arzneimittel erhält, muss klinisch
und immunologisch sehr genau und engmaschig untersucht werden. Probanden müssen
über mögliche schwerwiegende UAW bis hin zum Tod aufgeklärt werden. Die
Kontrolle der Langzeitfolgen dieser Arzneimittel muss über mehrere Jahre fest
vorgeschrieben werden. Schließlich ist zu fordern, dass bei der Entwicklung von
MAK mehr Geld in die Erforschung ihrer Wirkungsmechanismen investiert wird,
damit die biologischen Grundlagen der Wirksamkeit, aber auch möglicher UAW,
besser verstanden werden.
Literatur
-
Goodyear, M.: BMJ
2006, 332, 677.
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2006, 311, 1688.
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Blueston, J.A.: J. Clin. Immunol. 2002, 22, 1.
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Hünig, T., und Dennehy, K.:
Immunology Letters. 2005, 100, 21.
-
Jiang, H., und Chess,
L.: N. Engl. J. Med. 2006, 354, 1166.
-
Principles of
Antineoplastic Drug Development and Pharmacology. Hrsg.: R.L. Schilsky, G.A.
Milano, M.J. Ratain. Marcel Dekker, Inc., New York, Basel, Hongkong, 1996.
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Bongartz, T., et al.:
JAMA 2006, 295, 2275.
-
AMB 2000, 34, 78a.
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AMB 2002, 36, 33.
-
AMB 2002, 36, 6b.
-
AMB 2005, 39, 49.
- Dtsch. Ärztebl.: 2006, 103, B836.
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