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Tamoxifen in der adjuvanten Hormontherapie bei HER2/neu-positivem Mammakarzinom

Für die Auswahl der adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms ist der Hormonrezeptor-Status, d.h. die Expression von Östrogen- und Progesteronrezeptoren (ER/PgR) in den Tumorzellen, von entscheidender Bedeutung. Frauen, deren Tumoren ER- und/oder PgR-positiv sind, wird im Allgemeinen eine adjuvante Hormontherapie (prämenopausal: Tamoxifen ± Suppression der Ovarialfunktion; postmenopausal: Tamoxifen oder Aromatasehemmer) empfohlen, die – je nach Risikogruppe – alleine oder im Anschluss an eine systemische Chemotherapie durchgeführt wird. Patientinnen, deren Tumoren sowohl ER- als auch PgR-negativ sind, sollten keine adjuvante Hormontherapie erhalten (1, 2).

Ein weiteres Merkmal der Tumorzellen, das inzwischen ebenso wie der Hormonrezeptor-Status als prognostischer Faktor für die Definition der Risikogruppe und prädiktiver Faktor für die Auswahl der adjuvanten Therapie herangezogen wird, ist der HER2/neu-Status. Der Human Epidermal Growth Factor Receptor 2 (HER2/neu) gehört zu einer Rezeptorenfamilie von Wachstumsfaktoren, die u.a. für Zellwachstum und Differenzierung epithelialer Zellen von wesentlicher Bedeutung sind. Die Amplifikation des HER2-Onkogens (d.h. das Gen liegt in mehr als zwei Kopien im Zellkern vor) bzw. die HER2-Überexpression kann bei ca. 25-30% aller primären Mammakarzinome mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung oder Immunhistochemie nachgewiesen werden. Die Amplifikation bzw. Überexpression von HER2 wird mit einer Empfindlichkeit bzw. Resistenz des Tumors gegenüber bestimmten hormonellen oder zytostatischen Therapien und einer schlechteren Prognose assoziiert. HER2-positive Mammakarzinome scheinen eine relative Resistenz gegenüber Alkylanzien (3), aber Sensitivität gegenüber Anthrazyklinen (4) zu haben. Es gibt darüber hinaus experimentelle Hinweise, dass bei Überexpression von HER2 die Wirkung einer endokrinen Therapie, insbesondere von Tamoxifen, schwächer ist. So haben Untersuchungen an Hormonrezeptor-positiven Zelllinien (MCF-7), die mit HER2 transfiziert wurden, eine Resistenz dieser Zelllinien gegenüber Tamoxifen gezeigt (5). Eine Empfindlichkeit gegenüber Tamoxifen konnte in diesem experimentellen Ansatz jedoch durch Blockade von HER2 wieder hergestellt werden. Ebenfalls experimentelle Untersuchungen an Zelllinien sprechen dafür, dass Interaktionen zwischen ER und HER2 die Signaltransduktion in ER- und HER2-positiven Tumorzellen verändern und Tamoxifen in Tumorzellen mit starker HER2/neu-Expression wie ein Östrogenagonist wirken kann (6).

Die klinische Bedeutung dieser experimentellen in-vitro-Befunde konnte jedoch durch die bisher vorliegenden, fast ausschließlich retrospektiven klinischen Auswertungen nicht sicher belegt werden, da zum Einfluss einer HER2-Expression auf das Ansprechen gegenüber Tamoxifen, sowohl in der (neo-)adjuvanten als auch in der metastasierten Situation, widersprüchliche Ergebnisse publiziert wurden (Übersichten in 7, 8). So ergab eine klinische Studie mit sehr kleiner Zahl von Patientinnen mit HER2-Überexpression in der neoadjuvanten Situation ein schlechteres Ansprechen unter Tamoxifen im Vergleich zu einem Aromatasehemmer (Letrozol = Femara®; 9), wohingegen in einer weiteren Studie das krankheitsfreie und Gesamtüberleben von Patientinnen mit ER-positivem sowie nodal-positivem Mammakarzinom und Behandlung mit Tamoxifen nicht durch die HER2-Expression beeinflusst wurde (10).

Vor dem Hintergrund dieser experimentellen und klinischen Ergebnisse ist eine intensive Diskussion um die optimale adjuvante Hormontherapie bei Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom entbrannt. In den kürzlich publizierten großen, multizentrischen, randomisierten klinischen Studien zum Einsatz von Trastuzumab (Herceptin®) in der adjuvanten Therapie des HER2/neu-positiven Mammakarzinoms erhielten Patientinnen mit positivem Hormonrezeptor-Status nach operativer Entfernung des Tumors und Chemotherapie Tamoxifen, z.T. auch nach Änderung des Studienprotokolls einen Aromatasehemmer (11, 12). Hinweise auf eine unterschiedliche Wirksamkeit der adjuvanten Hormontherapie bei Frauen mit HER2-positivem Mammakarzinom werden diese Studien jedoch nicht geben, da keine Randomisierung zwischen Tamoxifen oder Aromatasehemmer erfolgte. Auch die Ergebnisse der bisher publizierten randomisierten klinischen Studien zur adjuvanten Therapie mit Aromatasehemmern erlauben keine Aussage zur Wirksamkeit von Tamoxifen im Vergleich zu Aromatasehemmern bei Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom, da eine HER2-Überexpression nicht systematisch analysiert wurde (13).

Bei prämenopausalen Patientinnen mit Hormonrezeptor- und HER2/neu-positivem Mammakarzinom ist eine evidenzbasierte Entscheidung hinsichtlich adjuvanter Hormontherapie derzeit nicht möglich. Nach adäquater operativer Behandlung, Chemotherapie (evtl. mit paralleler Gabe von Trastuzumab; vgl. 14) und Bestrahlung wird weiterhin die Gabe von Tamoxifen plus gegebenenfalls Suppression der Ovarialfunktion (z.B. mit Hilfe von GnRH-Analoga) empfohlen (1). Bei postmenopausalen Patientinnen mit Hormonrezeptor- und HER2-positivem Mammakarzinom wird heute allgemein eine endokrine Therapie befürwortet, welche die Gabe eines Aromatasehemmers (initial oder sequenziell) einschließt, wobei auch hier die vorliegenden Daten eine evidenzbasierte Entscheidung derzeit nicht erlauben. Fragen zum optimalen Einsatz der Aromatasehemmer (z.B. Zeitpunkt des Therapiebeginns, Therapiedauer), aber auch ihre mittel- und langfristigen unerwünschten Arzneimittelwirkungen sind noch nicht ausreichend beantwortet (1, 2).

Fazit: Die zurzeit vorliegenden Daten reichen nicht aus, um bei Frauen mit ER-/PgR-positivem Mammakarzinom und Überexpression von HER2 von einer adjuvanten Hormontherapie mit Tamoxifen generell abzuraten. Indirekte Hinweise (u.a. präklinische Daten, Subgruppen-Analysen) sprechen dafür, dass bei postmenopausalen Patientinnen mit HER2-positivem und ER-positivem/PR-negativem Mammakarzinom die adjuvante Gabe eines Aromatasehemmers besser wirksam ist als Tamoxifen. Ein therapeutischer Vorteil von Aromatasehemmern in diesem Patientinnenkollektiv ist durch prospektive randomisierte klinische Studien jedoch nicht belegt.

Literatur

  1. Goldhirsch, A., et al.: Ann. Oncol. 2005, 16, 1569.
  2. Winer, E.P., et al.: J. Clin. Oncol. 2005, 23, 619.
  3. Allred, D.C., et al.: J. Clin. Oncol. 1992, 10, 599.
  4. Pritchard, K.I., et al.: N. Engl. J. Med. 2006, 354,2103.
  5. Benz, C.C., et al.: Breast Cancer Res. Treat. 1993, 24, 85.
  6. Shou, J., et al.: J. Natl. Cancer Inst. 2004, 96, 926.
  7. Cianfrocca, M., und Goldstein, L.J.: Oncologist 2004, 9, 606.
  8. Tovey, S., et al.: Clin. Cancer Res. 2005, 11, 4835.
  9. Ellis, M.J., et al.: J. Clin. Oncol. 2001, 19, 3808.
  10. Berry, D.A., et al.: J. Clin. Oncol. 2000, 18, 3471.
  11. Piccart-Gebhart, M.J., et al. (HERA = HERceptin Adjuvant trial): N. Engl. J. Med. 2005, 353, 1659.
  12. Romond, E.H., et al.: N. Engl. J. Med. 2005, 353, 1673.
  13. AMB 2005, 39, 81.
  14. AMB 2006, 40, 41.